Wasserturm Dachau:Gemalte Friedensbotschaften

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Mit einer Ausstellung von bewegenden Kinderzeichnungen erinnert der Förderverein des Dachauer Wasserturms an den polnischen Pädagogen Janusz Korczak, der 1942 jüdische Waisen freiwillig in die Gaskammer in Treblinka begleitete.

Andreas Glas

Die Gemälde der Dachauer Schüler thematisieren den Nazi-Schrecken aus der Kinderperspektive heraus, die Bilder sind Friedensbotschaften. (Foto: © joergensen.com)

Dachau - Lino Sprizzi wirkte etwas verloren, wie er da im ersten Stock des Wasserturms saß. Dann hielt Eva Haller ihre Rede, die Präsidentin der Janusz Korczak Akademie. Tief gerührt sei sie gewesen, als sie die Bilder an den Wänden der Ausstellungsräume gesehen habe. So tief offenbar, dass ihr mitten in der Rede die Stimme versagte. Fotograf Sprizzi saß nur da, gut verpackt im Wintermantel, und schaute ernst durch die runden Gläser seiner Designer-Brille. Kein Anzeichen, dass er sich geschmeichelt fühlte. Aber wieso auch? Haller hatte nicht über Sprizzi gesprochen, sondern von den Kindergemälden, die neben den Bildern des italienischen Fotografen hingen. Überhaupt redete am Montagabend kaum jemand über Sprizzi. Im Zentrum der Vernissage zur Dachauer Janusz-Korczak-Woche standen die Kinder - und das in jeder Hinsicht.

Mit der Ausstellungswoche von 19. bis 25. November erinnert der Förderverein Dachauer Wasserturm an Janusz Korczak, dessen Tod sich zum 70. Mal jährt. Im Jahr 1942 opferte der polnische Pädagoge freiwillig sein Leben, um die jüdischen Kinder seines Waisenhauses zu begleiten - in den Gaskammer-Tod im Vernichtungslager Treblinka. Dieses Schicksal haben Kinder der Greta-Fischer-Schule und der Grundschule Dachau-Nord künstlerisch thematisiert, ihre Bilder sind Kern der Ausstellung und hängen zwischen gerahmten Korczak-Zitaten an den Wänden der Ausstellungsräume im Wasserturm.

"Ich war deshalb so berührt, weil ich Korczaks Zitate beim Betrachten der Bilder gefühlt habe", sagte Eva Haller zu den vier jungen Künstlern, die stellvertretend für ihre Mitschüler zur Vernissage gekommen waren. Es sind Bilder, die einen ganz eigenen Blick werfen auf den grausamen Nazi-Mord an den jüdischen Waisenkindern - einen Blick durch Kinderaugen.

Da ist zum Beispiel dieses blau umrahmte Wasserfarben-Gemälde, das eigentlich aus zwei Bildern besteht, in der Mitte durch einen schwarzen Längsstrich getrennt. Auf der linken Seite geht ein schwarzes Männlein auf dunkle Wolken zu, auf der rechten Seite hat die Sonne die Wolken verdrängt und das Männlein steht auf einer Blumenwiese. Oder mit den Worten der Greta-Fischer-Schüler ausgedrückt: Links gehen "die Kinder in den Tod. Rechts verdrängt die Sonne die dunklen Wolken. Wir vermuten, dass die Kinder nach der Gaskammer in den Himmel gekommen sind; und dass sie das bekommen haben, was sie sich erhofft haben und nie mehr Furcht haben müssen" - so steht es auf einer Plakette unter dem Gemälde. Mit ihren Bildern, sagte Haller, sei es den Dachauer Schülern gelungen, Korczaks Waisenkinder "zum Leben zu erwecken."

Es sind friedliche, teils idyllische Bilder, in die sanft und doch wirkungsvoll der Schrecken dringt. Auf den ersten Blick ganz anders wirken die Gemälde der Grundschüler aus Dachau-Nord, die im dritten Stock des Wasserturms ausgestellt sind. Auf den zweiten Blick offenbart das Thema ihrer Bilder dann aber doch eine inhaltliche Parallele: die kindliche Sehnsucht nach Frieden in einer Erwachsenenwelt, die aus den Fugen geraten ist. Die Malereien und Basteleien der Grundschüler sind freilich plakativer als die der älteren Greta-Fischer-Schüler, aber nicht weniger nachdenkenswert: Kinder aller Kulturen fassen sich an den Händen, um eine Menschenkette um den Erball zu bilden; bunte Hände aus Tonpapier, die ihre Finger zur Versöhnung ausstrecken; in Origamitechnik gefaltete Friedenskraniche. Die Werke der Kinder sind Friedensbotschaften - ganz im Sinne Janusz Korczaks.

Nicht unmittelbar mit Korczak zu tun haben die Fotografien von Lino Sprizzi, die gewissermaßen einen stimmigen Kontrast bilden zu den Bildern der Kinder. Sprizzis Porträtfotos gewinnen ihren Reiz, indem sie die Perspektive der Schülergemälde umdrehen. Statt durch Kinderaugen hindurch, schaut der Betrachter nun hinein in ihre Augen. Was die Fotos figurativ zeigen, steht in Buchstaben übersetzt in einem der gerahmten Korczak-Zitate, die zwischen den Sprizzi-Bildern platziert sind: "Verlangen wir Respekt vor leuchtenden Augen, glatten Stirnen, jugendlicher Anstrengung und jugendlichem Vertrauen."

Sprizzi, hauptberuflich Manager bei Fiat, hat Kinder unterschiedlicher Kulturen in ihrer jeweils traditionellen Tracht fotografiert. Entstanden sind die Fotos nicht auf einer Weltreise, sondern auf einem Straßenfest in Zürich. Es sind Momentaufnahmen, die kleine Kinder in edlen Stoffen zeigen, mit Spitzenhäubchen und Kopftüchern aus Seide. Vermutlich angezogen und zurecht gemacht von ihren Eltern, sind sie Aushängeschilder für die Traditionspflege einer Erwachsenenkultur, die mit den Kindern selbst nichts zu tun hat. Und doch hat ihr Blick etwas eigenwilliges, eine eigene Haltung zu all der Folklore, die für die Kinder nichts weiter zu sein scheint als ein großes Kostümfest. Mit anderen Worten: Sprizzis "Unposed portraits" zeigen keine Pappfiguren, sondern selbstbestimmte Wesen. Und so spiegelt sich in den Fotografien auch ein Leitsatz Korczaks wider: "Kinder werden nicht erst zu Menschen, sie sind es heute schon."

Neben der Ausstellung veranstaltete der Förderverein Dachauer Wasserturm am Mittwoch eine Gesprächsrunde in den Ausstellungsräumen - zum Thema "Jüdisches Leben heute". Der Anlass hierfür war Janusz Korczaks selbstloser Einsatz für jüdische Waisenkinder und dessen eigene jüdische Abstammung. In dieser Runde beantworteten Eva Haller und die Musikerin Michaela Rychlá Fragen zum Alltag der heute in Deutschland lebenden Juden und berichteten über noch immer vorherrschende Vorurteile. Am längsten sprachen Haller und Rychlá darüber, dass an vielen Schulen noch immer kein jüdischer Religionsunterricht angeboten werde. Kurzum: Auch in der Gesprächsrunde standen die Kinder im Mittelpunkt.

Die Dachauer Janusz-Korczak-Woche dauert noch bis Sonntag, 25. November. Jeweils von 15 bis 18 Uhr ist die Ausstellung im Dachauer Wasserturm geöffnet.

© SZ vom 22.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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