Konzertkritik vom EBE-Jazz:Hörgewohnheiten mal kurz stoßgelüftet

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Bandleader Paolo Fresu an der Trompete und die übrigen Musiker spielten ihr Konzert im Alten Speicher vor vollem Haus. (Foto: Christian Endt)

Bei der Hommage an David Bowie stürmen Trompeter Paolo Fresu und seine Band bei EBE-Jazz am Samstagabend mit Verve durch den Klangraum des Alten Speichers - und schaffen ein Stück, das in die Geschichte des Festivals eingehen wird.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Es ist schon ein paar Jahrzehnte her, da haben sie im italienischen Monsummano Terme einen Musikwettbewerb veranstaltet. Ein damals noch völlig unbekannter Sänger belegte den zweiten Platz, David Bowie. Man konnte ja nicht ahnen ... Als musikalische Wiedergutmachung am Weltstar beauftragte die Gemeinde vor kurzem den Jazz-Trompeter und Bandleader Paolo Fresu mit einer Hommage, einer zur Suite gefassten Neuinterpretation bekannter Melodien wie "Life on Mars" oder "This is not America".

Wie sich das Publikum von EBE-Jazz beim zweiten Konzert des aktuellen Festivals überzeugen konnte, nicht nur eine gute Idee, sondern ein mitreißendes Erlebnis. Egal, ob man Bowie mag oder nicht, ob man seine Musik kennt oder nicht: Der experimentierfreudige Samstagabend im Alten Speicher hat Ohren und Sinne dafür geöffnet, warum so viele seiner Titel ihren Schöpfer überdauern - weil sie andere zu Neuschöpfungen anregen.

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Was das vollbesetzte Haus unmittelbar in den Bann schlägt, sind die feinen Nuancen in Bowies Musiksprache, die sich unverfälscht und neu akzentuiert zugleich in den gespielten Titeln wiederfindet. Wie in einer durchdacht kuratierten Ausstellung bekommt jeder Titel das verdiente Licht und die Freiheit, sich zu entfalten. Poesie bleibt Poesie, Fantasie findet sich in neuer Fantasie wieder, jedes Echo hat einen Ursprung und auf jedes Innehalten folgt ein glaubwürdiger Aufbruch. Der spielerische Ansatz, mit dem Bowie so nonchalant durchs Leben musizierte, er ist auf Fresu und seine Band übergesprungen, als wär's ein Stück von ihnen.

Sängerin Petra Magoni bewegt ihre Stimme immer auf den Punkt über die Bühne und durch den Saal. (Foto: Christian Endt)

Das hat auch mit der Zusammensetzung der Band zu tun, die sich für dieses Projekt gefunden hat. Bewusst setzen die Musiker ihre Stimmen und Instrumente so ein, wie sie ihnen vertraut sind, wie sie ihr Profil prägen. Solche Experimente "Einheit aus Vielfalt" glücken nicht immer, doch in diesem Fall ist der Beweis erbracht, wie die Begeisterung für ein gemeinsames Thema alles Trennende verbindet und Gemeinsamkeiten zum Vorschein bringt. Allen voran Sängerin Petra Magoni liefert an diesem Abend ein ums andere Mal auf den Punkt. Mal "Königin der Nacht" (hat sie auch schon gesungen), mal "Unbehagen" in italienischer Variante, bewegt sie ihre Stimme und ihren Körper im Stil eines Shakepear'schen Puck (hat sie auch schon gespielt) über die Bühne und durch den Saal.

Überall, wo im Klangraum ein Licht aufleuchtet, hat sie es angezündet, überall, wo die Bowie-Melodien in die Dimension "Ewigkeit" hinübergreifen, gibt sie ihnen den Schub hinaus in die Schwerelosigkeit. Bei Songs wie "Starman" geht sie so beherzt, ja tollkühn zu Werke, dass man geneigt ist, danach den Begriff "Scatting" neu zu buchstabieren. Diese dauerhafte Stoßlüftung der Hörgewohnheiten gibt dem Publikum die Gewissheit, dass bei Magoni kein Auftritt dem anderen gleichen kann - und dass dieser Abend im Alten Speicher damit zum singulären Ereignis reift.

Das "große Solo" von Drummer Christian Meyer verändert Herzschlag und Puls des Publikums. (Foto: Christian Endt)

Ihre Bewegung konzertiert im schönsten Sinn des Wortes mit dem, was ihre Kollegen an den Instrumenten zu sagen und zu erzählen haben. Christian Meyer an den Drums liefert geradlinig und kraftvoll die Muskeln, Sehnen und Bänder für den Bewegungsapparat der Band. Jeder Schritt nach vorne oder zur Seite, jedes Innehalten und jede Wendung ist inspiriert von seinem fast schon intimen Verständnis für die Dynamik der verschiedenen Songs. Das verdiente "große Solo" verändert Herzschlag und Puls des Publikums.

Das Spiel des Gitarristen und Bassisten erinnert an das eines Marionettenspielers - so leicht und elegant gleiten deren Finger über die Saiten

Wie zwei kongeniale Flügelstürmer umrahmen ihn dabei Francesco Diodati an der Gitarre und Francesco Ponticelli am Bass, deren Finger so elegant und geschickt mit den anvertrauten Saiten arbeiten, als wären es die Fäden, an denen eine Marionette die Melodien tanzt. Derlei ist, gerade wenn im Vordergrund andere den Ton angeben, in dieser kunstvollen Qualität nicht alltäglich.

An der Posaune schließlich, gelegentlich in die Regler einer elektronischen Zauberbox greifend, ist Filippo Vignato derart unaufgeregt zugange, dass man dazu neigt, ihn zu überhören - bis er wieder zu einem seiner hinreißenden Soli ansetzt, derer allein wegen schon David Bowie zu danken ist, dass er den Impuls dazu gesetzt hat.

Paolo Fresu an der Trompete nimmt eine Sonderrolle auf der Bühne ein - er ist der Bandleader. (Foto: Christian Endt)

Eine Sonderrolle auf der Bühne nimmt der Bandleader ein, ganz links positioniert, zurückhaltend der Gleiche unter Gleichen. Mit seiner elektronischen Verfremdung des Flügelhorns allerdings löckt Paolo Fresu bewusst und aufregend gegen den Stachel, selbst in der wilden Freiheit des Jazz. Ja, das ist eindeutig stilbildend, ja, das beschert manchen überraschenden Klangmoment, ja, das reiht sich nahtlos ein in die Tradition der großen Elektroniker wie Jean Michel Jarre oder Keith Emerson, das verleiht Bowies poetischen Passagen mitunter eine sphärische Note.

Der liebevolle Umgang von Trompeter Paolo Fresu mit seinem Instrument ist ein Genuss

Aber es gibt eben auch Phasen, da brennen sich die klagenden Laute wie ein glühender Draht durchs wohltemperierte Klangbild, fast schmerzhaft ertönt hier die Stimme des Unangepassten, kratzt widerborstig über den edlen Lack der Jazz-Lounge, in der man sich eben noch einen Aperol Spritz reingepfiffen hat. Es fällt umso mehr auf, als Gitarre, Bass und Posaune - im bewussten Kontrast - diese Verfremdung nur dezent bis gar nicht einsetzen. Wenn der Bandleader sich dann auch noch immer wieder übers Steuergerät beugt und nachregelt, wirft er zudem die Frage aller Fragen auf, die seit der Erfindung des Synthesizers die Welt bewegt: Ist das "schon" Musik oder "noch"? Voller Respekt sei angemerkt, dass, über das ganze Konzert betrachtet, Fresus vortreffliche Akzentuierung und sein geradezu liebevoller Umgang mit seinem Instrument ein wahrer Genuss sind, selbst in der an Delikatessen reichen Geschichte des Festivals.

Der Mut zum Experiment hat sich für die Veranstalter auf jeden Fall gelohnt: So etwas hat EBE-Jazz noch nicht gehört. Die gut zehn Minuten lang zelebrierte Version der titelgebenden "Heroes" wird in die Geschichte des Festivals eingehen, genauso wie sie sich tief in die Erinnerungen derer eingebrannt hat, die mit jubelndem, großzügigem und ausdauernden Applaus feierten, was ihnen dieser Abend beschert hat.

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