Amtsgericht Ebersberg:Gefährliche Verfolgungsjagd

Lesezeit: 3 min

Ein 21-Jähriger wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Wer ist den Wagen gefahren, der vor zwei Beamten der Polizeiinspektion Ebersberg an einem Septemberabend 2020 mit Karacho geflohen ist? Ob es tatsächlich der 21-Jährige auf der Anklagebank war und damit der offizielle Fahrzeughalter, konnte während der Verhandlung am Ebersberger Amtsgericht nicht zweifelsfrei bewiesen werden - der junge Mann war angeklagt wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Sachbeschädigung. Für Richter Dieter Kaltbeitzer stellte sich die Sachlage trotzdem klar dar. An den Angeklagten gewandt sagte er kurz vor der Urteilsverkündung: "Ich sag's Ihnen ganz offen: Ich glaube, dass Sie gefahren sind." Der Glaube reicht vor Gericht aber nun einmal nicht aus für eine Verurteilung, der Prozess endete mit einem Freispruch für den 21-Jährigen aus dem Landkreis Ebersberg.

Die Tat, um die es ging, ereignete sich Anfang September vergangenen Jahres. In der abendlichen Dämmerung fuhr eine Person, laut Zeugenaussagen augenscheinlich ein Mann, mit einem Wagen vom Parkplatz eines Wirtshauses im Kreis Ebersberg. Soweit ist das nun nichts Ungewöhnliches oder gar strafrechtlich Relevantes - hätte der Fahrer dann nicht ordentlich das Gaspedal durchgedrückt, obwohl in dem Bereich das Tempolimit bei 30 liegt. Grund genug für die beiden Polizeibeamten, die auf Streife und zufällig hinter dem besagten Wagen unterwegs waren, Blaulicht und Sirene anzuwerfen: Verkehrskontrolle.

Davon wollte der Geschwindigkeitssünder jedoch nichts wissen - er trat noch mehr aufs Gaspedal und flüchtete, die Gesetzeshüter hinterher. Einmal hat die Polizistin am Steuer während der Verfolgungsjagd auf den Tacho gesehen - 150 Kilometer pro Stunde. So sagte sie es als Zeugin vor Gericht aus. Als es dann mit gut 130 Sachen durch eine 30er-Zone ging, hätten sie und der Kollege neben ihr auf dem Beifahrersitz noch kurz überlegt, die Verfolgung abzubrechen. "Es war einfach sehr gefährlich, mit einer solch hohen Geschwindigkeit durch diesen Bereich zu fahren", erklärte die Polizistin. Man müsse von Glück reden, dass niemand sonst auf den Straßen unterwegs gewesen ist. Denn andernfalls, als es über eine Kreuzung mit Vorfahrt gewähren ging, "wäre es mit Sicherheit zu einem Zusammenstoß gekommen".

Es ging dann noch ein ganzes Stück weiter. Über enge Ortsverbindungsstraßen, auf denen gerade einmal so zwei sich entgegenkommende Pkw Platz finden würden, wie der zweite Polizeibeamte, der auf dem Beifahrersitz die Verfolgung miterlebte und per Funk eine weitere Streife zur Verstärkung anforderte, aussagte. Einmal ging es dann auch querfeldein über eine Wiese, in der beide Fahrzeuge nur im Kriechtempo vorwärts gekommen seien. Und ein paar Mal hätte der Fahrer im Wagen vor ihnen das Licht von seinem Fahrzeug ausgeschaltet, wohl in der Hoffnung, dadurch die Polizei abschütteln zu können. Gelungen sind diese Manöver nicht, zunächst jedenfalls.

Als die Verfolgungsfahrt gut zehn oder 15 Minuten andauerte - das schätzten die Polizeibeamten, beide betonten aber, dass dies aber nur eine Schätzung über die Dauer der wilden Fahrt sei - stoppte der Flüchtige seinen Wagen auf einem Kiesweg. Die Beamten konnten nahe genug auffahren, um das Kennzeichen zu erkennen, bevor das Auto vor ihnen anfuhr und so rasant beschleunigte, dass eine Staubwolke die Sicht fast unmöglich machte. Der Autofahrer schaltete erneut die Scheinwerfer aus und so verlor sich die Spur.

Durch das notierte Kennzeichen konnten die Beamten den Fahrzeughalter ermitteln. Es war der 21-jährige Angeklagte. Unter dessen Anschrift trafen die Polizisten den Vater an. Dieser habe gesagt, so erinnerten es beide Beamten, dass sein Sohn mit dem Wagen unterwegs ist. Auch nachdem er über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wurde, das ihm als Vater eines mutmaßlichen Straftäters zusteht, habe er diese Aussage wiederholt.

Vor Gericht verweigerte der als Zeuge geladene Vater nun eine Aussage. Er widersprach außerdem, dass seine damaligen Äußerungen gegenüber der Polizei im Prozesse als Beweise verwendet werden dürfen - Beweisverwertungsverbot nennt sich das. Auch sein Sohn auf der Anklagebank gab keine Angaben zu der ihm vorgeworfenen Tat an.

Da die Polizisten vor Gericht beide aussagten, nicht gesehen zu haben, wer an besagtem Abend hinter dem Steuer des flüchtenden Wagens saß und somit auch nicht den 21-Jährigen als Fahrzeugführer identifizieren konnten, war es eben nur der Glaube an die Schuld des Angeklagten, die blieb. Kein Beweis. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch der Anwalt des Angeklagten plädierten auf einen Freispruch, den Richter Kaltbeitzer so auch verkündete. Den Fluchtwagen haben die Beamten übrigens noch am selben Abend mit laufendem Motor, offener Tür und eingeschaltetem Licht in einer offenstehenden Maschinenhalle im Umkreis der Verfolgungsjagd gefunden. Dort entstand ein Schaden in Höhe von fünf Euro an einem Regal. Vom Fahrer fehlte jede Spur.

© SZ vom 21.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: