Leuchtturm statt Wachturm. So lässt sich kurz und knapp die Entwicklung beschreiben, die zur Ausstellung von Bruno Kuhlmann in der Galerie des Kunstvereins Ebersberg geführt hat. Denn nach künstlerischer Auseinandersetzung mit dem unguten Gefühl der ständigen Überwachung und mit dem Scheitern jeglichen alternativen Engagements habe er nach einer neuen Perspektive gesucht, erzählt der Künstler, ein ausgesprochen wacher, kritischer Geist. "Ich wollte weg von den tagespolitischen Ärgernissen, den Fokus wieder darauf lenken, worauf es uns doch eigentlich ankommt." Also richtete er seinen Blick auf den Horizont. In die Ferne, auf ein noch im Verborgenen liegendes, utopisches Danach.
"View to the horizon" heißt Kuhlmanns Schau in der Galerie im Klosterbauhof - und dieses Motiv zieht sich durch alle Werke wie Räume. Gerade letztere hat der Künstler diesmal stärker als sonst in seine Konzeption einbezogen, schließlich geht es ihm ja vor allem um Tiefe. Gleich nach dem Eintreten findet sich der Gast einem hohen, mit Gemälden bestückten Holzgestell gegenüber: Einst als Wachturm gedacht, dient es nun als offene Rauminstallation, die diverse spannende Blickachsen ermöglicht.
Sogar die Wände der Galerie hat Kuhlmann gestaltet, hat ihnen mit aufgesprühter Farbe und klaren Linien einen jeweils eigenen Horizont verliehen. Einmal mehr kommt so das historische Gemäuer der Alten Brennerei mit all seinen Unebenheiten auf wunderbare Weise zum Tragen: "So werden diese Wände selbst zu Malerei", sagt Kuhlmann, offenbar selbst überrascht von diesem erstaunlichen Effekt. Auf diesen großen Horizonten appliziert der Künstler seine Malerei als weitere Ausblicke, die Bilder wirken fast wie Fenster.
Den nächsten Raum wiederum beleuchten großformatige Sonnenuntergänge. Kuhlmann hat sie einst aus dem Flugzeug heraus fotografiert und nun als Tapeten an die Wand geklebt. Dramatisches Lila oder zartes Rosa zwischen dunkler Erde und azurblauem Himmel. Bedrohung? Oder Aufbruch? Und was kommt danach?
Die Kunst im engeren Sinne ist vielgestaltig. Kuhlmann zeigt Gemälde, Zeichnungen, Fotos und Videos, die sich allesamt auf die Suche nach dem freien Blick begeben. "Ich habe nämlich festgestellt, dass es viele Bilder gibt mit einem tiefen, bühnenartigen Raum und einer Figur, die sich im Vordergrund als Hauptdarsteller inszeniert", sagt der Künstler, der in München und Rom lebt. Dementsprechend umfasse die Ausstellung einen vergleichsweise langen Schaffenszeitraum, nämlich von 2006 bis 2024.
Die Gemälde besitzen jeweils mehrere Schichten, es gibt klare Kanten, aber auch gesprühte Unschärfe. Kuhlmanns Figuren sind dabei nur assoziativ benennbar, die dazugehörenden Dechiffrierungswerkzeuge fehlen. Manche stehen klar auf einem Boden, andere scheinen emblematisch auf einer verschwommenen Textur zu schweben, gar zu tanzen. Doch Kuhlmanns Protagonisten haben etwas wunderbar Anarchisches: Sie holen sich den oftmals surrealen, wüsten Ort zurück. Sie wirken wie die Einzeller oder das Moos, also unverwüstliche Lebewesen, die sich als Erste wieder in der Leere ansiedeln.
Geboren wurde Bruno Kuhlmann 1963 in München, wo er erst Kunstgeschichte und dann Malerei studiert hat, als Meisterschüler bei Helmut Sturm. Erfahrungen, die ihn bis heute prägten, sagt Kuhlmann. Sein Professor sei schließlich bei der Gruppe Spur gewesen - "expressiver geht es nicht!" - und auch der Rückgriff auf die Kunstgeschichte sei ihm nach wie vor sehr wichtig. Dies äußert sich in diversen Zitaten. Man findet da etwa einen Sonnenuntergang à la Caspar David Friedrich, eine von Paul Klee inspirierte Landschaft und immer wieder rätselhafte Welten im Sinne Yves Tanguys. "Am Surrealismus kommt man einfach nicht vorbei", konstatiert Kuhlmann.
Trotz dieses Bewusstseins für die künstlerischen Errungenschaften der Vergangenheit zeigt der Münchner sich offen für die Gegenwart: Seine Bildkompositionen entstehen am Computer. "Schließlich will ich malerische Antworten finden auf das Jetzt, nicht auf das Gestern", erklärt er. Aus einem schier unerschöpflichen Fundus an Versatzstücken, vor allem Fotos, kreiert Kuhlmann digitale Manipulationen. Nutzt die moderne Technik, um Vieles auszuprobieren und seine Ideen auszureizen. Der PC sei dabei nichts anderes als ein Werkzeug wie der Pinsel, sagt er, mit dem sich ganz spielerisch verschiedene Elemente verweben ließen - wie beim Freejazz, nur eben auf visueller Ebene.
Hat Kuhlmann am Bildschirm eine Komposition entworfen, die ihm rundum zusagt, setzt er sie auf Leinwand um. "Und das sehe ich dann auch sportiv: Ich will immer besser sein als der Computer", sagt er und lacht. Die Gefahr eines Scheiterns erachtet der Künstler in diesem Fall nämlich als gering, denn Malerei und Zeichnung würden sich in ihrer physischen Präsenz immer gegen ein digitales Machwerk behaupten. Trotzdem zeigt Kuhlmann auch rein computergenerierte Kunst: In einem kleinen Kabinett hängt ein Monitor, darauf zu sehen ist ein Videoloop, in dem eine rätselhafte Form einen absurden Reigen auf einer bühnenartigen Fläche aufführt. Es ist, als würden Kuhlmanns Bilder zu tanzen beginnen.
Doch was heißt es nun überhaupt, den Horizont in den Blick zu nehmen? Diese Linie in der Ferne existiert ja immer nur aus der Sicht des Betrachters, und wenn sich dessen Blick oder Position verändert, wandelt sie sich ebenfalls. "Der Standpunkt zählt", sagt Kuhlmann, lächelt und deutet auf ein kleines, sehr bekanntes Schwarz-Weiß-Foto. Es wurde geschossen während einer der NASA-Missionen und zeigt in weiter Ferne, hinter dem Horizont des Mondes, die Erdkugel. "Vom Weltraum aus gesehen gibt es gar keinen Horizont auf der Erde."
Der Künstler denkt diese Sichtgrenze aber auch als physikalischen Ereignishorizont und als "Tellerrand" - dem letztlich ja nie zu entkommen sei. "Und erstaunlicherweise definiert der Blick in den Horizont immer eine Sehnsucht, während das Bekannte in diesem Moment so unwichtig und banal erscheint." Kuhlmann stellt mit seiner Ausstellung die Frage, wie wir die Zukunft gestalten wollen - lässt die Antwort aber bewusst offen. "Die Zeit wird es zeigen, ob sich der Horizont für einen weiteren Blick öffnet."
"View to the horizon", Ausstellung von Bruno Kulmann beim Ebersberger Kunstverein, Eröffnung am Freitag, 23. Februar, um 19 Uhr mit einer Einführung durch die Künstlerin Monika Huber aus München. Geöffnet ist die Galerie donnerstags und freitags von 18 bis 20 Uhr, samstags von 17 bis 20 Uhr und sonntags von 11 bis 13 Uhr. Am Samstag, 2. März, um 18 Uhr gibt es außerdem eine diskursive Führung mit Petra Behounek (Stadträtin Ebersberg) und Wolfgang Donhärl (Naturwissenschaftler) und am Sonntag, 3. März, um 18 Uhr ein Konzert: "B. Coolman and his electric sound plants (5 Video Suites)". Die Finissage mit Künstlergespräch findet schließlich statt am Sonntag, 17. März, um 11 Uhr.