Corona-Krise:Ebersberger Schüler haben viele Lücken nach dem Lockdown

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Zuhause Lernen ist zwar gemütlicher als in der Schule, kann aber den Unterricht im Klassenzimmer nicht ersetzen. (Foto: Stephan Rumpf)

Vertreter aller Schularten im Landkreis Ebersberg beklagen, dass viele Schüler Teile des Stoffs nicht mitbekommen haben.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Im Februar, da war es endlich soweit: Die Schüler der zehnten Klasse hatten ihre Angst vor der Fremdsprache überwunden, ohne Hemmungen schafften sie es, sich auf Englisch zu unterhalten. Perfekte Voraussetzungen für die Prüfung zur Mittleren Reife also. Dann kam der Lockdown. "Und alles war wieder weg." Was Eva Guerin, die Leiterin der Poinger Anni-Pickert-Grund- und Mittelschule, berichtet, ist symptomatisch. Die Monate, in denen bayerische Schüler nicht in die Schule durften und ihr Lernpensum zu Hause erledigen sollten, haben Spuren hinterlassen. In allen Schulen und allen Jahrgangsstufen. Wenn sie auch nicht überall so heftig waren wie in der ersten Klasse, von der Guerin berichtet. "Die Kinder haben bis Februar schreiben gelernt - und im Juli waren einige wieder auf Stand Null. Sie haben eigentlich fast ein Jahr verpasst."

Aber auch so mancher jetzige Sechstklässler, der zu Beginn des vergangenen Schuljahrs noch mit Einserschnitt aufs Gymnasium gewechselt war und nach dem Lockdown ohne weitere Prüfungen in die nächste Klasse vorrücken durfte, reibt sich heute verwundert die Augen. Was da in allen Fächern an Schulaufgaben, angekündigten und unangekündigten Leistungsabfragen, an mündlichen Noten, an stringent überprüften Wochenplänen, Grammatikübungen oder Vokabelarbeit über ihn hereinbricht, droht ihn aus der Bahn zu werfen. "Die Lücken bei den Kleinen sind schon virulent", berichtet Clarissa Frobenius, Lehrerin für Englisch und Religion am Gymnasium Kirchseeon. "Gerade die Fünften und Sechsten hat es in den Fremdsprachen getroffen." Zumal sie sich nach dem ersten halben Jahr mit der ersten Fremdsprache, meist Englisch, im Lockdown ohne direkten Kontakt mit den Lehrern zu Hause beschäftigen mussten, in der Sechsten aber gleich mit der zweiten konfrontiert werden.

"Eine Katastrophe", urteilt eine Französisch-Kollegin von Frobenius, die in Intensivierungsstunden versucht, das Versäumte aufzuholen. Die direkte Rückmeldung, "fragende Gesichter, zufriedenes Nicken", darauf könne man bei allem Engagement aus der Ferne nicht eingehen, sagt Frobenius. Spitzenschüler schafften das, "aber es gibt welche, die hinten runter fallen". Das Lernen mit Eltern könne Schule nicht ersetzen. "Ich als Mutter würde auch aufhören abzufragen, wenn dann schlechte Laune herrscht." Als Lehrerin aber sei es ihre Aufgabe zu prüfen, "auf mich dürfen die Kinder ruhig sauer sein".

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Die jüngeren Schüler, fügt sie noch an, habe die Krise aber auch aus sozialen Gründen hart getroffen - und tue es noch, nicht nur wegen der Maskenpflicht und der "gebremsten Kommunikation", wie sie sagt. "Ich erkenne die neuen Schüler zum Teil gar nicht, gerade für die Fünftklässler aber ist es doch das A und O, nach dem Übertritt aufgefangen zu werden." Im vergangenen Juni sei der Wechsel in das wochenweise System mit Frontalunterricht und strengen Abstandsgeboten "kühl und spaßfrei" gewesen - schwierig gerade für die Eingangsklassen, wo sich das Sozialgefüge doch erst finden müsse.

Nicole Storz, Direktorin des Max-Mannheimer-Gymnasiums in Grafing, hat ähnliche Erfahrungen gemacht, und sie sagt: Bei den Jüngeren merke man, dass ihnen die Routine fehle, dass sie "ein Stück weit das Lernen nicht gelernt haben". Aber auch bei den älteren Schülern, die sich eigentlich schon auskennen, hätten sich Lücken aufgetan. "Es gibt schon einige, die irgendwann die Motivation verloren haben, die Sinnhaftigkeit, die sich gefragt haben ,warum mache ich das überhaupt?'" Verständlich, sagt sie, das würde Erwachsenen auch nicht anders gehen.

"Präsenzunterricht", bestätigt der stellvertretende Schulleiter der Realschule Ebersberg, Markus Schmidl, "ist die einzig effektive Möglichkeit, Kinder zu erziehen." Alles, was die Routine störe - etwa auch ein wochenweiser Unterricht, wie er nach der kompletten Schließung der Schulen von Mitte Juni bis zu den Sommerferien praktiziert wurde - sei kontraproduktiv. "Der Biorhythmus hat sich total verändert." Schüler mit Kontaktstörungen wie leichtem Asperger-Syndrom hätten sich besonders schwer getan, wieder in den Schulalltag zurückzukommen, berichtet Guerin. Einige solcher Schüler an ihrer Mittelschule hätten sogar Angst vor den anderen gehabt.

Die Frage ist, wie schnell sich die Lücken wieder schließen lassen - und ob überhaupt. War zu Beginn der Corona-Pandemie der Fokus in erster Linie auf Abschlussklassen und Schüler im Übertrittsjahr gerichtet, wird nun bereits darüber debattiert, dass die Situation Auswirkungen auf eine ganze Schülergeneration haben könnte. "Wir müssen die Prüfungen anpassen", erklärt Guerin. Nur Deutsch, Englisch und Mathematik wurden dort nach dem Lockdown unterrichtet, Soziales, Technik und Wirtschaft mussten ausfallen und werden jetzt wochenweise gegeben, um nicht mehr als zwei Lehrer pro Woche in eine Klasse schicken zu müssen. "Die Klassen sollen sich ja nicht mischen." So würden Inhalte fehlen, die in anderen Jahren geprüft werden. "Es werden Jahrgänge kommen, von denen man nicht verlangen kann, dass sie den Lehrplan voll verinnerlicht haben", so Guerin. Der Meinung ist auch Markus Schmidl: "Die Anforderungen sind nicht vergleichbar zu Routinejahren, weil wir berücksichtigen, dass da viele Dinge fehlen müssen."

Das Problem sieht Nicole Storz in Grafing ebenfalls. Sie reagiert mit einer Umfrage auf der Lehrplattform Mebis, über die ermittelt werden soll, wie groß die Lücken sind und wo gegengesteuert werden muss. "Eigentlich müsste der Stoff reduziert werden", sagt Englischlehrerin Frobenius, "und zwar auf die nächsten Jahre gesehen." Sollten die Schulen erneut geschlossen werden, will man in Kirchseeon mit einem morgendlichen Weckruf starten, bei dem die Schüler anwesend sein müssen, um sie besser bei der Stange zu halten. Direktorin Storz will auch das über eine Mebis-Umfrage sicherstellen. Zwischen 8 und 8.30 Uhr müssen sich die Gymnasiasten einwählen, wer es nicht tut, soll gemeldet werden, außerdem ist eine Videosprechstunde geplant. Schulaufgaben fielen zwar aus, aber mündliche Noten dürfen inzwischen auch im Distanzunterricht gemacht werden.

Was aber nicht ersetzt werden kann, ist all das, was Schule schön macht. "Ein bisschen raufen oder einfach mal auf dem Schoß der Freunde sitzen - all das müssen wir unterbinden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das nichts ausmacht", beklagt Frobenius. Auch Konzerte, Wahlkurse, Austausch- und Klassenfahrten finden ja nicht statt, "all das, woran man sich später erinnert", sagt Direktorin Storz, "das ist schon ein Problem." Von einer "verlorenen Schülergeneration" aber will sie dennoch nicht sprechen. "Da muss man nicht so schwarz malen. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen!"

© SZ vom 07.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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