Podiumsdiskussion in Ebersberg:Mensch bleiben, auch wenn alles langsam verschwindet

Lesezeit: 3 min

Die Diagnose Demenz erschüttert Betroffene und Angehörige. Bei einem Livestream geben Fachleute Tipps, wie die Situation besser bewältigt werden kann.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Wenn sich der Nebel des Verwechselns und Vergessens über Erinnerungen an Erlebnisse und Personen legt, das Bewältigen des Alltags zur kontinuierlichen Herausforderung wird, dann wird es gleichermaßen schwer für Betroffene wie auch Angehörige. Dass diese nicht allein sind und wie sie sich Unterstützung holen können, zeigt am 29. November im Rahmen eines kostenfreien Livestreams aus dem Alten Kino Ebersberg die Projektgruppe Demenz der Gesundheitsregion plus im Landkreis Ebersberg. Deren Leiterin, Elfi Melbert, spricht über den Spielfilm "Gemeinsame Wege" und die Inhalte des Abends.

SZ: Frau Melbert, der Film des preisgekrönten Regisseurs Alex Schaad nach einem Drehbuch des Ex-Gitarristen von Ton, Steine, Scherben , Marius del Mestre, wurde im Landkreis Ebersberg gedreht - wie kam es dazu?

Elfi Melbert: Alles begann damit, dass uns das Justizministerium eine Finanzierung für ein Projekt unserer Wahl anbot. Das passte, denn wir wollten schon lange einen Schulungsfilm für Ehrenamtliche und Angehörige machen. Bei der Suche nach einem passenden Experten wurde mir im Freundeskreis Valentin Winhart empfohlen. Der wiederum führte ein Brainstorming mit den Betreuern durch, entwickelte eine passende Idee, erarbeitete ein Skript ... und sprach dann Alex Schaad an, den das Thema gleich interessierte.

Unter einem "Schulungsfilm" stellt man sich normalerweise etwas anderes vor. In Ihrem packenden Halbstünder agieren ja namhafte Akteure wie Astrid Polak, Bernd Graawert und Sven Hussock in einer echten Spielfilmhandlung ...

Die wunderbaren Schauspieler hat der Regisseur besorgt. Dank ihnen haben wir unser Ziel erreicht, zu berühren und gleichzeitig staubtrockene Rechtsthemen wie Datenschutz oder Einwilligungserklärung im Krankheitsfall verständlich aufzubereiten. Zu jeder Minute Film gibt es eine ganze Ladung Information. Die Länge wiederum sollte so sein, dass man ihn auch mal zwischendurch oder in der S-Bahn anschauen kann - Angehörige von Demenzkranken haben manchmal nur kleine Zeitfenster.

Im Film geht es um einen Betreuer zu Beginn seiner Ehrenamtstätigkeit und seine Betreuten. Wie realistisch sind die gezeigten Situationen bis hin zur Beinah-Katastrophe?

Das ist alles sehr weich gezeichnet gegen das, was wir in der Realität erleben. Oft finden wir die Menschen in wesentlich desolaterem Zustand vor.

Wie viele Demenzerkrankte gibt es?

Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sagt im "Gesundheitsreport Bayern" von 2019 es seien deutschlandweit circa 1,7 Millionen Menschen mit Demenz über 65 Jahre, in Bayern circa 240 000. Diese Zahl könnte bis 2036 bei gleichbleibendem Erkrankungsrisiko auf circa 340 000 ansteigen. Zwei Drittel von ihnen sind Frauen.

Wie sieht die Betreuungssituation aus?

Die meisten werden zu Hause gepflegt. Ohne genaue Zahlen zu haben, schätzungsweise zwei Drittel zu einem Drittel. Laut GEDA-Studie gibt es in Bayern etwa 750 000 pflegende Angehörige. Von denen sind mehr als 70 Prozent weiblich, sagt die Bayerische Demenz Survey.

Für die ist der Film zweifelsohne interessant. Für wen noch?

Weil Demenz ein demografisches Problem ist, geht es die Gesellschaft im Ganzen an, nicht nur Angehörige. In unserer Projektgruppe thematisieren wir immer wieder, dass Kommunen demenzfreundlicher werden müssen. Gerade am Anfang, wenn die Leute anfangen, sich zurückziehen, weil die Welt ihnen zu kompliziert wird. Mehr als 40 Prozent der über 60-Jährigen mit leichten kognitiven Einschränkungen sind allein im Krankenhaus komplett überfordert. Schon damit, sich rein örtlich zurechtzufinden.

An den Film schließt sich eine Podiumsdiskussion an - wer sitzt da?

Julia Hartmann, sie ist Fachärztin für Neurologie, Geriatrie und Palliativmedizin mit Praxis in Zorneding. Und ich als Leiterin der Betreuungsstelle im Landratsamt, die die Aufgabe hat, sich um die rechtliche Vertretung zu kümmern, Anlaufstellen bekanntzumachen und Aufklärung zu betreiben, etwa über Vorsorge oder Patientenverfügung. Wir gehören beide zur Projektgruppe Demenz, in der nur Profis sitzen, die gemeinsam am Thema arbeiten.

Auch eine Angehörige wird an der Diskussion teilnehmen...

Wir wollen zeigen: Wie fühlt sich das an, wenn man einen Kranken zu Hause hat? Wie intensiv ist das? Wir sollten auch deswegen mehr darüber sprechen, weil das Thema oft sehr schambehaftet ist.

Was bewegt die Pflegenden denn am meisten?

Ganz oft: Wie thematisiere ich mit meinem Angehörigen, dass etwas schiefläuft? Was tue ich, wenn er im Verlauf der Demenz psychotisch oder aggressiv wird? Was kann ich ihm zutrauen, was geht nicht mehr? Was ist gefährlich, was muss ich aushalten?

Das gilt auch für die Gesellschaft: Hat jemand das Recht, sich nicht zu waschen? Was tun, wenn jemand zu den Nachbarn unfreundlich wird?

Warum wollten Sie von Anfang an einen Livestream?

Abgesehen von der Entwicklung der Inzidenzen zählte für uns auch der Aspekt, dass jemand abends vielleicht gar nicht so gut weg kann. Zumal wir insgesamt merken, dass Onlineangebote von Angehörigen gut wahrgenommen werden, weil es leichter ist, sich abends per Computer oder Handy dazuzuschalten, etwa zu einem Vortrag. Durch Corona haben wir hier echt einen Sprung nach vorne gemacht, mehr Leute erreicht.

Was erhoffen Sie sich von dem Abend?

Mehr Aufmerksamkeit für das Thema. Und dass sich vielleicht hinterher Leute melden, die sagen, sie könnten sich eine ehrenamtliche Betreuung vorstellen.

Termin: Montag, 29. November, 19 Uhr Film "Gemeinsame Wege" mit Podiumsgespräch. Gäste: Julia Hartmann, Fachärztin für Neurologie, Geriatrie und Palliativmedizin mit Praxis in Zorneding, Elfi Melbert, Leiterin Betreuungsstelle im Landratsamt, und eine pflegende Angehörige. Moderation: SZ-Journalistin Johanna Feckl. Zugangslink: https://vimeo.com/643585907/983dc8dc32

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: