Prozess in Ebersberg:Im Rausch der Geschwindigkeit

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Ein 22-Jähriger aus dem Landkreis Ebersberg liefert sich wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei. Dabei durchbricht er Straßensperren und rast durch einen Bauernhof. Nun gibt es ein Urteil.

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

Es sind Szenen, wie sie sich ein Hollywood-Drehbuchautor nicht besser hätte ausdenken können: Ein roter Sportwagen rast mit mehr als 200 Stundenkilometern durch die dunkle Nacht, verfolgt von einer Polizeistreife, die Mühe hat, auf der unübersichtlichen Strecke Schritt zu halten. Um seine Verfolger abzuschütteln, nutzt der Flüchtige zwei enge Kurven, die er abkürzt, indem er quer durch einen Bauernhof donnert. Kieselsteine wirbeln durch die Luft, dann ist der rote Wagen endgültig in der Nacht verschwunden. Dessen Fahrer ist nun aber wieder aufgetaucht - und zwar auf der Anklagebank des Ebersberger Amtsgerichts.

Dort musste sich der 22-Jährige, der zum Zeitpunkt seiner Straftaten im mittleren Landkreis gewohnt hat, unter anderem wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennen, gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verantworten. Die eingangs geschilderte hollywoodreife Szene, die sich zwischen Motzenberg und Halbing im Norden der Ebersberger Kreisstadt zugetragen hat, war nämlich nur die Spitze des Eisbergs. Bereits zuvor hatte sich der junge Mann eine wilde Verfolgung mit der Polizei geliefert und dabei auch mehrere Straßensperren durchbrochen.

Begonnen hatte die Jagd Mitte Juni 2019 auf der Autobahn in der Nähe von Traunstein, als eine Streife den Beschuldigten kontrollieren wollte. Dieser habe daraufhin aufs Gas gedrückt und sei davongerast, wie der Staatsanwalt aus der Anklageschrift verlas. Mit mehr als 250 Kilometern pro Stunde sei er auf der A 8 in Richtung München unterwegs gewesen, selbst zwei Straßensperren konnten ihn nicht stoppen. Bei der ersten sei der Mann so eng an den Polizeibeamten vorbeigerast, dass diese sich nur noch mit einem Sprung über die Leitplanke hätten retten können, auch die zweite Sperre habe er einfach umfahren. "Es war reiner Zufall, dass es nicht zum Zusammenstoß kam", sagte der Staatsanwalt.

Immerhin hatten die Beamten nun das Kennzeichen des jungen Rasers und wollten diesen an seiner Wohnadresse abfangen. Als er aber die Streife vor seinem Haus bemerkte, ging die wilde Fahrt durch den Landkreis Ebersberg weiter, bis die Beamten im Norden der Kreisstadt die Verfolgung aufgeben mussten, nachdem der Angeklagte quer durch ein landwirtschaftliches Anwesen gefahren war. Wie sich später herausstellte, hatte sich dabei eine Kuh so erschrocken und am Euter verletzt, dass das Tier wenig später notgeschlachtet werden musste.

Aus der Anklageschrift ging ebenfalls hervor, dass sich der junge Mann bereits wenige Tage zuvor einer Polizeikontrolle auf der A 95 zwischen Penzberg und Wolfratshausen entzogen hatte. Auch dort war er vor den Polizeiautos geflüchtet und mit 240 Stundenkilometern durch eine Baustelle gerast. Erlaubt war dort lediglich Tempo 60. Ein Zeuge, den der Angeklagte dabei überholt hatte, sagte im weiteren Prozessverlauf, er habe Mühe gehabt, sein Auto in der Spur zu halten, so stark sei die Druckwelle durch den vorbeischießenden Wagen gewesen.

Es waren ohnehin die Zeugenaussagen, auf die sich Richter Markus Nikol und seine beiden Schöffen stützen mussten. Der Angeklagte selbst wollte sich zunächst nicht äußern. Die Beweislast allerdings war von Beginn an erdrückend. So erzählte etwa ein Polizeibeamter von der Verfolgungsjagd durch Ebersberg: "Das vergisst man nicht." Die Geschwindigkeit sei so hoch gewesen, dass die Beamten aufgeben mussten, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Auch die übrigen Polizisten stützten die Vorwürfe aus der Anklage und berichteten in teils schriftlichen Aussagen, wie knapp der junge Mann mit seinem Sportwagen an ihnen vorbeigefahren sei und dabei bereits mit zwei Rädern in den Straßengraben gedriftet war.

Nach dieser Beweislage blieb dem Angeklagten nicht mehr viel übrig, als die Taten zu gestehen und damit den Gang ins Gefängnis noch abzuwenden. Das hatte ihm zuvor der Staatsanwalt eindringlich nahegelegt. Der 22-Jährige rechtfertigte seine Raserei mit privaten Problemen mit seiner Verlobten und seinen Eltern. Dann habe er sich eben nachts ins Auto gesetzt und sei durch die Gegend gefahren. Dass dabei "nur" eine Kuh getötet worden ist, sei "reiner Zufall", wie Richter Nikol sagte. Es habe ein "extremes Gefährdungspotenzial" bestanden, so der Vorsitzende, der den jungen Mann schließlich zu einem Jahr Freiheitsstrafe zur Bewährung verurteilte. Außerdem wurde sein Auto eingezogen und er muss für zwei Jahre seinen Führerschein abgeben. Er könne froh sein, dass niemand zu Schaden gekommen sei, so Nikol abschließend, "sonst wäre es Mord".

© SZ vom 13.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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