Kultur in Dachau:Abseits vom Bach-Mainstream

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Der Dachauer Kammerchor und das Instrumentalensemble Bohn treten in der Dachauer Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt gemeinsam auf. (Foto: Niels P. Jørgensen)

In der voll besetzten Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt lassen der Dachauer Kammerchor und das Instrumentalensemble Bohn das Weihnachtsoratorium des Komponisten erklingen - mit überschäumender Freude, aber auch purer Dramatik.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Für die einen ist Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Weihnachtsoratorium nur mit Riesenchor und -orchester ein echtes Erlebnis. Die anderen halten es eher mit den Gegebenheiten, die Bach bei seinem Amtsantritt im Jahr 1723 als Kantor und Musikdirektor in Leipzig vorgefunden hatte. Waren doch seinerzeit die Thomaner kein Riesenchor, sondern bestanden aus vier Chören mit je acht Sängern und Musikern, die in den Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai sowie in St. Peter und der Neuen Kirche täglich ihren Dienst versehen mussten - Mädchen waren und sind nicht zugelassen. Doch die Jugendlichen waren viel zu oft eher unmotiviert, worunter die Qualität litt, wie Bachs Eingaben an den Rat der Stadt Leipzig zu entnehmen ist. Ganz anders ist es um den Dachauer Kammerchor bestellt, das zeigte dieser am Samstag in der gut besuchten Kirche Mariä Himmelfahrt.

Mächtige Paukenschläge, tirilierende Flötentöne

Unter der Leitung von Christiane Höft sangen 24 bestens vorbereitete, hochmotivierte Frauen und Männer die Kantaten I, V und VI des Weihnachtsoratoriums - eine kluge Zusammenstellung. Steht doch zunächst die Geburt Christi im Mittelpunkt und in den Kantaten V und VI die Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenland, inklusive der Mordplänen des Herodes, der das personifizierte Böse symbolisiert. Den Instrumentenpart hatte das Ensemble Bohn übernommen. Die Gesangsolisten waren Julia-Sophie Kober (Sopran), Gillian Crichton (Alt), Bernhard Schneider (Tenor) sowie Mattias Lika (Bass).

In einem Gemeinschaftswerk gestalteten sie eine Aufführung, die sich in mehrfacher Hinsicht vom Weihnachtsoratorium-Mainstream abhob. Ihre Musik konnten sich in dem weihnachtlich geschmückten Gotteshaus erst richtig entfalten: der himmelhoch jauchzende, unwiderstehliche Zauber von schönen Stimmen, mächtige Paukenschläge, tirilierende Flötentöne und der jubilierende Trompetenklang des Eingangschores.

Weil Mariä Himmelfahrt eine - auch in Sachen Krippe und Christbaum - eher schlicht ausgestattete Kirche ist, wirkten die Erzählungen aus dem Lukas- und Matthäus-Evangelium umso eindringlicher und ließen so manchen Gedanken ins trostlose Bethlehem des Jahres 2023 abschweifen.

Chor, Instrumentalisten und Solisten überzeugen vom ersten Ton an mit ihrer Strahlkraft. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nicht alltäglich war auch die Zusammenstellung der Kantaten: Sind doch im Konzertbetrieb vorzugsweise die Kantaten I bis III zu hören - und seltener die Kantaten IV bis VI. Dabei hat Bach dieses Oratorium für die sechs Fest- und Sonntage von Weihnachten bis zum Dreikönigstag komponiert und 1734 jeweils nur eine Kantate pro Tag in den beiden Leipziger Hauptkirchen aufgeführt.

Chor, Instrumentalisten und Solisten überzeugten vom ersten Ton an mit einer Strahlkraft, die das Dachauer Publikum in der voll besetzten Kirche zunächst aufhorchen und dann tief in die Bach'sche Musik versinken ließ. Mal glückselig, voll überschäumender Freude, dann wieder ganz andächtig, ein anderes Mal flehend oder tröstend, aber immer empathisch und beseelt: Alle Mitwirkenden zeichneten in vielen Facetten die biblischen Geschichten nach.

Für pure Dramatik sorgte Sopranistin Julia-Sophie Kober

So entstand unter dem unaufgeregten, souveränen Dirigat von Christiane Höft so etwas wie eine geistliche Oper mit vielen Höhepunkten und mit ausgesprochen guter Textverständlichkeit. Sie erleichterte die Konzentration auf das Wesentliche: die untrennbare Einheit von Wort und Musik.

Tenor Bernhard Schneider war als Evangelist weniger der unbeteiligte Berichterstatter. Vielmehr setzte er in seinen Rezitativen und Arien mit seinen Sängerkolleginnen und Sängerkollegen deutliche Akzente. Sie besagten: Hier handelt es sich nicht um Alltagsgeschichten, hier wird von einem einmaligen Ereignis berichtet, einem Wunder, das jede und jeden angeht.

Bassist Matthias Lika war ein großartiger Kommentator des Geschehens, einer der sich nicht beirren lässt, die Hoffnung niemals aufgibt. Altistin Gillian Crichton sang so innig schön, so sehnsuchtsvoll, dass einem ganz warm ums Herz wurde. Für pure Dramatik sorgte Sopranistin Julia-Sophie Kober. Und das Ensemble Bohn? War einfach nur himmlisch, sei es als Ganzes oder in den vielen Solopartien. Sie alle machten dieses Weihnachtsoratorium zu einem großartigen Erlebnis, das noch lange nachhallen wird.

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