Studieren in München:Wie finanzielle Hürden das Studium erschweren

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Jessica Oredein will Menschen mit Behinderung helfen. Aber ob sie mit Kind und ohne Vermögen den Master schafft, weiß sie noch nicht. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Nirgendwo in Deutschland ist ein Studium so teuer wie in München - vor allem wegen der hohen Mietpreise.
  • Viele Studierende bekommen Bafög, Hilfe von den Eltern oder jobben nebenbei.
  • Neben der Möglichkeit, einen Studienkredit aufzunehmen, gibt es zahlreiche Stipendien für die verschiedensten Zielgruppen.

Von Manuel Kronenberg

Erstaunlich, welche Gelassenheit die junge Frau mit den rot gefärbten Locken ausstrahlt. Andere in ihrer Situation wären wohl deutlich angespannter. Mit ihrer Tochter auf dem Arm betritt Jessica Oredein das StuCafé in der Hochschule in Pasing. Gerade hat sie die Einjährige aus der Kita abgeholt. Die Kleine wird dort momentan noch eingewöhnt, eine Stunde am Tag. Oredein zieht den Hochsitz an den Tisch und setzt ihre Tochter ab. "Hast du Hunger?", fragt sie dann. "Möchtest du eine Banane oder was zu knabbern?" Das Mädchen strahlt nur und klopft mit ihren kleinen Händen auf den Tisch. Oredein holt eine Banane aus ihrem Rucksack, zieht die Schale auf und reicht ihrer Tochter das Obst.

Im Herbst hat die 26-Jährige an der Hochschule München den Masterstudiengang "Gesellschaftlicher Wandel und Teilhabe" begonnen. Doch noch steht auf der Kippe, ob sie das Studium durchziehen wird. Denn sie weiß noch nicht, mit welchem Geld sie es bezahlen soll - und dann ist da noch ihre Tochter.

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Oredeins Wunsch ist es, Menschen mit Behinderung zu helfen. "Da wollte ich erst gar nicht hin", erzählt sie. Doch beim Freiwilligen Sozialen Jahr in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung hat sie gemerkt: "Genau das habe ich gesucht."

Ihre Eltern sind beide keine Akademiker, ihnen liegt viel daran, dass Oredein die höchste Bildung erreicht, die sie erreichen kann. Den Bachelor hat sie schon geschafft, in Darmstadt. Da war die Finanzierung noch gesichert - mit Bafög, Nebenjob und einem kleinen Zuschuss von ihren Eltern. Doch nun hat sich ihre Lage geändert. Sie wohnt wieder in München und bekommt kein Bafög mehr, da ihre Eltern in Reichweite des Studienorts leben. Aber Oredein führt mit Freund und Tochter einen eigenen Haushalt. Die Mieten sind höher als in Darmstadt. Und neben dem Studium noch zu arbeiten, würde sie nicht schaffen, ohne ihr Kind zu vernachlässigen.

Ohne Job gelingt es jedoch nur wenigen jungen Leuten, ihr Studium zu finanzieren. Das zeigt eine Sozialerhebung, die 2016 im Auftrag des Deutschen Studentenwerks durchgeführt wurde. Eine gesonderte Auswertung für München ist in diesem Jahr erschienen. Dort heißt es, dass in München neun von zehn Studierende Unterstützung von den Eltern bekommen. Doch das allein reicht meist nicht aus: Knapp drei Viertel der Studierenden sind erwerbstätig. Der deutsche Durchschnitt liegt bei rund 70 Prozent.

Am häufigsten sind Jobs als Babysitter, in einem Büro oder in der Gastronomie. Bafög spielt in München zwar auch eine wichtige Rolle, der Anteil derer, die keinen Antrag stellen, ist im Vergleich zu ganz Deutschland aber relativ hoch. Oliver Leitner vom Studentenwerk München sagt, dass im vergangenen Jahr Bafög an etwa 10 000 Studierende ausgezahlt wurde. Das sind knapp neun Prozent derer, die für eine Förderung theoretisch in Frage kommen.

Da für Jessica Oredein weder Bafög noch ein Job eine Option sind, muss sie nach anderen Wegen suchen, um ihr Studium zu finanzieren. Zumal sie einen Kita-Platz braucht, weil sie ihre Tochter nicht immer in die Vorlesung mitnehmen will. Auch der kostet Geld. Noch kann Oredein auf Erspartes aus einem Jahr Arbeit nach dem Bachelor zurückgreifen. Sie bekommt auch Kinder- und Familiengeld. Auf Dauer wird das aber nicht reichen. Inzwischen ist sie fast schon Expertin für Finanzierungsfragen. Sie hat Anträge auf Wohngeld und Kindergeldzuschlag gestellt, dazu hat sie beantragt, dass die Kosten für die Kita vom Jugendamt übernommen werden. Die Entscheidungen stehen noch aus. "Es braucht viel Geduld", sagt die Studentin. Bald bleiben nicht mehr viele Möglichkeiten. Wenn sie alle Optionen abgeklappert hat, wird sie Hartz IV beantragen. Das wäre aber wirklich nur die letzte Notlösung. Sollte selbst das nicht klappen, wird sie ihr Studium wohl abbrechen.

Oliver Leitner vom Studentenwerk sieht für einen Hartz-IV-Antrag in Oredeins Situation kaum Chancen. Ein Studium sei zwar nicht mehr wie früher ein Ausschlusskriterium, "leider gilt dies aber nur für Studierende, die bei den Eltern wohnen", so Leitner. "Darüber hinaus gibt es nur Leistungen für Mehrbedarfe, zum Beispiel für Alleinerziehende." Optimistischer beurteilt er Oredeins Chancen auf Wohngeld. Generell rät er zu den vielfältigen Beratungsangeboten des Studentenwerks: Dort könne man sich einen Überblick über alle Finanzierungsmöglichkeiten machen.

Neben Bafög, Eltern und Nebenjob gehören dazu die Aufnahme von Studienkrediten oder die Förderung durch Stipendien. "Studienkredite sind natürlich nicht die erste Wahl, da sie voll und mit Zinsen zurückzuzahlen sind", urteilt Leitner. "Wer auf Unterhalt von den Eltern, Bafög oder ein Stipendium zurückgreifen kann, sollte das unbedingt tun."

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Viele derjenigen, die ein Stipendium gut gebrauchen könnten, denken oft gar nicht daran, sich zu bewerben, erzählt Matthias Schmid von der Münchner Gruppe der Beratungsinitiative "Arbeiterkind.de". Er war selbst mal in dieser Lage. Seine Eltern sind beide keine Akademiker und kennen sich deshalb mit Themen rund ums Studium überhaupt nicht aus. Als Schmid angefangen hat zu studieren, wusste er nichts von der Möglichkeit, durch Stipendien gefördert zu werden und hat 20 Stunden in der Woche gearbeitet.

Mittlerweile promoviert er und engagiert sich für angehende Studierende, in deren Familien zuvor noch niemand auf der Universität war. Viele von ihnen trauen sich ein Studium nicht zu, sie glauben, dass sie nicht in dieses Umfeld passen, erzählt Schmid. Er motiviert sie, es zu probieren und kann vor allem dabei helfen, die richtigen Stipendien herauszusuchen und sich zu bewerben.

"Wir hatten zum Beispiel mal eine afghanische Schülerin aus einer Flüchtlingsfamilie hier. Sie war die Älteste von sechs Kindern und wollte unbedingt Medizin studieren", erzählt Schmid. Doch sie habe sich nicht einmal Lehrbücher für das Abitur leisten können. Schmid konnte ihr ein Schülerstipendium vermitteln. Inzwischen studiert sie mithilfe eines anderen Stipendiums Pharmazie. So etwas sei schön, sagt Schmid, wenn man sehe, dass Leute ihren Weg gehen, auch wenn anfangs alle mit dem Kopf schütteln.

Auch Jessica Oredein hat lange nicht über Stipendien nachgedacht. Muss man dafür nicht extrem gute Noten haben? "Da war ich immer ein bisschen pessimistisch", sagt sie. Aber mittlerweile fragt sie sich, warum sie denn nicht in Frage kommen solle. Es gebe ja auch Stipendien extra für Mütter. Sie ist entschlossen: Für das kommende Semester wird sie sich bewerben.

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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