Rückblick:Ebersberg: Das Ende der Rathaus-Apotheke

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Die Rathaus-Apotheke hat ein Kaleidoskop an fast 40 Jahren Stadtgeschichte miterlebt. Zum Jahreswechsel schließt eine Ebersberger Institution.

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Menschen kommen und gehen. Dabei verändern sie die Orte, die sie besuchen, hinterlassen Spuren. Manche Geschichten graben sich in Hausfassaden ein, manche werden von uraltem Gemäuer ummantelt und wie ein kostbarer Schatz gehütet. Was hätte wohl das Gebäude in der Heinrich-Vogl-Straße zu erzählen, in dem bis Ende des Jahres noch die Rathaus-Apotheke untergebracht ist?

Seine Geschichte reicht wohl bis ins 16. Jahrhundert hinein (siehe Kasten). Bis Ende der 1970er Jahre waren dort noch Pferdeställe vorzufinden. Im Dezember 1980 dann wurde dort die Rathaus-Apotheke gegründet. "Ich weiß noch, es war damals ein gigantischer Aufwand, die Stallungen in eine Apotheke zu verwandeln", erinnert sich Margit Heider. Die historischen Grundmauern seien so dick, dass man teilweise keinen Handy-Empfang habe.

Margit Heider arbeitet seit 30 Jahren in der Rathaus-Apotheke und hat alle drei Eigentümer miterlebt. Auf der Website der Rathaus-Apotheke wird die Filialleiterin als "gute Seele" des Ladens beschrieben. Ihr Werdegang als Pharmazeutin und die Geschichte der auf ihre Weise urtümlichen Apotheke im Herzen der Stadt sind eng miteinander verwoben. Wer also Auskunft über deren Geschichte bekommen will, wendet sich am besten an sie.

Anfang der 80er machte Heider ihr Pharmazie-Praktikum in der Rathaus-Apotheke, beendete danach ihr Studium und war einige Zeit in München beschäftigt. Nach der Geburt ihrer Kinder fragte der damalige Apotheken-Besitzer Bernhard Schweizer bei ihr an, und so kam sie zurück und blieb. Bis heute.

Wo heute der Friseurladen frisiert, war früher eine Buchhandlung

Die Vielfältigkeit und die sozialen Kontakte, das sei es, was sie an ihrem Beruf so reize, erzählt Margit Heider: "Man hört im Laufe der Jahre viele Familien- und Krankheitsgeschichten." Außerdem fasziniere sie Naturwissenschaft nach wie vor.

Im Umfeld der Apotheke hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel verändert. Wo heute der Friseurladen gegenüber seine Kunden betreut, war früher etwa eine Buchhandlung untergebracht, die nach ihrer Schließung einige Zeit leer stand und Kunstausstellungen beherbergte. Ein Stockwerk über der Apotheke lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1984 der Doktor Rudolf Jupitz, eine schillernde Ebersberger Persönlichkeit. So manch älterer Ebersberger ist noch von ihm behandelt worden. Jupitz war Weltenbummler, Allgemeinarzt, Polarforscher, Volkskundler und Bergsteiger.

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In den 20er Jahren soll er sogar an der Deutschen Spitzbergen-Expedition beteiligt gewesen sein. "In seiner Wohnung gab es alles, bis hin zur Schlangenhaut", sagt Margit Heider und lacht. Rudolf Jupitz zeigte seine Mitbringsel aus aller Welt in einer Art Museum in seiner Wohnung, die auch gleichzeitig seine Praxis war. "Er war als Hausarzt daheim und 24 Stunden greifbar", erzählt Heider.

Auch für Pharmazeuten verschwamm damals noch gezwungenermaßen die Grenze zwischen Wohn- und Arbeitsraum. "Jede sechste Woche hatte jede Apotheke eine Woche lang Notdienst", erinnert sich Margit Heider. Das hieß: 24 Stunden Apotheke am Stück, das Ganze sechs Tage lang. Zwar wird heute den Apothekern nicht mehr ein derartiger Anwesenheits-Marathon abverlangt, doch immerhin sechs Nachtdienste pro Monat hat jede Filiale zu übernehmen.

Ob sie dabei auch mal Angst gehabt hätte, vor Überfällen? Margit Heider wischt die Frage mit einer knappen Handbewegung weg: "Wir haben ja eine Notklappe." Allerdings wurde zweimal in der Apotheke eingebrochen. Einmal konnte der Täter gefasst werden. Er hatte nur das Geld mitgenommen und war offensichtlich nicht an Medikamenten interessiert gewesen. Das gestohlene Geld tauchte jedoch nicht mehr auf.

Wenn die Apotheke zum Schutzraum wird

In einem dieser Nachtdienste, es war im Februar in diesem Jahr, erzählt Margit Heider, wurde in Ebersberg kräftig Fasching gefeiert. "Das war ein Remmidemmi hoch drei", so Heider. Plötzlich klingelte es an der Apothekentüre, eine alte Freundin war in der Gegend und kam herein auf einen kurzen Plausch. Als Margit Heider sie wieder in die Nacht entließ, stand auf einmal ein junges Mädchen vor der Tür und fragte: "Darf ich jetzt auch reinkommen?" Die Apothekerin wollte wissen: "Was brauchen Sie denn?" "Nix", kam es als Antwort, "ich will mich nur aufwärmen." Bei dieser Erinnerung muss Margit Heider herzlich lachen. Die einen holen sich medikamentöse Hilfe in der Apotheke, für die anderen ist sie eben eine Art Schutzraum.

Nachdem Bernhard Schweizer aus Altersgründen aufhörte, übernahm im April 2005 Marianne Rehm die Apotheke. Sie ließ die Offizin ausbauen, den Verkaufsraum in der Apotheke, um mehr Fläche für Kosmetik und andere Produkte zu schaffen. Im Januar 2008, nur drei Jahre später also - was in Apothekerjahren nicht viel ist - übernahm dann der jetzige Besitzer Bernd Grünberg.

In dessen Anfangszeit fällt auch eine Anekdote, von der Margit Heider zu berichten weiß. Damals war im ersten Stock des benachbarten Oberwirts - heute eine griechische Gastwirtschaft - der angesagteste (und einzige) Club der Kreisstadt untergebracht, "Die erste Etage". "Wenn dort gefeiert wurde, hat es hier gebebt", sagt Heider. Wenn man Nachtdienst hatte, kam man gezwungenermaßen also selten vor vier Uhr morgens zum Schlafen. Einmal übernahm eine Kollegin aus einer anderen Apotheke den Nachtdienst. Am nächsten Morgen stand sie vor Margit Heider und sagte fassungslos: "Das hätte man mir sagen müssen, dass man da mitten in der Disco ist." Im Jahr 2011 dann musste "Die erste Etage" schließen, wegen unerfüllter Brandschutzbestimmungen.

Doch nicht nur die Umgebung der Rathaus-Apotheke hat sich in den vergangenen 30 Jahren immer wieder der Gegenwart angepasst; auch das Apothekerwesen hat teils schmerzliche Wandel erfahren. "Damals gab es nur Original-Präparate und keine Fälschungen", erzählt Heider, "und es gab keine Lieferschwierigkeiten so wie heute." Aktuell beispielsweise kommen die Apotheken schwer an verschiedene Blutdrucksenker oder Narkosemittel wie Propofol. "Das kommt auch von dem enormen Preisdruck der Kassen." Dieser Druck geht auch von der Regierung aus. Die Kassen wählen bei den Rabattverträgen nur die günstigsten Firmen. Diese sind laut Heider gezwungen, billig zu produzieren und gehen immer häufiger nach Indien oder China. Wenn dort etwas schief geht und aus irgendeinem Grund die Produktion stockt, kann man von Deutschland aus schwerlich etwas dagegen unternehmen, erklärt sie.

"Diese Wahnsinnbürokratie"

Vieles von der Arbeit der Apotheker findet im Hinterraum, im Labor statt, nicht einsehbar für die Kunden. "Zum Beispiel diese Wahnsinnbürokratie", sagt Heider. 2013 wurde eine neue Apothekenbetriebsordnung eingeführt. Diese verlangt unter anderem von den Apothekern, für jede Rezeptur, die sie herstellen, drei schriftliche Dokumente zu verfassen: die Plausibilitätserklärung, die Herstellungsanweisung sowie das Herstellungsprotokoll. "Manchmal kostet das genauso viel Zeit, wie die Rezeptur selbst herzustellen", sagt Margit Heider. Rezepturen, das sind Medikamente, welche der Apotheker selbst im Labor produziert. Mit mindestens einer halben Stunde pro Rezept müssen Apotheker rechnen. Neulich fertigte Heider eine Kapsel für Frühchen, was mehr als zwei Stunden in Anspruch nahm.

Die Rathaus-Apotheke hatte und hat viele Stammkunden. "Es kommen schon immer mehr Frauen als Männer", resümiert Margit Heider, "die Frauen sind meistens die Gesundheitsminister in den Familien."

Bis vor wenigen Jahren gab es unweit einen Lidl; mit dessen Schließung blieb auch viel Laufkundschaft weg. Auch wenn es nur ein paar Schritte über die Straße sind, entschieden sich viele etwa für die Eber-Apotheke im Einkaufszentrum (EinZ), die ebenfalls Bernd Grünberg gehört und eine Zunahme an Kunden zu verzeichnen hat. Im Oktober in diesem Jahr hat nun die im Haus ansässige Hausärztin Sonja Badura ihren Standort gewechselt. Damit war das Ende der Rathaus-Apotheke endgültig besiegelt; denn, da waren sich Grünberg und sein Team einig, sie würde sich nicht mehr rechnen.

Demnächst beginnt also der große Umzug für die Apotheke aus den historischen Gewölben der Heinrich-Vogl-Straße. Alle Medikamente werden in die Eber-Apotheke im Einkaufszentrum gebracht werden, Laboraustattung und der Sicherheitsschrank für die Chemikalien werden verkauft. Das gesamte Team aus der Rathaus-Apotheke, etwa zehn Angestellte, wird mit umziehen. Wegen des großen Andrangs in der Eber-Apotheke und der längeren Öffnungszeiten wird dort jede Fachkraft gebraucht.

Auch Besitzer Grünberg geht der Abschied nahe. "Für uns gehts weiter", sagt er, "aber ich werde sicher auch noch die ein oder andere Träne verdrücken." Margit Heider wird an ihrem neuen Arbeitsplatz auf Kolleginnen treffen, die sie zum Teil selbst eingelernt hat. "Damit schließt sich der Kreis", sagt sie. Ob sie auch ein Stück weit wehmütig ist? Margit Heider zeigt um sich: "Natürlich wäre ich glücklicher, wenn alles so bleiben würde. Es ist schade, aber man muss wissen, wann man loslassen muss."

© SZ vom 23.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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