Umgang mit Demenz:"Es ist nie zu früh, die Dinge zu regeln"

Lesezeit: 3 min

Beim Podiumsgespräch im Alten Kino sprechen die Leiterin der Betreuungsstelle im Landratsamt Elfi Melbert, Fachärztin für Neurologie, Geriatrie und Palliativmedizin Julia Hartmann und die pflegende Angehörige Margret Mohring über das Thema Demenz. Moderatorin ist SZ-Journalistin Johanna Feckl (3. von links). (Foto: Christian Endt)

Beim Livestream-Filmabend mit Expertengespräch im Alten Kino gibt es viel Wissenswertes etwa zum Thema Vorsorgevollmacht, Diagnostik und häusliche Pflege

Von Michaela Pelz, Ebersberg

"Es ist kein leichter Weg - er wird aber leichter, wenn man ihn nicht alleine gehen muss." Diese Quintessenz aus dem höchst sehenswerten Halbstünder "Gemeinsame Wege" unter der Regie von Alex Schaad, bringt genau das auf den Punkt, was sich in der anschließenden Podiumsdiskussion im Alten Kino Ebersberg herauskristallisiert: Das Leben mit Demenz ist eine Herausforderung für Betroffene wie Angehörige, doch es gibt Hilfen und die gilt es zu nutzen.

Die Veranstaltung "Gemeinsame Wege - wie gelingt das bei Demenz?", initiiert von der Projektgruppe Demenz der Gesundheitsregion plus im Landkreis Ebersberg, war von Anfang an aus Rücksicht auf pflegende Angehörige in hybrider Form geplant. Darum stellte es dank des versierten Technik-Teams vom Alten Kino kein Problem dar, schnell auf die aktuellen Entwicklungen zu reagieren und zugunsten einer reinen Livestreamübertragung auf die Publikumsbeteiligung im Saal komplett zu verzichten. Fragen konnten trotzdem gestellt werden, per E-Mail, was rege genutzt wurde. Die Antworten kamen von drei Expertinnen, die sich, moderiert von SZ-Journalistin Johanna Feckl, auf dem Podium versammelt hatten: Julia Hartmann, Fachärztin für Neurologie, Geriatrie und Palliativmedizin, Elfi Melbert, Leiterin der Betreuungsstelle im Landratsamt, und Margret Mohring, die sich um ihren an Demenz erkrankten Bruder kümmert. Besonders ihr sind einige berührende, aber auch hilfreiche Einblicke in ein tägliches Leben zu verdanken, in dem es gilt, Probleme zu bewältigen, ohne dass Wertschätzung und Respekt verlorengehen. Werden aufgrund von Wortfindungsstörungen beispielsweise Begriffe wie Regen und Schnee verwechselt, könne man in einem nachfolgenden Dialog einfach gezielt das richtige Wort verwenden. Den Erkrankten auf Augenhöhe zu begegnen, statt auf Defiziten "herumzuhacken", dazu riet auch Neurologin Hartmann. "Keine Diskussionen führen, lieber Ja/Nein-Fragen stellen, sich Zeit lassen." Vor allem den letzten Punkt betonte sie, da auch Patientinnen und Patienten mit weit fortgeschrittener Demenz sehr empfänglich seien für Stimmungen und Emotionen und es sofort bemerkten, wenn ihr Gegenüber gehetzt oder genervt sei. Ein weiterer Tipp für eine bessere Kommunikation: Hörgeräte!

Margret Mohring berichtet, wie sie sich um ihren an Demenz erkrankten Bruder kümmert. (Foto: Christian Endt)

Manchmal sei es durchaus legitim, auch ein wenig zu tricksen, führte die Medizinerin aus, nachdem Mohring berichtet hatte, wie sie mit zwiespältigen Gefühlen den Familienhund mit GPS ausgerüstet habe, um ihren immer wieder orientierungslosen Bruder während der Gassi-Runde notfalls auf diese Weise aufspüren zu können.

Auch Hartmann arbeitet zuweilen mit Vorwänden, wenn sich jemand gegen eine Diagnostik sträubt. Patienten würden dann einbestellt, um "Medikamente zu überprüfen oder medizinische Fragen zu klären", im Erstkontakt verzichtet sie auch schon mal auf den Gedächtnisleistungstest und führt, ganz wichtig, die Anamnese nicht in Anwesenheit der Betroffenen durch, sondern telefoniert vorab mit den Angehörigen. Die frühzeitige Abklärung bei länger anhaltenden Symptomen wie Vergesslichkeit, Wesensänderung oder einer generellen Störung der Alltagsbewältigung sei sehr wichtig, wirkt sie doch oft für alle Beteiligten entlastend, und zeigt zuweilen sogar, dass etwas ganz anderes, wie eine Schilddrüsenerkrankung oder eine Depression dahintersteckt. Liegt aber tatsächlich eine Demenzerkrankung wie etwa Alzheimer vor, gäbe es Medikamente zur Stabilisierung der kognitiven Leistungsfähigkeit, die vorübergehend das Voranschreiten der Krankheit verzögern. In frühen Stadien könne man auch nicht-medikamentöse Therapien wie Beschäftigungs- oder Ergotherapie, Kunst- oder Musiktherapie sowie Hirnleistungstraining einsetzen.

Welche Therapiemöglichkeiten es bei Demenz gibt und welche anderen Krankheiten ähnliche Symptome hervorrufen können, weiß Medizinerin Julia Hartmann. (Foto: Christian Endt)

Doch wie lange darf jemand selbst darüber entscheiden, welcher Behandlung er sich unterzieht - oder auch nicht? "Solange der Patient einsichts- oder einwilligungsfähig ist, Art und Tragweite eines Eingriffs versteht und damit selbst eine Nutzen- und Risikenabwägung treffen kann, gilt sein Wunsch." sagt Hartmann.

Wenn das nicht mehr der Fall ist, wird ein Rechtsvertreter benötigt, also ein Betreuer oder gesetzlicher Vertreter, um den Willen des Patienten oder das, was anhand früherer Äußerungen und Wertevorstellungen als sein mutmaßlicher Wille gilt, durchzusetzen.

Dazu die Expertin für Rechtsfragen Melbert: "Eine rechtliche Betreuung und die Vorsorgevollmacht stehen nebeneinander - entweder ich habe schon im Vorfeld jemanden bestimmt, der mich vertritt, wenn ich es nicht mehr kann oder das Amtsgericht und die Betreuungsstelle müssen eingeschaltet werden." Manchmal hieße es dann im Akutfall, innerhalb von ein bis zwei Stunden jemanden zu finden. "Dann lassen wir wie die Feuerwehr alles stehen und liegen und fahren direkt hin", erklärt sie. Bei der Suche nach einer passenden Person gehe man in folgender Reihenfolge vor - in Klammern die für den Landkreis gültigen aktuellen Zahlen: Angehörige (514), Freunde oder Nachbarn (20), "fremdehrenamtliche Betreuer", die auch oft mehrere Fälle übernehmen (25).

Nicht nur als Vorbereitung auf Demenzerkrankungen empfiehlt Elfi Melbert eine Patientenverfügung. (Foto: Christian Endt)

Wichtig: Weder Eheleute noch die Eltern volljähriger Kinder besitzen ein "Vertretungsrecht" für jemanden, der handlungsunfähig ist - vielleicht, etwa durch einen Unfall, auch nur vorübergehend. Darum sei eine Vorsorgevollmacht in jedem Alter ausgesprochen sinnvoll. Offene Fragen dazu, aber auch zu so schwierigen Themen wie Unterbringung in einer Einrichtung, dürfen gern per Telefon oder Mail gestellt werden. Auf diesem Weg lässt sich auch eine Übersicht sämtlicher Hilfsangebote im Landkreis anfordern.

Wer die Veranstaltung verpasst hat, kann eine Aufzeichnung der Podiumsdiskussion sowie den Film mit den Darstellern Astrid Polak, Bernd Graawert und Sven Hussock unter https://vimeo.com/643585907/983dc8dc32 und demnächst direkt auf alteskino.tv ansehen. Beratung und Infomaterial gibt es unter: vorsorgeberatung@lra-ebe.de.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: