Farbenfrohe Plakate an den Wänden, Bierbänke und entferntes Muhen aus dem benachbarten Stall: eine ungewöhnliche Kulisse für einen politischen Termin. Doch derzeit braucht man eben viel Platz. Die Grünen wählen deshalb am Samstag in der Reitsberger Halle Vaterstetten ihren Kandidaten, der für den Wahlkreis Ebersberg-Erding bei der Bundestagswahl 2021 ins Rennen gehen soll. Am Ende wird die Entscheidung für Christoph Lochmüller fallen, Biobauer und Unternehmer aus Hohenlinden.
"Das ist natürlich kein Parteitag-Feeling", gesteht Helga Stiglmeier, frauenpolitische Sprecherin der bayerischen Grünen und Sprecherin des Erdinger Kreisverbandes, angesichts von Maskenpflicht, Abstandsregeln und Sitzplatzzuweisung. Dennoch sei es gerade in Pandemiezeiten enorm wichtig, das demokratische Leben aufrechtzuerhalten. Zudem haben die Grünen Grund zur Zuversicht: In aktuellen Umfragen sind sie auf Bundesebene die zweitstärkste Kraft, viele gehen von einer Regierungsbeteiligung aus. Das sorgt auch im Wahlkreis für ein neues Selbstbewusstsein, wo die Partei auf ein erstes Bundestagsmandat hofft. "Wir spielen auf Sieg", so Stiglmeier, "wir wollen Verantwortung übernehmen".
Sechs Kandidatinnen und Kandidaten stehen zur Wahl - ein absolutes Novum für die Grünen. "Das ist für uns ein sehr positives Zeichen", freut sich Reinhard Oellerer, Gemeinde- und Kreisrat aus Anzing. Bezirksrätin Ottilie Eberl erinnert daran, dass es in der Vergangenheit immer wieder Jahre gab, in denen eine Kandidatur im Wahlkreis als ehrenhafter, aber wenig aussichtsreicher Verdienst für die Partei galt - das habe sich nun spürbar geändert.
In einer Vorstellungsrunde präsentieren sich die Bewerberinnen und Bewerber mit sehr unterschiedlichen Profilen. Christoph Lochmüller beruft sich auf seine Erfahrung als Geschäftsführer eines klimaneutralen Aufzugsunternehmens und als Ökobauer. Er schlägt einige konkrete Projekte vor, darunter Förderungen für nachhaltige Landwirtschaft, den Ausbau der Photovoltaik und ein Tempolimit in Ortschaften. Lochmüller teilt besonders gegen die CSU aus, die veraltete Antworten auf neuartige Probleme biete. Die Grünen dagegen könnten echte Alternativen entwickeln und dazu beitragen, eine nachhaltige und gerechte Gesellschaft zu gestalten. "Wir müssen streiten, werben, überzeugen - und handeln", fordert Lochmüller.
Der 22-jährige BWL-Student Jonas Lorenz attestiert seiner Partei dagegen ein Kommunikationsproblem und falsche Prioritäten, etwa im Fokus auf gendergerechte Sprache. Er fordert eine pragmatische Herangehensweise, um die vielfach existenzbedrohenden Folgen der Pandemie und des Klimawandels zu bekämpfen - etwa durch ein bedingungsloses Grundeinkommen und Investitionen in die Forschung. IT-Manager Gunter Schmidt erzählt stattdessen von seinem Engagement im Privatleben, unter anderem als Johanniter, Elternbeirat und Vegetarier. "Menschen, Tiere, Lebewesen sind mir wichtig." Die Erdinger Kreisrätin Maria Feckl setzt einen Akzent beim Thema Frauenrechte: "Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft." Sie fordert eine Frauenquote im Bundestag und in großen Unternehmen sowie Maßnahmen gegen ungleiche Bezahlung. Darüber hinaus tritt sie für einen Stopp von Waffenexporten, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege und eine Bürgerversicherung ein.
"Ich glaube, wenn Corona rum ist, können wir bundesweit stärkste Kraft werden", so der Biobauer
Ami Lanzinger, Student und Wunschkandidat der Grünen Jugend Bayern, spricht über die Aufmerksamkeit für Pflegekräfte und Werksvertragsarbeiter, die angesichts ihrer schwierigen Arbeitsbedingungen zuletzt wahlweise beklatscht oder bedauert wurden. "Geändert", so Lanzinger, "hat sich aber nichts". Er fordert eine neue Arbeits- und Sozialpolitik: mehr Personal in der Pflege, das Ende der 40-Stunden-Woche, bessere Unterstützung für Arbeitslose. Zudem müsse der Staat aktiver gegen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus vorgehen. Andreas Wichmann verweist auf seine Berufserfahrung in den Bereichen Windkraft und E-Mobilität und fordert seine Partei auf, auch über das Thema Klimawandel hinauszudenken: "Wir müssen in der Sozialpolitik und in der Wirtschaft angreifen." Die Grünen sollten zudem weg vom Image einer Verbotspartei.
Es folgt eine Fragerunde, danach stimmen die rund 80 Mitglieder ab. Nach drei Wahlgängen steht der Unternehmer und Ökolandwirt Christoph Lochmüller als klarer Sieger fest. Er bedankt sich für das in ihn gesetzte Vertrauen und ruft zu Zusammenarbeit und Augenmaß auf: Manchmal müsse man gewisse Überzeugungen zurückstecken, um eine breite Wählerschaft ansprechen zu können - allerdings ohne sich je zu verbiegen. Außerdem gibt sich Lochmüller selbstbewusst: "Ich glaube, wenn Corona rum ist, können wir bundesweit stärkste Kraft werden!"