Polizei:Sigrid Kienle ist die Chefin von 85 Drogenermittlern

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"Ich versuche, die Steine für meine Mitarbeiter aus dem Weg zu räumen", sagt Sigrid Kienle. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Und damit eine echte Ausnahme. Denn in Bayern schaffen es kaum Frauen in den höheren Dienst bei der Polizei - nur 0,1 Prozent.

Von Susi Wimmer

Am Kleiderständer im Büro hängt ein blauer Damenblazer, daneben die schwarze Polizeieinsatzweste mit Pfefferspray und Handschellen. Sigrid Kienle strahlt zur Begrüßung; blondes langes Haar, blaue Augen, Sommersprossen, sportliche Figur. Die Frau auf ihr Äußeres zu reduzieren, wäre allerdings fatal.

Denn die 39-Jährige hat nach der Mittleren Reife beim Verfassungsschutz und dem Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) einen Blitzaufstieg hingelegt, dass es einem beim Aufzählen ihrer Karriereschritte schon fast schwindelig werden könnte. Zur Zeit leitet die Kriminalrätin das Sachgebiet Synthetische Drogen am LKA, gleichzeitig ist sie stellvertretende Dezernatsleiterin Rauschgift, und damit Chefin von 85 Ermittlern.

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Wie viele Frauen es bei der Polizei in Bayern in den höheren Dienst schaffen? In Prozent: 0,1.

Hätte irgendjemand Sigrid Kienle vor 20 Jahren diese Karriere prophezeit, sie hätte energisch den Kopf geschüttelt. Zum einen, weil sie aus familiären Gründen das Gymnasium nicht besuchen konnte und sich somit von ganz unten hocharbeiten musste. Zum anderen hatte das Mädchen aus dem Schongau in ihrer Jugend einen ganz anderen Traumberuf im Kopf: Bankkauffrau wollte sie werden. "Weil die Frauen an den Bankschaltern so adrett und hübsch aussahen und man als Kind immer was geschenkt bekommen hat."

Eine Banklehre - hübsch, aber langweilig

Allerdings kletterte sie mit ihren großen Brüdern lieber auf Bäumen rum, trampelte durch den Matsch oder durchstreifte Wälder und Kiesgruben. Und da waren noch die Polizistenbrüder in der Nachbarschaft "die waren nett, so richtig Freund und Helfer". Als sie dann ihren Eltern eröffnete: "Ich werde Polizistin", bekam sie zur Antwort: "Lern' erst einmal was Gescheites. Polizei ist nichts für Frauen."

Und weil es die Eltern so wollten, fing die 16-Jährige dann doch in der Bank an. Zweieinhalb Jahre Ausbildung, ein Jahr in der Kundenberatung. Adrett und hübsch. Dann hatte sie die Schnauze voll. "Ja mei, Bank war schon langweilig." Seit ihrem 17. Lebensjahr stand sie ohnehin auf eigenen Beinen, musste sich selbst versorgen, mit der Volljährigkeit konnte sie nun auch ihre eigenen Entscheidungen treffen.

So trat sie im März 1996, vor genau 20 Jahren, ihren Dienst in Königsbrunn an. Was sie aus der Bankzeit gelernt hat? "Dass die mit den dicksten Autos oft die mit den Schulden auf der Bank sind. Also Blender." Nebenbei bemerkt sollten ihr ihre Bankkenntnisse später beim Verfolgen von kriminellen Finanzströmen nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York noch von Nutzen sein.

Sigrid Kienle hat an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster studiert und ihre Masterarbeit über "Die islamistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten" geschrieben. Sie hat beim Landesamt für Verfassungsschutz der operativen Einheit angehört, sich auf die Bereiche Islamismus und Organisierte Kriminalität spezialisiert und nebenbei arabisch gelernt. "Weil ich wissen wollte, ob ich ein Kochrezept in der Hand halte oder eine wichtige Information."

Sie hat im LKA die Konzeptionierung des neuen Dezernates Cybercrime mit angeschoben. Und sie war in einer Projektgruppe des Bayerischen Innenministeriums, die bundesweite Katastrophenschutzpläne auszuarbeiten hatte. Das Szenario: acht Simultananschläge in vier Ländern, von der Zugentgleisung bis zur "schmutzigen Bombe".

Nach Ausbildung und Einsatzhundertschaft, als sie dem Einsatzzug in Weilheim angehörte, stand sie zur Unterstützung in Schongau als Frau in Uniform allein auf weiter Flur. Allein unter Männern. "Dieses Klischee, dass Frauen bei der Polizei gemobbt oder nicht ernst genommen werden, habe ich selbst nie bemerkt", sagt sie. Natürlich sei der Job für Frauen, die Angst haben, dass die Frisur schlecht sitzt, eher weniger geeignet. "Aber generell denke ich, es kommt nicht darauf an, ob Mann oder Frau. Sondern welcher Typ man ist und die Art, wie man mit Menschen umgeht."

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Kein Frauenbonus

Wobei, einmal reichte allein schon ihre weibliche Erscheinung aus: Ihr Ausbilder und sie wurden in Schongau zu einer Schlägerei in ein Wirtshaus gerufen. Der Täter: ein polizeibekannter Aggressivling, wieder einmal hackedicht. "Du bleibst im Auto sitzen", befahl ihr Chef. Er stieg alleine aus. Da torkelte der Schläger aus dem Haus, ein Schrank von einem Mann, aggressiv und auf Streit aus. Ihren Ausbilder mit dem Typen alleine lassen? Kam für Sigrid Kienle nicht in Frage. Also stieg sie aus und ging auf den Mann zu. Der sah sie nur an, begann zu grinsen und nuschelte: "Mei, so a nette Polizistin." Und schon war die Sache erledigt.

Im Gang des LKA an der Barbarastraße hängen Bilder von kuriosen Drogenlaboren, irrwitzige Konstruktionen, verschlungene Glasröhren und Schläuche, einmal auf einer Waschmaschine aufgebaut, das andere Mal direkt neben dem Klo platziert. Drogenlabore, die die Fahnder des LKA ausgehoben haben. Daneben hängen schmucke, antik anmutende Bilder in barocken Rahmen. In den protzigen Rahmen hatten die Schmuggler Zehntausende Tabletten Ecstasy versteckt.

Arbeit im Team

Synthetische Drogen gibt es schon lange. Ecstasy, Amphetamin, Crystal. Seit einiger Zeit schon machen den Fahndern die NPS zu schaffen, die neuen psychoaktiven Substanzen. "2015 starben in Bayern doppelte so viele Menschen nach dem Konsum von NPS als im Vorjahr." Hinzu kämen viele Intoxikationen, Gesundheits- und psychische Schäden der Konsumenten. Da viele der Substanzen, mit denen teils willkürlich gepanscht wird, nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, hat die Polizei nicht so viel Handlungsspielraum. "Da müssen wir mehr auf Prävention setzen", sagt Kienle.

Sie bittet morgens ihre 22 Mitarbeiter im Sachgebiet zur Besprechung. Sie gibt das Programm vor, sagt, wo es hingehen soll, setzt die Schwerpunkte. Nach Beratung durch ihre Mitarbeiter, das ist ihr wichtig. Sie kümmert sich um die Personalsituation, Ressourcenbeschaffung, die Technik. "Ich versuche, die Steine für meine Mitarbeiter aus dem Weg zu räumen", sagt sie. Und wenn ein "wichtiger Kunde" festgenommen wird, wie jüngst im Bayerischen Wald ein Marihuana- und Amphetamin-Dealer, dann ist die Chefin mit dabei und leitet den Einsatz.

Es ist ihr Traumberuf geworden, das steht für Sigrid Kienle außer Frage. Hinschmeißen wollte sie nur einmal, als sie bei der Bereitschaftspolizei in der Einsatzhundertschaft Anweisungen auszuführen hatte, deren Sinn sich ihr nicht wirklich erschloss. Sie lernte auch Frustrationstoleranz: Dass man beispielsweise im Streifendienst die weniger schönen Dinge des Lebens zu sehen bekommt, man nicht immer helfen kann. Der erste Unfall mit Schwerverletzten, die erste Leiche. "Man funktioniert in solchen Situationen einfach", sagt sie. Die erste Leichenschau, die vertrockneten Augen eines Toten, das Bild ist ihr bis heute im Kopf geblieben. "Aber", sagt sie, "es belastet mich nicht."

Das Büro von Sigrid Kienle ist schlicht eingerichtet, kein Schnickschnack, Dienstpläne, zwei Fotos, der LKA-Kalender, das war's. Im Vordergrund zu stehen, sagt sie, sei nie ihr Ding gewesen. Aber sie hat es lernen müssen, "das muss man als Chef". Was sie von Haus aus mitgebracht hat, war ein unglaublicher Wissensdurst. "Ich bin neugierig und sauge alles auf wie ein Schwamm."

So war sie übrigens nach ihrer Zeit in Weilheim als 24-jährige Polizeiobermeisterin zum Landesamt für Verfassungsschutz gekommen: "Ich habe da einfach angerufen und gesagt: ,Mich interessiert, was Sie da machen, darf ich mal vorbeikommen?'" Sie durfte. Und blieb.

Leistungswille und scharfer Verstand

Sigrid Kienle meisterte ihre Aufgaben beim Staatsschutz und der Führungsgruppe des LKA, sie war mit 35 Jahren bei der Inspektion Friedberg die erste Frau als Dienststellenleiterin im Präsidiumsbereich. Bei ihrer Antrittsrede dort hat sie sich einfach vor die Mannschaft gestellt und gesagt: "Ich komme vom Verfassungsschutz, ich habe von der Schutzpolizei nicht viel Ahnung, lasst uns das gemeinsam machen." Die altgedienten Polizeihaudegen zogen mit. "Ich brauche einfach die Abwechslung", sagt sie und grinst.

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Aber es ist nicht nur die Abwechslung, die ihren Lebenslauf so auffällig macht. Es ist auch der Leistungswille, ihr scharfer Verstand. Nicht umsonst hat sie alle Hürden beim Aufstieg im Polizeidienst mit Bravour gemeistert. Sie kann sich schnell in neue Gebiete einarbeiten, analytisch denken. "Wenn sich ein Berg auftürmt, dann krieg ich Struktur rein."

Kontrastprogramm zum stressigen Job

Wie sie ausspannt? Beim Mountainbiking, in den Bergen, in der Oper oder im Rockkonzert - und bei ihren unzähligen Reisen rund um die Welt. 2010 war sie in Jerusalem, als ein israelisches Elitekommando Schiffe der "Solidaritätsflotte" für den Gazastreifen attackierte. Sie war allein dort unterwegs, nur mit einem Rucksack . Ein Bekannter sagte: "Ihr müsst weg, es gibt Krieg." Und dann schleuste er sie in ein Flüchtlingscamp der Palästinenser. Sie besuchte ein Märtyrerhaus, wo selbst den Kindern der Märtyrertod vorbestimmt war. Sie sah die Ausweglosigkeit der Palästinenser in der Westbank.

Etwas Sinnvolles zu tun in ihrem Beruf, das ist ihr wichtig. "Mut, Tatkraft, Einfühlungsvermögen", zählt sie auf. Das seien die wichtigsten Eigenschaften in ihrem Job. Bei dem Pensum, das sie privat und beruflich absolviert, müsste man wohl noch Ausdauer anfügen. Aus dem Ärmel ihrer taillierten Bluse lugt ein schwarzes Armband hervor. "Ein Aktivitätstracker", sagt sie. Das Ding kann den Puls messen, die Schritte, den Kalorienverbrauch, die Herzfrequenz . . . Klingt, als ob das Ding ihr Leben kontrolliert. "Nein", sagt sie und lacht, "ich kontrolliere das Ding."

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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