Tassilo:Sein Wort hat Gewicht

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Willi Beck pflegt noch die alte Handwerkskunst des Bleidrucks. Damit dieses alte Wissen nicht verloren geht, gibt er es in seiner Manufaktur immer wieder an junge Leute auf der Walz weiter

Von Jana Rick, Dachau

Bei Willi Beck läuft man an vielen Pflanzen vorbei, eine kleine Treppe hinunter in den Keller. Dort riecht es nach Papier und Farbe. Es scheint, als würden sich die typischen Gerüche einer Bücherei und einer Werkstatt vermischen. Hier, im Tiefgeschoss seines Wohnhauses in Dachau, druckt der 69-Jährige seit fast 20 Jahren Plakate, Postkarten, Hefte, Bücher und Kalender. Und zwar von Hand, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Zeile für Zeile. In der Ecke des Kellerraums steht eine traditionelle handwerkliche Handabziehpresse, ihr gegenüber eine Reihe an beschrifteten Schubladen aus Metall. "Mager Futura" steht darauf. Oder "Helvetica". Beck kennt die Inhalte der nach Schriftart und Schriftschnitten geordneten Setzkästen auswendig, blind findet er darin das "kleine e" oder das "große A" zwischen den etwa zehn Tonnen Blei, die sich insgesamt in seinem Keller befinden. Mit schnellen und sicheren Handgriffen zieht er mit einer Pinzette die kleinen Bleilettern aus der Schublade und legt sie nebeneinander in einen sogenannten Winkelhaken. "Weder 1am noch ver2felt" kann man nun lesen. Der gelernte Schriftsetzer lächelt verschmitzt, er setzt und druckt gerne Wortspiele dieser Art, dieses Mal einen Satz, der in der Corona-Krise Hoffnung geben soll. Während Beck die fertig gesetzte Seite nun mit einer Ausbindschnur zusammenbindet, erzählt er seinen Weg zum Buchdruck. "Ich wollte Schrift begreifen lernen", erklärt er, "sie ist das tägliche Brot eines Grafikdesigners." Und so entschied sich der geborene Schwabe nach dem Schulabschluss für eine Lehre als Schriftsetzer. Mit Schwung hebt der heute pensionierte Grafikdesigner die fertige Satzform in einem "Schiff" hinüber zur Druckerpresse. Er legt ein dickes, glänzend grünes Papier längs an der Maschine an und schon setzt sich diese in Fahrt. Schwarze Farbe rollt über die Bleibuchstaben, und wenig später zieht Beck das gedruckte Werk hervor. "Einen perfekten Druck erkennt man daran, dass man nicht erkennt, dass er gedruckt wurde."

Beck ist einer der wenigen, der das Druckhandwerk noch ausübt. Er spricht realistisch über seine Leidenschaft, wenn er erzählt, dass der letzte Schriftgießer dieses Jahr in Rente gehen wird. "Der Beruf stirbt also 2021 aus." Genau das möchte Beck verhindern. Dafür ist er Mitglied des Vereins für die Schwarze Kunst e.V.. "Schwarz" steht dabei nicht für das Aussterben des Handwerks, sondern für die schwarzen Hände, die die Arbeit mit Blei mit sich bringt. Der Verein setzt sich seit 2013 dafür ein, das "handwerkliche Können des Schriftgießens, des Handsatzes und des Buchdrucks zu bewahren", so schreiben es die Mitglieder auf der Website. Um dies zu erreichen, setzen sie alles auf die Wissensvermittlung an die nächsten Generationen. Teil der Förderung ist auch das mittlerweile länderübergreifende Walzprojekt, bei dem sich junge Menschen unter 30 Jahren über mehrere Wochen hinweg auf eine Reise in die Welt der schwarzen Kunst begeben. 18 Betriebe, darunter Museen, Druckereien und eben die Manufaktur von Beck, können die Walzerinnen und Walzer besuchen und mit einer finanziellen Unterstützung zwei Monate lang die Grundlagen des Handsatzes und Buchdrucks erlernen.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Mehrere Tonnen wiegen die Bleilettern, die Willi Beck ...

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

... in den Setzkästen seiner Dachauer Manufaktur lagert.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Damit das Schriftbild sauber und gerade auf das Papier kommt, ...

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

... braucht es ein feines Fingerspitzengefühl.

"Wenn wir das Wissen erhalten möchten, müssen wir es weitergeben", ist auch die Einstellung von Beck. Und über Wissen verfügt er mehr als genug. Egal ob die Technik der Schmetterlingsbindung oder die Besonderheiten eines zweifarbigen Drucks - Beck kann jede Frage in diesem Bereich beantworten. Er ist ein wandelndes Lexikon der Druckkunst, aber auch der Literatur und der Grafik. Sein Wissen erweitert er mit jedem neuen Druck, mit jedem Experiment an der Abziehpresse. Wasser auf einem Papier zu drucken war eine seiner letzten Herausforderungen, als nächstes möchte er ein kleines Papier in ein anderes einschöpfen und auf Blütensamen drucken. Die Ideen gehen dem Schriftsetzer nie aus. Langweilige Drucke kommen für ihn nicht in Frage, alle seine Werke werden mit langer Planung und viel Kreativität umgesetzt. Dabei spielt er mit Zeichen, philosophiert, skizziert, dichtet, ersetzt einen Buchstaben durch einen anderen und tüftelt so lange, bis er mit seiner Arbeit zufrieden ist. Er ist Handwerker, Künstler und Poet zugleich.

Neun Stipendiatinnen waren in den vergangenen zwei Jahren bereits in der Manufaktur Willi Beck auf der Walz - junge Frauen unter 30, wissbegierig und neugierig auf die traditionelle Druckkunst. Der 69-Jährige zieht stolz einige Walzprojekte hervor, bei denen er helfend zur Seite stand: Gebundene Hefte, gefaltet in edlen Umschlägen. Zaghaft legt er Seite für Seite um, als wären sie aus Glas. "Das sind Arbeiten zum Niederknien!", seine Augen strahlen. Und wenn er dann sagt: "Wenn man etwas vermitteln darf, ist das einfach wahnsinnig schön", kann man sich direkt vorstellen, wie er hier in diesem Keller mehrere Stunden lang eine Einweisung in das Handwerk gibt und dabei Geschichten über Gutenberg, Papiermühlen oder Frauen im grafischen Gewerbe erzählt. Beck betont, dass aber auch er von den jungen Stipendiaten lerne: Sie bringen Erfahrung aus den verschiedensten Bereichen mit, aber vor allem frische und kreative Ideen. "Ich bekomme wahnsinnig viel zurück." Deswegen freut er sich auf den geplanten Besuch der Neulinge dieses Jahr, deren Walz sich durch Corona ein wenig verzögert hat. Dieses Mal werden erstmalig auch männliche Stipendiaten mit dabei sein. Beck weiß, dass man heutzutage vom Beruf des Buchdrucks allein nicht mehr leben kann. Doch er ist überzeugt davon, dass man den Bleisatz zumindest als Nebentätigkeit bewahren müsse. Er wirkt fast schon verärgert, wenn er sagt: "Das Ungewisse macht mich unruhig, was wird einmal mit all den Werkstätten passieren?" Er sieht es als seine Berufung, diese Frage nicht offenzulassen, sondern all sein Wissen weiterzugeben. Er lebt die Wissensvermittlung regelrecht.

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Nach einigen Stunden bei Beck fühlt man sich selbst wie nach dem ersten Tag auf der Walz: den Kopf voller Fachbegriffe und Eindrücke, in der Hand ein erstes handgesetztes und gedrucktes Werk. Und eines weiß man nun mit Sicherheit: Becks Leidenschaft wird niemals aussterben. Nicht, solange er das faszinierende Handwerk lebt und es anderen mit einer solch großen Leidenschaft vorlebt.

Wenn Sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten für den SZ-Kulturpreis vorschlagen wollen, schreiben Sie bitte bis 30. April eine E-Mail an tassilo@sz.de.

© SZ vom 17.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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