E.T.A.-Hoffmann-Preisträgerin:"Ich ermutige zur Abenteuerlust"

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Viera Janárčekovás Werk ist umfangreich. Sie komponiert Oratorien genauso wie Klavierkonzerte und Kammermusik. (Foto: Ulrich Holbein)

Die slowakische Komponistin Viera Janárčeková gilt als experimentierfreudige und hintergründige Musikerin. In Bamberg, wo sie seit zehn Jahren lebt, ist ihr nun der renommierte E.T.A.-Hoffmann-Preis zuerkannt worden

Interview von Martin Köhl

Für ihre "herausragenden Kompositionen, geprägt von Frische, Klangabenteuern und Experimentierfreude, für ihre katalysatorisch heitere Rolle im Bamberger Musikleben" wird die Musikerin und Komponistin Viera Janárčeková mit dem E.T.A.-Hoffmann-Preis der Stadt Bamberg ausgezeichnet. Janárčeková wurde 1941 in der Slowakei geboren und musste 1972 emigrieren, da sie als nicht regimekonform galt. In der Bundesrepublik erhielt sie politisches Asyl, seit 2010 lebt sie überwiegend in Bamberg. Der E.T.A.-Hoffmann-Preis ist mit 6000 Euro dotiert, er wird alle zwei Jahre vergeben.

SZ: Frau Janárčeková, Sie sind die erste exilierte Künstlerin, die mit dem großen Kulturpreis der Stadt Bamberg bedacht wurde. In Ihrem Geburtsort Svit scheint man stolz auf Sie zu sein. Wie ist heute Ihr Verhältnis zur slowakischen Heimat ?

Viera Janárčeková: 30 Jahre der Deutschen Einheit sind ebenfalls 30 Jahre der endlich demokratischen Staatsbildung der Slowakei. 1990 war ein Befreiungsschlag, der auch mich wuchtig betraf. Zwar hielt man die Freundschaften aus der Ferne; sie überstanden die jahrelange Trennung. Jetzt kann man Freunde persönlich treffen, über Welt sinnieren, Ideen skizzieren, gemeinsame Aktionen planen. In meiner Heimat gibt es großes Interesse an meinen Kompositionen, die in der Hauptstadt Bratislava oft erklingen, meist auf dem Festival "melos-ethos". Bei solchen Gelegenheiten halte ich Seminare für junge Komponisten an der Hochschule für Musik - so kommen neue Musikfreunde dazu. Als ich die Slowakei nicht besuchen durfte, fehlten mir bitter die geliebten Berglandschaften.

In Ihrem Werdegang fällt ein prominenter Name besonders auf: Sie haben bei Zuzana Růžičková in Prag studiert, die damals weltweit als die Ikone des Cembalospiels galt. Was verdanken Sie ihr?

Ah, sie war phänomenal! Wir nannten sie unter uns zärtlich "Zuzanka". Sie spielte entzückend die französischen Clavecinisten, Scarlatti, und großartig J.S. Bach, dessen Werke, auch Konzerte und Kammermusik sie komplett für die Firma Erato in Paris aufnahm. Von ihr lernte ich, historische Quellen mit pulsierender Aktualität zu verbinden, eigene Urteilskraft zu schärfen, leidenschaftlich an der individuellen, aber wohlbegründeten und durchdachten Interpretation zu arbeiten. Sie vereinte in schönster Weise künstlerische Größe mit der menschlichen.

Ist aus diesen Lehrjahren auch ein besonderes Interesse an der Alten Musik gewachsen? Später haben Sie sich ja doch eher dem Klavier zugewandt.

Nicht automatisch ist alles, was als Alte Musik bezeichnet wird, von hohem Niveau, genau wie bei Neuer Musik. Bei Gesualdos Madrigalen geh' ich in die Knie. Eigentlich habe ich Klavier studiert - Cembalo war ein wundervoller Seitensprung - und ein wichtiger! Denn bei Růžičková lernte ich Bach zu interpretieren - und nie aufzuhören, tiefer vorzudringen, ja, zu experimentieren ...

Als Sie sich zunehmend der Tonsetzerei widmeten, sind Sie da auf Vorbehalte gestoßen, so nach dem Motto "Frau und komponieren - na ja"?

Dieser schiefe Blick hat sich zum Glück im Lauf der Jahre verändert, dank überzeugender Leistungen vieler Komponistinnen.

Bereits vor Jahrzehnten emigrierten Sie nach Deutschland und sind mittlerweile auch seit Langem deutsche Staatsbürgerin. Was waren damals die Gründe für Ihre Entscheidung, ins Exil zu gehen?

Meine Akte bei der Geheimpolizei war ungünstig und verfolgte mich von Stelle zu Stelle. Die Kontrolle und politischen Zwänge nach der Okkupation 1968 ließen kaum noch Luft zum Atmen, und zum Verbiegen habe ich kein Talent.

Vor zehn Jahren führte sie ein Stipendium nach Bamberg. Erinnerte Sie die barocke Architektur an Ihre Heimat?

Aus der Stipendiaten-Wohnung im Erlacher Hof schaute ich direkt an Peter Parlers Apsis der Oberen Kirche. Das war der Morgengruß. Und in den Nächten, als ich nach der Arbeit über den verwaisten Domplatz ging, traf ich nicht selten den von Hradčany heimkehrenden Kafka. Intensität, Klangkultur, Wärme, Virtuosität - die Bamberger Symphoniker sind meine geistige Heimat ...

Schaut man auf Ihr umfangreiches Oeuvre, so fällt die Vielfalt der Gattungen auf, für die Sie komponiert haben, vom Oratorium über das Klavierkonzert bis zur klein besetzten Kammermusi k. Wo fühlen Sie sich denn am meisten zu Hause?

Zugegeben - Streichquartett, wenn schon dann schon, die Königsdisziplin, wobei ich plane, alle meine Neuerungen und klanglichen Errungenschaften einmal aufs Orchester zu übertragen - ich warte nur auf eine reale Gelegenheit dazu.

Haben Sie einen Personalstil entwickelt, den Sie für unverwechselbar halten?

Jeder der 67 679 Künstlersozialkassenkünstler sollte einen ganz eigenen Personalstil entwickeln, der ihn von den 67 678 vergleichbaren Künstlern deutlich abhebt. Ohne viele materialbedingte Überschneidungen oder dubiose Verwandtschaften kommt man nicht aus. Mich betreffend: Akustisch-inhaltliche Selbstbestimmung; Synthese von Klang und Geräusch; Organischer Formfluss, untergründige Dramaturgie, Multidimensionalität der Töne.

Was ist Ihnen wichtiger: die Anerkennung durch Fachleute oder der Zugang zu möglichst breiten Publikumsschichten?

Breit? Dann müsste ich Pop schreiben ... siehe das Hörertypen-Kapitel in der witzigen, lesenswerten "Einleitung in die Musiksoziologie" von Adorno. Ich mute dem Publikum Einiges zu, wende mich an offene Hörer, damit sie neue Erfahrungen machen, eigene Grenzen, festgezurrte Meinungen aufweichen, ich ermutige zur Abenteuerlust. Möge der Unterschied zu Fachleuten klein werden.

Zu E.T.A. Hoffmann scheinen Sie eine besondere Affinität zu haben. In der Cellokomposition "Quadratura" verwenden Sie die Vortragsbezeichnungen "zwielichtig, fantastisch, E.T.A.-esk". Glauben Sie, die ins Hier und Heute versetzte Dreifachbegabung Hoffmann hätte in den Noten wesensverwandte Züge entdeckt?

Das hätte er! Das Hintergründige, Skurrile, mal Rätselhafte, mal Freche; meine grafischen Partituren könnten von seinen Figuren gezeichnet sein, von Kreisler, Medardus und wer weiß, von Anselmus oder Veronika? Hier ein Blatt von Meister Floh zur fröhlichen Betrachtung.

© SZ vom 09.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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