Aßling:Klimawandel im Stall

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Die Luft strömt von außen durch die Wand in einen gelben Schlauch (links oben) - und von dort in den Stall. (Foto: Christian Endt)

Die Spötzls aus Obereichhofen haben eine Lüftung installiert, die Kälber vor Krankheiten schützt. Mit ihrem System haben sie den Tierwohlpreis gewonnen - und immer mehr bayerische Bauernhöfe ziehen nach.

Von Korbinian Eisenberger, Aßling

Sindy gibt mehr Milch als alle anderen in Stall, aber es gibt Kühe, die haben strammere Euter. "Beim Melken wäre es einfacher, wenn sie bei ihr nicht so weit nach unten hängen würden", sagt August Spötzl junior und tätschelt Sindy am Kopf. "Aber wichtig ist ja, dass sie g'sund ist", sagt er.

Der 23-Jährige trägt Stallschuhe, eine ausgebeulte Hose, sein Hemd spannt über den Oberarmen. Spötzl ist der Chef im Stall, beim Melken, beim Füttern, beim Saubermachen - und bei der Optimierung der Lebensqualität. Rindviecher, sagt er, seien so sensibel wie der Mensch. Dicke Luft tue den Kühen nicht gut, im Stall muss deswegen ein gutes Klima herrschen, das ist August Spötzl wichtig. Und er meint das nicht im übertragenen Sinn.

Bauer August, Sohn August junior, Bäuerin Annemarie und Tochter Verena Spötzl füttern ihre Tiere nicht nur, sondern versorgen sie auch mit Frischluft. Ein Kalb schnauft schließlich achtmal so viel ein wie ein Mensch. (Foto: Christian Endt)

Der Zenzenhof steht in der Ortschaft Obereichhofen im südlichen Landkreis Ebersberg. Vorn geht ein Straßerl vorbei, wo ab und zu ein Bulldog um die Ecke biegt, hinter dem Hof öffnet sich der Blick auf eine Idylle aus Wiese und Wald. Hier, mitten in Oberbayern, hat die Familie Spötzl seit acht Generationen ihren Bauernhof stehen, besonders schön gelegen, aber ansonsten ein stinknormaler Milchvieh-Betrieb.

"Unsere Kälber sind seither pumperlg'sund"

Nur, dass dort jetzt eine Urkunde aus München in der Stube hängt, die den Spötzls an diesem Montag überreicht worden ist. Ihr Betrieb hat beim bayerischen Tierwohlpreis den zweiten Platz belegt, dafür gab es die Auszeichnung von Landwirtschaftsminister Helmut Brunner und 2500 Euro Preisgeld.

Der Grund: Die Spötzls haben vor einem Jahr ein System installiert, das es in Bayern erst selten gibt: eine Lüftungsanlage für ihre Tiere. In den beiden Kuhställen des Zenzenhofs hängen insgesamt drei Stoffschläuche, die über einen Ventilator Luft von außen ansaugen und über kleine Löcher in der Schlauchwand dorthin blasen, wo die jungen Kälber Milch aus Eimern zuzeln.

"Unsere Kälber sind seither pumperlg'sund", sagt August Spötzl junior. Die Spötzls hätten "eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie sich das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Nutztieren nachhaltig verbessern lässt", sagte Brunner bei der Verleihung im Ministerium.

Was banal klingen mag, kennen in Deutschland erst die wenigsten. Und auch August Spötzl musste eine Farmtour in die USA machen, wo sich die Lüftungsschläuche in den vergangenen fünf Jahren etabliert haben. Das System ist simpel, und für Lothar Knopf, Fachtierarzt für Zuchthygiene, effektiver als Medizin.

Weil Kälber achtmal soviel Luft durch die Lunge aufnehmen wie der Mensch, seien Schadstoffe in der Luft besonders schädlich, sagt Knopf. "Im Einstreu von herkömmlichen Ställen bildet sich Ammoniak und gelangt in die Schleimhäute", sagt er. Dies schwäche die Abwehrkräfte und das Wachstum, mache Kühe anfälliger für Krankheiten.

Auf dem Hof der Familie Spötzl, wo 70 Milchkühe und 80 Kälber im Stall stehen, hätten sie stets auf ihre Tiere geachtet, "das war aber nicht ganz einfach", sagt Bäuerin Annemarie Spötzl, die den Hof in den kommenden Jahren an ihren Sohn August übergeben wird. In den sogenannten Iglus, kleinen Boxen, wo Kälber einzeln in einer überdachten Kabine mit einer Öffnung nach vorne untergebracht sind, habe es immer auch Probleme gegeben. Einer der häufigsten Fälle sei Lungenentzündung bei den jungen Kälbern gewesen, was tödlich enden kann. Am Zenzenhof hatte der Tierarzt immer gut zu tun.

Dabei werden die bunten Schläuche mit den Löchern in Bayern seit 30 Jahren hergestellt - und auch verwendet. Allerdings nicht im Stall, sondern in Käsereien, beim Flugzeugbau oder in Autofabriken, wo die Ammoniakbelastung dem Menschen ansonsten schaden würde. In einem Stall ist das ähnlich, "die Leute, die im Stall die Belastung in der Luft messen, tragen Masken zum Schutz", sagt Knopf.

Mehr als die Hälfte der Bauern hat immer noch Probleme

Ihn stört, dass man dabei lange nicht an die Kühe dachte. Dass die Stoffe auch für Tiere schädlich sind, beschäftigt die Landwirtschaft erst seit Kurzem, durchgesetzt hat sich das System aber noch nicht. "Mehr als die Hälfte der Bauern hat immer noch große Probleme, weil ihre Tiere an Atemwegs- und Hautkrankheiten leiden", sagt Knopf.

Aus Sicht des Ministeriums sind die Spötzls deshalb das ideale Positivbeispiel - eine Art Aushängeschild, mit dem sich auch die Hersteller des Systems gerne schmücken. Die Spötzls waren eine der allerersten Bauernfamilien, die sich die 10 000 Euro teuren Schläuche in den Stall einbauten. Knopf schätzt, dass sich bayernweit mittlerweile etwa 60 Betriebe das Luft-System zugelegt haben. Wegen der Gesundheit ihrer Tiere, der Qualität ihrer Produkte - und um langfristig Geld zu sparen.

Kurz vor vier, die Spötzls sitzen bei einer Verschnaufpause vor ihrem Hof, Annemarie Spötzl schenkt frische Kuhmilch aus. Gar nicht so einfach, in diesen Zeiten über die Runden zu kommen. Mehr Geld bekommen sie nicht für ihre Milch, da hat das Schild mit der 40-Cent-Forderung an der Hofwand genauso wenig geholfen wie die Lüftungsanlage. "Ich geh trotzdem gerne zum Melken", sagt sie.

Ob die Spötzls für ihre Milch irgendwann wieder mehr bekommen? Schwer zu sagen. Immerhin: Seit drei Schläuche Luft von außen nach innen blasen, habe es im Kälberstall nur noch einen Fall von Lungenentzündung gegeben. Die Produktionskosten sind also gesunken: Den Tierarzt mussten sie am Zenzenhof schon länger nicht mehr rufen.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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