Die Blade Night - ein Selbstversuch:Riesenschlange auf Rollen

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Zitternde Waden, Rock-Klassiker und kreischende Fans: Die Blade Night ist zu einer Münchner Institution geworden.

Philipp Crone

Die Tricks sind schon beeindruckend. Eine Frau rast auf ihren Inline Skates mit einem vollen Bierglas in der Hand direkt auf eine Bank zu - und stoppt im letzten Moment, ohne einen Tropfen zu verschütten. Ein junger Mann nimmt Anlauf, fährt genau auf seinen Freund zu und weicht im allerletzten Moment mit knirschenden Rollen aus. Es ist Montagabend, den Wetterprognosen zufolge wird es nicht regnen, und auf dem Platz der Alten Messe sammeln sich an die 2000 Menschen.

Gemeinschaftserlebnis Blade Night: Pärchen fahren Händchen haltend, einige Teilnehmer sind beim Fahren in Diskussionen vertieft, andere sind einem Flirt nicht abgeneigt. (Foto: Foto: Robert Haas)

Familien, Schüler, alt und jung kurven umeinander. Es herrscht Aufbruchstimmung. Ein DJ spielt einstimmende Rock-Klassiker, Grüppchen finden sich zusammen, die Schutzkleidung wird angelegt. In einer halben Stunde geht es los, auf die mit 21,5 Kilometern bisher längste Strecke, die jemals bei einer Blade Night in München gefahren wurde. Ein Grund mehr, sich zum ersten Mal auf Inline Skates zu stellen. Und da gibt es einiges zu sehen: Kreischende Frauen, plötzlich auftauchende Hindernisse, rasante Flirts.

"Cool, wir sind ganz vorn!"

Die Münchner Blade Night geht in ihre zehnte Saison. Was mit zwei Abenden im Jahr 1999 anfing, ist nun eine feste Größe in München. Veranstaltungsleiter Jörg Senninger sagt: "Wir hatten einen Boom bis vor fünf Jahren. Da kamen einmal sogar 37.000 Teilnehmer." Nun sind es im Schnitt 10.000. Und es gibt kaum mehr Probleme. Die Leute haben sich an die Veranstaltung gewöhnt.

Es ist auch alles gut vorbereitet. Acht signal-orange gekleidete Ordner-Teams umgeben den Blader-Zug, dazwischen rollen die "Sani-Skater", 24 Sanitäter für die Erste Hilfe, und wo der Tross vorbeikommt, sperren Polizisten auf Motorrädern die Straßen, wie bei einem Staatsempfang.

Um kurz vor 21 Uhr treffen sich die Ordner-Teams. Team sechs hat 38 Mitglieder und ist für das Ende des Zuges zuständig. Einige stärken sich noch schnell mit Gummibärchen, während Teamleiter Andi sagt: "Wer zu langsam ist, der wird an der U-Bahn abgesetzt." Die Warnung ist beim Reporter angekommen. Zwei junge Frauen fahren sich schon einmal warm. Eine sagt: "An einem lauen Sommerabend über die Leopoldstraße zu fahren, ist einfach toll. Und ich mag die Leute, dazu gibt es Musik, und hinterher hat man auch noch was geleistet." Es geht los.

Eine zwei Kilometer lange Schlange auf 16.000 Rollen macht sich auf den Weg. Vorne Blaulicht, dahinter jubelnde Blader. Zwei kommen von der Seite dazu, einer sagt: "Hey cool, wir sind ja ganz vorne!" Aber nicht lange. Auch der Reporter wird pro Sekunde dreimal überholt.

Sport, Sightseeing und Sozialkontakte

Einer guckt mitleidig und sagt: "Die Füße enger zusammen, dann geht's leichter." Es geht vor allem erst einmal bergab, über eine rote, eine gelbe und eine grüne Ampel. Die Waden zittern auf dem rohen Asphalt, Pärchen fahren Händchen haltend, andere sind in Diskussionen versunken, wieder andere überholen konzentriert. Es ist wie beim Schlittschuhlaufen im Eisstadion, nur dass es nicht im Kreis, sondern mitten durch die Stadt geht.

Die Blader wählen ihre Route zwischen Bürgersteig, Fahrradweg und Straße. Zwei Männer überholen lässig. Der Linke meint: "Und dann hat sie gesagt, dass das mit uns beiden nicht so weitergehen kann." Die Blade Night bietet drei Dinge im Paket: Sport, Sightseeing und Sozialkontakte.

Der Zug rollt auf die Paul-Heyse-Unterführung zu, es geht bergab. Plötzlich heben die vorderen Ordner ihre Hände. Das Stopp-Signal für alle. Bremsen. Einige ungeübte Frauen kreischen und rufen: "Bremshilfe!" Sofort kommen Ordner angefahren und rollen vor den Damen her, die sich an den Rücken der Helfer festhalten. An der nächsten Kurve stehen Passanten und schauen neugierig zu, eine Gruppe von Kindern feuert die Fahrer an. Wer ratschen oder flirten will, hat spätestens nach zwei Kilometern einen Gesprächspartner gefunden.

Angestrengte Gesichter

Über Schwabing geht es in den Norden, über den Frankfurter Ring und wieder zurück. Der Disco-Anhänger wippt gemütlich zur Musik. Nach knapp zwei Stunden ist der Zug zurück, es ist ruhiger, die Beine sind schwer. Auf dem Alten Messeplatz zerstreut sich die rollende Schlange schnell. Manche besetzen einen Platz auf den Bierbänken, andere geben ihre geliehenen Knie- und Ellbogenschützer zurück. Die meisten haben Anstrengung im Gesicht und trinken erst einmal Isotonisches.

Der Flirtfaktor auf der Strecke? Eine Frau sagt: "Klar, man kann ja immer mal jemanden aus Versehen leicht anstoßen." Eine andere Dame ist etwas unglücklich, sie ist zum ersten Mal mitgefahren. "Man sieht einfach nicht gut aus mit Helm und den ganzen Schützern." Aber es habe ihr Spaß gemacht, die gemeinschaftliche Atmosphäre sei schön. "Und ich bin auch von einem netten jungen Mann angesprochen worden - ich solle doch bitte schneller fahren."

Manche setzen sich und stöhnen. Sie genießen den Moment, in dem sie aus den harten Inline Skates wieder in bequeme Schuhe wechseln. Um kurz vor 23 Uhr ist der Platz voll, und hier entsteht die nächste Schlange. Die ist allerdings nur kurz und bewegt sich ganz langsam: Es ist die vor dem Bierstand.

© SZ vom 21.05.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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