Prozess:Vater soll seinem vier Wochen alten Sohn ein Bein gebrochen haben

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  • Ein Baby wird mit einem quer gebrochenen Oberschenkelschaft ins Krankenhaus gebracht.
  • Der 23 Jahre alte Vater kann nicht genau erklären, wie das Kind die Verletzung bekommen hat.
  • Nun muss sich der junge Mann wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen vor Gericht verantworten.

Aus dem Gericht von Christiane Bracht, Dachau

Abends kommt der Vater mit seinem Kind in die Notaufnahme des Nymphenburger Krankenhauses. Der Säugling schreit, ist überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Der Vater wirkt ratlos. Das linke Beinchen des Jungen ist offensichtlich verkürzt und geschwollen. Die Ärzte entdecken zwei größere Hämatome, eins am Hintern und eins am linken Oberschenkel, das sich bis zur Leistengegend zieht. Die Röntgenaufnahmen bestätigen schnell den Verdacht der Ärzte: Das vier Wochen alte Kind schreit nicht umsonst. Es hat große Schmerzen.

Der Oberschenkelschaft ist gebrochen, nicht glatt, sondern quer. Durch die Muskelspannung haben sich die Knochen an der Bruchstelle verdreht - eine sogenannte Spinalfraktur. Die Ärzte sind alarmiert: Brüche im ersten Lebensjahr sind ungewöhnlich, die Erklärung des Vaters, wie es zu dem Bruch gekommen ist, halten die Ärzte nicht für plausibel. Sie erstatten Anzeige. Das Jugendamt wird eingeschaltet. Jetzt muss sich der 23 Jahre alte Vater, ein Karlsfelder, wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen vor dem Dachauer Amtsgericht verantworten.

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Die zentrale Frage in der Verhandlung ist: Was geschah wirklich? Der Vater schweigt zunächst, seine Verlobte, die Mutter des Kindes, will auch nicht aussagen. Der Rechtsmediziner soll das Rätsel lösen. Doch auch er weiß keine Antwort. Er weiß nur: "Die Oberschenkelknochen sind die stabilsten im menschlichen Körper, schon von Anfang an. Sie halten viel aus, ohne dass sie kaputtgehen." Ein Schaukeln der Matratze reiche jedenfalls nicht aus, um eine solche Fraktur auszulösen, da ist er sich ganz sicher.

Im Krankenhaus Anfang Mai vergangenen Jahres hatte der Angeklagte angegeben, die Mutter habe den Kleinen gestillt und ins Bettchen gelegt. Um ihn zu beruhigen, habe sie an der Matratze geschaukelt. Da hörte sie plötzlich ein Knacken, das Baby schrie und es hörte trotz aller Besänftigungsversuche nicht mehr auf zu schreien.

Es müssen nun weitere Zeugen gehört werden, so viel ist sicher. Nachbarn, Ärzte und die Familienhelferin sollen nun angeschrieben werden. Richter und Schöffen haben die Hoffnung, der Wahrheit näher zu kommen, noch nicht aufgegeben. "Der Allgemeinzustand des Säuglings war stabil, die Pflege gut", erklärte der Rechtsmediziner. Abgesehen von den Hämatomen und dem Bruch gab es keine Hinweise darauf, dass das vier Wochen alte Kind misshandelt worden wäre: kein Schütteltrauma, keine Prellmarken oder andere Verletzungen.

Die Untersuchungen diesbezüglich seien sehr umfangreich gewesen, versichert er. Der anfängliche Verdacht auf eine Knochenerkrankung, die derartige Frakturen und Deformationen auslösen könnte, wurde nicht bestätigt. Der Junge war gesund. Davon zeugt auch die rasche Heilung. Der Bruch blieb folgenlos für den Kleinen. Er kann inzwischen laufen.

Die Fraktur konnte nur durch "intensive Gewalteinwirkung" geschehen, erklärt der Rechtsmediziner. "Ein Kind in dem Alter ist bewegungsunfähig und kann sich einen solchen Bruch nicht selbst zufügen. Es liegt im Bett und schreit oder nicht." Jemand müsse kräftig zugepackt und das Bein verdreht haben, sagt der Spezialist. Dem Jugendamt hatte die Mutter erklärt, der Vater habe das Baby fallen lassen. Doch auch diese Erklärung überzeugte den Rechtsmediziner nicht. "Es fehlt die Drehbewegung."

Wäre es möglich, dass jemand das Kind an den Beinen gepackt und aus dem Bett herausgezogen hat? Das will der Richter wissen. "Wäre möglich", sagt der Gutachter. Alle überlegen fieberhaft, was passiert sein könnte. "Wäre es möglich, dass der Säugling beim Herausnehmen mit dem Fuß im Gitter des Bettchens hängen geblieben ist?" Das ist eine Theorie des Verteidigers. Doch es war ein Reisebettchen mit Netz. "War männliche Gewalt nötig, oder hätte auch eine Frau den Bruch auslösen können?" "Musste es Vorsatz sein oder könnte es auch eine Fahrlässigkeitstat gewesen sein?" Die Fragen zeigen die Ratlosigkeit der Anwesenden, aber auch ihre Sorge: Mehr als 2300 Kinder und Jugendliche in Bayern liefen 2017 nach Einschätzung von Jugendämtern akut Gefahr, in ihren Familien körperliche oder seelische Schäden zu erleiden. Das sind rund 100 Jungen und Mädchen mehr als im Jahr davor.

Aber dieser Fall soll nicht dazugehören, wie der Vater beteuert. Er erzählt dem Gericht schließlich eine etwas verworrene Geschichte, dass ihm das Baby aus dem Arm gefallen sei und er es gerade noch am Bein gepackt habe, bevor es mit dem Kopf aufgeschlagen wäre. Danach sei es eingeschlafen, erst viel später beim Schaukeln der Matratze habe es geknackst und das Kind habe geschrien. Da erst habe er gemerkt, dass etwas nicht stimmte und sei sofort mit dem Taxi ins Krankenhaus gefahren. Die Verhandlung wird fortgesetzt.

© SZ vom 02.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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