Kurse:Selbstverteidigung für Frauen: "Ihr habt nur eine Chance"

Lesezeit: 5 min

Kurse: Rick Henderson war ein guter Kämpfer, kein Redenschwinger. Nun hat er das Reden zu einer Stärke gemacht.

Rick Henderson war ein guter Kämpfer, kein Redenschwinger. Nun hat er das Reden zu einer Stärke gemacht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der ehemalige Kickbox-Weltmeister Rick Henderson bringt Frauen Selbstverteidigung bei. Seit den Übergriffen in der Silvesternacht häufen sich die Anfragen.

Report von David-Pierce Brill

Rick Henderson zückt sein Handy und zeigt einen kurzen Film. "Das musst du dir geben", sagt der US-Amerikaner, spielt den 19-Sekunden-Clip immer wieder ab. Die verwackelte Aufnahme der BBC zeigt eine Frau, die in Frankreich von einer Gruppe Männer eingekreist und überall am Körper angefasst wird. "Wie die Wölfe", regt sich Henderson auf und stellt klar: "Frauen dürfen keine Opfer sein. Niemals."

Die Frauen im Studio "Primabella" hören aufmerksam zu. Selbstverteidigungstrainer Henderson macht klare Ansagen, bereitet sie auf Angriffe von Männern vor: Ein Täter greift eine Frau von hinten an, umklammert sie, will sie auf den Boden werfen. Henderson ist kein Fan von Worten. Aggressivität müsse man mit Aggressivität begegnen: "The more aggressive the more success", sagt er und pusht die Frauen: "Denkt daran: maximal schmerzen."

Rick Henderson, 56 Jahre alt, arbeitet seit 1995 als Selbstverteidigungstrainer in München. Seit den Übergriffen in der Silvesternacht melden sich viele Frauen bei ihm, erzählen von ihren Sorgen, wollen an einem seiner Kurse teilnehmen.

Henderson ist Fitness-Nomade, fährt täglich von Studio zu Studio. Seine Kunden sind Privatleute, Firmen, Konzerne, Frauen und Männer. Der Coach steht ständig unter Zeitdruck, der Terminkalender ist voll. So wie einst Rocky Balboa in den Spielfilmen durch die Welt rannte, tourt Henderson durch die Münchner Fitnessszene - nur mit Fahrrad. Henderson ist auf den ersten Blick ein rauer, harter Kerl, mit dem nicht zu spaßen ist. Er passt besser in einfache Muckibuden als in Fitness-Oasen der gehobenen Preisklasse: Mit knapp 1,75 Meter ist er nicht allzu groß für einen Mann, aber dafür durchtrainiert, Mütze ins Gesicht gezogen, olivgrüne Funktionshose, schwarze Lederjacke. Bei seinen Touren durch die Stadt hängt er selbst gemachte Zettel auf. In großen, roten Lettern prangt dort "WARD", Women aggressive reaction defence. Selbstverteidigung für Frauen.

Es mag Zufall sein, dass in dem Wort "War", Krieg, steckt. Henderson bezeichnet sich selbst als "Martial Artist", als Kriegskünstler. Ob er ein Krieger ist? Ein Lebenskrieger sei er, aber keineswegs gewalttätig: "Das Ziel meiner Kampfkunst ist es nicht zu zerstören, sondern Frieden und Harmonie herzustellen."

Auf der anderen Seite sagt er Sätze wie: "Jeder hat das Recht, sich zu verteidigen." Oder: "Manchmal hilft reden nicht, da muss man das Mitgefühl zur Seite legen."

Ein Widerspruch? Henderson ist ein Mann mit bewegter Vergangenheit, der nicht immer so stark war, wie er heute auftritt. Zögerlich berichtet er von seiner Jugend in den amerikanischen Südstaaten. Zwar spürte er selten Rassismus, wurde aber als kleiner - wie er sagt, "friedfertiger" - Junge verprügelt, bis es ihm irgendwann reichte und er trainierte. Es folgte der Armeedienst, bei dem er seinem Vater nacheiferte, schließlich kam er nach Augsburg, trainierte in einem kleinen familiären Studio, in dem er sich zu Hause fühlte.

Die Zeit prägte ihn stark. Erst kämpfte er Halbkontakt, wurde aber oft disqualifiziert, weil er dafür zu stark gewesen sei und alle K. o. schlug. Im Vollkontakt, Kickboxen für die wirklich harten Jungs, fühlte er sich wohler und wurde 1987 Weltmeister. Das Entscheidende für den Erfolg: Er konnte nie genug kriegen, wie er heute nicht ohne Stolz findet. Der reife Henderson lacht über sein jüngeres Ich, das sich nach 300 Sit-ups die Leiste brach.

Der erhoffte Weltruhm als Kämpfer blieb aus. Der Gedanke bringt ihn ins Stocken. Leicht wehmütig sagt er: "Mann, hätte ich einen Promoter gehabt, hätte ich in Filmen mitspielen können." Seinen Erfolg habe er erst Jahre später so wirklich registriert: "Ich konnte nicht gut sprechen und habe nie die Bühne gesucht", sagt er. "Ich konnte eben gut kämpfen." Zu wenig für eine Weltkarriere im Showgeschäft Boxen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema