Ausstellung in Dachau:Grufti-Nippes und flüchtige Madonnen

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Wie der Aufsatz eines Altarbilds wirkt der Horst aus zerschnittenen Schläuchen, in dem ein kitschiger Weißkopfseeadler seine Jungen füttert. Behling erzählt in seiner Arbeit "DU Munition (Genesis 3, 1991-2003)" die Vertreibung aus dem Paradies als Geschichte einer ökologischen Zerstörung, die die Amerikaner durch den Einsatz panzerbrechender Uranmunition im dritten Golfkrieg noch einmal verschärft haben. (Foto: Toni Heigl)

Der Berliner Künstler Thomas Behling zeigt mit seinen aus Sperrmüllfunden zusammengezimmerten Bildobjekten in der KVD-Galerie eine der wohl sonderbarsten aber auch interessantesten Ausstellungen, die bisher in Dachau zu sehen waren.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Moral steht im Mittelpunkt dieser Ausstellung, zentral platziert auf einem Sockel. In goldenen Lettern prangen die Worte auf einem mintgrün angemalten Schrein: "Die Moral". Im Inneren des mit Drechselarbeiten verzierten Kastens reckt die lebensechte Replik einer Hand ihren abgetrennten Zeigefinger in die Höhe, man sieht den blanken Knochen und eine blutige Wunde. Beim Umrunden des 86 Zentimeter großen Werks aus Holz, Gips, Acrylfarbe, Glas, Blattgold und Staub (offizielle Herstellerangaben), vervollständigt sich der umlaufende Text zu einem Spottgedicht: "Die Moral / von der Geschichte / verstehe ich / mitnichte."

Thomas Behling beschert Dachau die wohl merkwürdigste Ausstellung, die man dort in den vergangenen Jahren zu sehen bekommen hat. Der Titel "Bilder in Farbe mit Geschmack" trägt nicht das Geringste zum Verständnis bei. Es sind ja nicht einmal Bilder im eigentlichen Sinne, die der in Hannover geborene, aber in Berlin lebende und arbeitende Künstler zusammenzimmert, es sind Bild-Skulptur-Installationen, die oft aussehen wie eine Mischung aus Flohmarkt-Tand, postdadaistischem Readymade und elektrifiziertem Diorama. Behling bevorzugt allerdings den schnörkellosen Ausdruck "Bildobjekte".

"Die Moral von der Geschichte verstehe ich mitnichte." Ein Fingerzeig von Thomas Behling. (Foto: privat)

Das notwendige Bastelmaterial dafür liefern dem Meisterschüler des Bildhauers Yuji Takeoka die Straßen in seinem Kiez. "Es gibt viele Leute in Berlin, die ihren Sperrmüll auf die Straße stellen", erzählt der Künstler, vor allem rund um Silvester, wenn die Stadt tagelang nicht mit dem Aufräumen hinterherkommt. Behlingt nimmt, was er gebrauchen kann: Fotoporträts längst verblichener Ururonkel, maritime Kitschgemälde, ramponierte Uhrenkästen, defekte Radiowecker; sogar die komplette Rückwand eines T4-Transporters von VW ist so schon in seinem Fundus gelandet. In das Rückspiegelfenster dieses wuchtigen panzerartigen Gebildes hat er Caspar David Friedrichs berühmtes Gemälde "Abtei im Eichwald" wie in einer Guckkastenbühne nachgebaut, inklusive Grabkreuzen. "Es sollte etwas werden zwischen Spielzeug und Grufti-Nippes", sagt er grinsend und stemmt die Arme in die Hüften. Genannt hat er das Werk "Don't look back!" Eine göttliche Weisheit, die auch schon in einschlägigen Stellen des Alten Testaments zu finden ist, man frage nur Frau Lot.

Vom Trash zur Hochkultur ist es nur eine Armlänge

Dieses Changieren zwischen Kitsch und Kunst, zwischen Mythos und Popkultur, zwischen Parole und Parodie macht die besondere Ambivalenz von Thomas Behlings Arbeiten aus. Hier ist fröhliches Assoziieren angesagt, nicht kühle Analyse. Die aus dem Erdboden fahrende Hand der eingangs beschriebenen "Moral" kennt man als Schockszene aus jedem Zombiefilm. Vom Trash zur Hochkultur muss man den Fokus nur eine halbe Armlänge verschieben: Die auf ein verstecktes Deckenfresko mit dem Planeten Erde gerichtete Fingerspitze weckt Assoziationen zu Michelangelos berühmtem Gemälde "Die Erschaffung Adams". Und das abgetrennte Fingerglied in dem Schaukasten - kennt man das nicht irgendwie auch von den Reliquienschreinen in den Grüften katholischer Kirchen?

Die Innenraumwand eines Kleintransporters wird zur Guckkastenbühne für eine Szene, die Bezug nimmt auf Caspar David Friedrichs berühmtes Bild "Abtei im Eichwald" von 1810, das zugleich eine Abkehr von der alten geistigen Welt markierte. Der Titel der Arbeit: "Don't look back!" (Foto: Toni Heigl)

Wir mögen im 21. Jahrhundert leben und uns modern und aufgeklärt wähnen, aber die alten Bilder- und Ideenwelten sind in unserer Köpfen noch so präsent, dass Behling deren Motive abrufen kann, ohne sie selbst darstellen zu müssen: Bei "Lost Idol" glänzt die Heilige durch Abwesenheit, es gibt nur einen Hintergrund aus weißer Farbe mit einer silhouettenhaften Lücke, aber die angedeuteten gekreuzten Finger und die fließenden Formen eines Kopftuchs genügen, um die Ikone einer Madonna ins Bewusstsein zu rufen.

Man sieht, was man erwartet zu sehen - oder was man sehen will. Hin und wieder führt Behling einen auch gerne mal auf vermintes Gelände: In der Serie mit dem Titel "Endlich Frieden mit der deutschen Geschichte" bildet er aus verschiedenfarbigen Hakenkreuzbriefmarken einen Regenbogen, Sinnbild für Frieden und Diversität. Darunter der handschriftliche Satz: "Ich wollte schon immer nicht wissen, wie sehr ich mich selbst verarschen kann." Es ist die ironische Inszenierung eines kollektiven Selbstbetrugs, eine der Briefmarken ist sogar gefälscht.

Ist da wer? Das vermeint abgeblätterte Heiligenbild hinter einer mit Fingerabdrücken übersäten Scheibe ist eine malerische Illusion. (Foto: Toni Heigl)

Besondere Aufmerksamkeit dürfte in dieser Ausstellung die Arbeit "We love German Weapons" finden. Das Motiv: Ein moderner Leopard-Panzer, ausgestattet mit Räumschaufel und Infrarotsensoren, rollt durch den Wüstensand. Der monumentale schwarze Holzrahmen aus sich türmenden Totenschädeln und einem spitzen Aufsatz, der an eine Pickelhaube erinnert, schlägt einen Bogen bis in den preußischen Militarismus und das Memento mori des Barock. Diese "Ästhetik von vorgestern" setzt Behling bewusst ein: So viel fortschrittlicher und klüger, wie wir es gerne wären, sind wir vielleicht doch nicht, und alles, was wir tun und lassen, geschieht in einem historischen Kontext. Diese Bedeutungsschwere wird durch ironische Details abgemildert, die sich erst bei näherer Betrachtung zeigen: Schrauben, Miniatur-Spielzeuggewehre, sogar harmlose Plastikgabeln, die ihre Wehrhaftigkeit nur durch ihre schwarze Bemalung behaupten.

"Egal was wir tun, wir werden Schuld auf uns laden"

Mit dem derzeit tobenden Krieg in der Ukraine hat die Arbeit übrigens nichts zu tun. Sie stammt von 2013 und nimmt Bezug auf einen Panzer-Deal mit Saudi-Arabien, der erst nach heftigen Protesten gestoppt wurde. Fragen kann man Thomas Behling ja trotzdem, wie er die Situation in der Ukraine und das Thema Waffenlieferungen sieht. "Die aktuelle Situation ist einfach fürchterlich", sagt er leise. "Egal was wir tun, wir werden Schuld auf uns laden." Und aus diesem Dilemma gebe es auch keinen Ausgang. Letztlich sind es die Politiker, die die richtigen Antworten finden müssen, die Aufgabe der Kunst ist es, die richtigen Fragen zu stellen.

Makabere Votivtafel mit Leopard-Panzer: "We love German weapons". (Foto: Toni Heigl)

"Sonnenaufgang auf Lesbos I" tut das. Die Arbeit aus Holz, Hartfaserplatten und Teerpappe sieht von außen aus wie eine Hundehütte, die man entlang der Dachkante in zwei Hälften zersägt hat und eine davon dann an die Wand genagelt hat. Wer einen Blick durch das winzige Guckloch in der Seitenwand wagt, sieht einen winzigen Ausschnitt einer felsigen Uferkante und ein von der Sonne beschienenes Meer. Lesbos hat es 2015 mit seinen entsetzlichen Zuständen in den Flüchtlings-Massenlagern auch hierzulande zu einiger Bekanntheit gebracht. Das Schicksal der Abertausenden von Menschen haben die meisten heute längst vergessen: aus den Augen, aus dem Sinn. Das zeigt Behling - gerade indem er es nicht zeigt. "Ein Bild", sagt er, "ist ein imaginärer Raum." So geht es in dieser Ausstellung letztlich mehr um die Vorstellung als um die Darstellung der Dinge.

Behlings Bildobjekte sind so konzipiert, dass sich beide Ebenen auf raffinierte Weise ineinander verschachteln. Rahmen und Bildmotiv korrespondieren ebenfalls, und oft ist auch noch eine Glasscheibe verbaut, die eine zusätzliche Ebene einzieht und den Betrachter auf Distanz hält. Oft ist das Glas nicht entspiegelt und nimmt den Ausstellungsbesucher als Reflektion mit im Motiv auf, bisweilen sind die Scheiben bewusst staubig belassen und bilden so eine künstliche Membran, einen Schleier oder Filter. Wer in diesem zwischen Unfug und Tiefsinn mäandernden Labyrinth irgendwann nicht mehr durchblickt, sei mit dem Titel des Katalogs zu Behlings Bildobjekten getröstet. Er trägt den Titel "Erste Warnung vor einem Zusammenhang".

" Bilder in Farbe mit Geschmack". Ausstellung von Thomas Behling in der Galerie der KVD Dachau. Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag 16 bis 19 Uhr, Sonntag 14 bis 18 Uhr. Zu sehen bis 15. Mai.

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