Tafeln im Landkreis:Begrenzt ausgabefähig

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"Das da bitte": Bei der Ebersberger Tafel werden Asylbewerber genauso bedient wie deutsche Bedürftige. (Foto: Christian Endt)

Die steigende Zahl der Flüchtlinge stellt die Lebensmittel-Tafeln vor die Herausforderung, immer mehr Bedürftige zu versorgen, ohne jemandem etwas wegzunehmen.

Von Isabel Meixner

Wie geht es Ihnen?" Diesen Satz bringt der junge Afrikaner mit den eingefallenen Wangen noch auf Deutsch heraus. Schon beim nächsten reichen die Kenntnisse nicht mehr: Er hätte gerne die Tüte Backerbsen aus dem Regal. Claus Nolden, Mitarbeiter der Ebersberger Tafel, gibt sie ihm auch auf Deuten hin. Zwei Meter weiter ist Hildegard Bauer, mit 90 Jahren die älteste Helferin und inoffizielle "Ehrenpräsidentin", rigoroser: "Bei mir kriegen sie's erst, wenn sie es auf Deutsch sagen." Spricht's und wendet sich einem anderen Asylbewerber zu. "So, mein Jung', was brauchst du? Das? Das ist eine Mandarine. Man-da-ri-ne."

Es ist Essensausgabe bei der Ebersberger Tafel. Am Treppenabgang zu den Räumen an der evangelischen Kirche haben sich rund 40 Bedürftige versammelt, ein halbes Dutzend davon Flüchtlinge. Waltraud Stückle-Mayrhofer macht hier keinen Unterschied: "Es geht von unserem diakonischen Verständnis aus nicht, dass wir Asylbewerber ausschließen."

Die Zahl der Bedürftigen wächst

Dass Flüchtlinge zu den regulären Tafelausgaben kommen können, ist in dieser Form nicht selbstverständlich. Überall im Landkreis versuchen sich Lebensmittelausgaben an dem Balanceakt, eine begrenzte Menge an Brot, Gemüse, Fleisch, Getränken und mehr an eine Gruppe von Bedürftigen zu verteilen, die vor allem wegen der zahlreichen Flüchtlinge rasant wächst. Knapp 400 Asylbewerber waren es Anfang des Jahres, mehr als 1557 Flüchtlinge sind es heute.

Alle zu bedienen "geht logistisch gar nicht", sagt etwa Ulrike Bittner, Vorsitzende von "Tischlein deck dich" in Markt Schwaben. Hier ist die Zahl der Flüchtlinge innerhalb weniger Wochen von null auf derzeit 250 gestiegen. "Das hätte unsere Ausgabe wirklich gesprengt", sagt Bittner. "Wenn ich mir vorstelle, dass hier noch 200 Leute mehr anstehen . . . das wäre von unserer Seite her einfach nicht machbar."

Auch Frank Bernhardt vom Schlaraffenland in Kirchseeon spricht von einem "Mengenproblem". Als vor zwei Jahren die ersten Asylbewerber in den Ort kamen, hätten diese zur Lebensmittelausgabe kommen können, "selbstverständlich". Doch inzwischen sind es mehr als 100, denen 35 bis 40 Altkunden gegenüber stehen. "Wir müssen verhindern, dass die, die immer zu uns kommen, zurückstecken müssen", sagt Bernhardt. Sonst würde die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen, die in vielen Teilen der Bevölkerung ohnehin nicht gut sei, noch schlechter.

Flüchtlinge bekommen in der Unterkunft kein Essen

Andererseits möchten die Lebensmittelausgaben die Flüchtlinge nicht im Regen stehen lassen, denn bedürftig bleibt bedürftig, egal welcher Herkunft. 325,61 Euro monatlich erhält ein Asylbewerber, bei einem Hartz-IV-Empfänger sind es knapp 400 Euro. In Kirchseeon haben sich die Schlaraffenland-Mitarbeiter darauf geeinigt, den Asylbewerbern am Gymnasium das vorbeizubringen, was bei der Vergabe am Dienstag übrig bleibt. "Die prügeln sich fast ums Essen", sagt Bernhardt.

Die Flüchtlinge werden in ihrer Unterkunft nämlich nicht mit Essen versorgt, sondern müssen für sich selber sorgen. Klar habe er schon den Vorwurf gehört, er bevorzuge deutsche Bedürftige. Dagegen wehrt Bernhardt sich: Am Mittwoch und Freitag werden Molkereiprodukte eingesammelt und direkt an die Flüchtlinge verteilt, bei vielen Lebensmitteln wird eine erste Fuhre schon am Montag ans Gymnasium gefahren.

In Markt Schwaben stehen hinter den derzeit 45 bis 50 Kunden insgesamt 180 Personen, ein Drittel davon Kinder. Auch hier gilt: Was übrig bleibt, wird jeweils zur Hälfte an der Dreifachturnhalle und am Containerdorf abgegeben. Früher durften die Bedürftigen in solchen Fällen noch ein zweites Mal zugreifen; das entfällt jetzt. Ob das böses Blut verursacht habe? Einzelne Stimmen habe es gegeben, räumt Bittner ein, "aber da habe ich keine Diskussion zugelassen. Humanität bedeutet, dass jeder ein bisschen verzichtet."

In Grafing öffnet die Tafel zwei Mal pro Woche für Flüchtlinge

Bei der Poinger Tafel können die Asylbewerber zur regulären Ausgabe kommen, sind aber erst nach den Altkunden an der Reihe. Dafür müssen sie aber auch keinen Euro zahlen, der sonst fällig werden würde. Ausgesucht sei das Essen nicht, sagt Vorsitzende Christine Bloch: "Wir haben genügend." Seit kurzem komme allerdings kein Flüchtling mehr zur Tafel, trotz entsprechender Hinweiszettel in der Turnhalle. Woran das liegt, weiß Bloch nicht.

Die Grafinger Tafel hat für sich eine andere Lösung gefunden, wie sie die Ausgabe bei inzwischen mehr als dreimal so viel Kunden - von 30 auf fast 100 in zweieinhalb Jahren - logistisch stemmen kann: Sie öffnet ein zweites Mal pro Woche eigens für die Flüchtlinge. Das erleichtert das Verteilen zwar, ist aber arbeitsintensiv für die 30 bis 35 Helfer.

In Ebersberg hat die Tafel beschlossen, dass es weder für die eine noch die andere Seite Extrawürste gibt. Für alle gibt es einen Ausgabetag; wem das nicht behagt, bleibt halt weg. Etwa zehn Prozent der 240 in Ebersberg untergebrachten Flüchtlinge komme, schätzt Stückle-Mayrhofer. Es gebe zwei, drei Frauen, die wegen der neuen Situation wegbleiben, "das nehmen wir hin". Die übrigen zeigen sich durchaus hilfsbereit: Als die Flüchtlinge neu waren, haben Altkunden ihnen "mit Händen und Füßen erklärt", wie das Tafelsystem funktioniert. Heute kennen sich die Asylbewerber aus - und können der Ehrenpräsidentin auch die ein oder andere Obstsorte nennen.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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