Um nach dem ersten Selbstmordversuch seiner Mutter wieder ins Lot zu kommen, reicht dem Siebenjährigen schon der sprechende Sockenhund an der Hand einer Lehrerin. Um diesen Jungen bis ins Erwachsenenalter zu verfolgen und seine Nöte so plastisch werden zu lassen, dass es einen fast zerreißt, braucht es ebenfalls nicht viel.
Philipp Moschitz bewegt sich im Café des Metropoltheaters mitten unter den Gästen und pickt sich Leute heraus, die für ein paar Minuten die Rollen besetzen, die es in Duncan Macmillians Monolog "All das Schöne" auch noch gibt: den Vater, die große Liebe oder die Tierärztin, die an der Jacke, die Moschitz anstatt der sterbenden Hündin Dolly im Arm hält, mit ihrer Kuli-"Spritze" den Oberschenkel verfehlt. Nur die Mutter bekommt in Jochen Schölchs Inszenierung keinen Körper und kein Gesicht. Sie erscheint in den Liedern, die Moschitz am Klavier singt, und in den Listen, die ihr Sohn für sie angelegt hat über alles, wofür es sich zu leben lohnt, und die von 1. "Eiscreme" bis 999.998 "Unpassende Songs in gefühlvollen Momenten" mit ihm reift.
"All das Schöne" ist die erste Premiere im Metropol nach dem Streit um das vermeintlich antisemitische Stück "Die Vögel" und der erneute Beweis, dass Schölch vermintes Gelände nicht scheut. Diesmal geht es um Depressionen und die Tentakeln, die sie in die Umgebung ausstrecken, aber auch um Resilienz und Trost. Und lässiger als Moschitz einem dieses Wechselbad der Gefühle einschenkt, kann man das gar nicht machen.
Eben noch dirigiert er ausgelassen den Zuschauerchor, der ihm die magischen Dinge zuruft, die das Dasein einzigartig machen, einen Moment später steht er mit Tränen in den Augen mitten im schwarzen Nichts der eigenen Depression. Ein großer kleiner Abend, der traurig und glücklich macht.