SZ-Adventskalender:Lernen fürs Leben

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Im Programm "Menschen stärken Menschen" helfen Ehrenamtliche den Migranten auf ihrem schwierigen Weg in die Berufswelt. Sie feiern auch mit den jungen Leuten, denn in der Gemeinschaft finden sie sozialen Halt.

Von Petra Schafflik, Dachau

"Lange zylindrische Wendelspäne, Wirrspäne, Bandspäne" - erst zögerlich, dann immer sicherer benennt Salif die unterschiedlichen Metallspäne, die er als angehender Anlagenmechaniker kennen muss. Gleich mehrere Arbeitsblätter hat der 24-Jährige heute in der Berufsschule bekommen. Jetzt sitzt er gemeinsam mit der ehrenamtlichen Tutorin Elfriede Hill an einem Arbeitstisch, übt die schwierigen deutschen Fachbegriffe, wiederholt die Zusammenhänge, paukt Merksätze. Erst vor gut drei Jahren ist der junge Mann aus Mali nach Deutschland gekommen, er hat seitdem schon einige Hürden auf dem Weg ins Berufsleben erfolgreich genommen. Solide, alltagstaugliche Deutschkenntnisse hat er sich angeeignet, die Berufsintegrationsklasse absolviert und nach einem Praktikum jetzt eine Lehrstelle angetreten. Unterstützung erhielt er von engagierten Bürgern im Programm "Menschen stärken Menschen", das sich im Dachauer Mehrgenerationenhaus (MGH) aus einem zunächst privaten Projekt der Dachauerin Dagmar Stephan entwickelt hat.

Im Dachauer Mehrgenerationenhaus helfen Ehrenamtliche den jungen Berufsschülern über Sprachbarrieren und andere Hürden. (Foto: Toni Heigl)

Was als digitaler Sprachkurs begann, ist inzwischen eine umfassende Bildungsbegleitung: Zehn Ehrenamtliche betreuen als Tutoren 14 junge Asylsuchende und Migranten nach deren persönlichem Bedarf bei Ausbildung, Studium oder Deutschkurs. Die Unterstützung ist intensiv, fordert von den Teilnehmern, die aus sieben Ländern stammen, viel Engagement, Fleiß und Durchhaltevermögen. Nach einem anstrengenden Arbeits- oder Berufsschultag regelmäßig abends noch zum Üben ins MGH, das ist anstrengend, bestätigt Salif. "Aber ich will etwas lernen." Das gilt für alle Teilnehmer, wie Initiatorin Stephan betont. "Alle sind enorm motiviert."

Jetzt wieder als Dossier

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(Foto: SZ)

Mehr als 150 Millionen Euro hat der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung in 70 Jahren eingenommen. Ein digitales, nun wieder auf den neuesten Stand gebrachtes Dossier blickt zurück. Es erklärt, wie das Hilfswerk funktioniert und bündelt berührende Geschichten aus München und dem Umland. Verfügbar im Digitalkiosk oder unter: sz.de/sz-adventskalender

Mit einem begleiteten Online-Sprachprogramm ging es los, mit dem innovativen Kurs wollte die Dachauer Mediendidaktikerin und Pädagogin Dagmar Stephan 2016 Asylbewerber unterstützen beim Deutschlernen. Was damals als Sprachkurs mit fünf Tutoren und 15 Teilnehmern startete, hat sich zu einer fachlich breit gefächerten, individuellen Lernbetreuung und Alltagsunterstützung entwickelt, die unter dem Titel "Menschen stärken Menschen" im Mehrgenerationenhaus läuft. Denn bald schon wechselten einige Teilnehmer in die Berufsintegrationsklasse der Berufsschule, also wurde die Unterstützung erweitert um Mathematik. Mit dem beruflichen Werdegang der jungen Leute kamen 2018 alle Themen und Inhalte dazu, die Studium oder Berufsschullehrplan der jungen Migranten vorsieht. Eine Herausforderung für die Tutoren, denn unter den Schützlingen sind neben einem BWL-Studenten zehn Auszubildende, die so unterschiedliche Berufe wie Elektroinstallateur, Anlagenmechaniker, KFZ-Mechatroniker, Verfahrensmechaniker, Kunstglaser Immobilienkaufmann, Kaufmann im Einzelhandel, Metallbauer oder Fitnesstrainer anstreben. Andere besuchen weiter einen Deutschkurs, um sich mit Sprachkenntnissen auf höherem Niveau beruflich weiter zu entwickeln. Da erweist es sich als Gewinn, dass die inzwischen zehn Tutoren als Pädagogen, Journalisten, Mathematiker, Physiker, Betriebswirt und Maschinenbauingenieur unterschiedliche Fachbereiche mit ihren Kenntnissen abdecken können. Die Lernbegleitung erfolgt individuell. Alle kommen ein- bis dreimal die Woche, lernen und üben mit ihrem persönlichen Betreuer. Denn die komplexen und anspruchsvollen Fachaufgaben der Berufsausbildung in der Fremdsprache zu bewältigen, das ist eine enorme Herausforderung. "Im Unterricht wird die Muttersprache Deutsch vorausgesetzt, ohne Unterstützung würden sie es nicht schaffen", weiß Stephan. Die Dachauerin setzt daher viel Zeit und Engagement daran, passende Lernhilfen ausfindig zu machen, die auf den jeweiligen Beruf zugeschnitten sind. So kann Salif nun in einem Bilderlexikon die Fachbegriffe des Sanitärhandwerks nachsehen und mit einer speziellen Lernkartei für die Prüfung pauken. Fachliteratur, Übungsmaterial und Prüfungsaufgaben zum Üben sind kostspielig, die Helfer finanzieren sie zum Teil aus dem eigenen Geldbeutel.

Doch "Menschen stärken Menschen", das von Pädagogin Sabina Endter-Navratil fachlich begleitet und koordiniert wird, ist mehr als eine besondere Nachhilfe für Migranten. Die jungen Leute - kürzlich erst ist auch eine Frau zur bisherigen Männergruppe gestoßen - feiern zusammen Feste, machen Ausflüge, holen sich lebenspraktische Ratschläge und sind eine vertraute Gemeinschaft geworden. Allen bieten die Treffen eine wichtige soziale Basis, die Halt gibt. Gerade die Kommunikation und das Miteinander, seien enorm wichtig, betont Ali. Der 28-Jährige, der aus dem Iran stammt, hat bereits eine Ausbildung abgeschlossen und arbeitet erfolgreich in seinem Beruf. Doch Ali, der in seiner Heimat studiert hat, möchte beruflich noch weiterkommen, sein flüssiges Alltagsdeutsch verbessern, ein B2-Zertifikat erwerben. "Dafür muss ich jetzt einfach ein halbes Jahr investieren." An drei Tagen fährt der junge Mann nach der Arbeit nun zum Münchner Goethe-Institut, einmal die Woche kommt er abends ins MGH, um mit Dagmar Stephan den Lernstoff zu wiederholen, Hausaufgaben zu besprechen und Fragen zu klären. Notwendiges Übungsmaterial, Prüfungsaufgaben und Lernmaterial hat Stephan dafür bereits ausgewählt und besorgt. Doch neben der fachlichen Unterstützung schätzt der junge Mann auch die fast familiäre Atmosphäre, die besondere Gemeinschaft, die ihm Halt und Sicherheit gibt. "Hier habe ich offene Herzen getroffen."

Das Programm "Menschen stärken Menschen" wird vom Familienministerium unterstützt. Doch das winzige Budget reicht nicht für fachspezifisches Lern- und Übungsmaterial, wie es die engagierten Tutoren als Schlüssel zum Erfolg ansehen und deshalb bisher vielfach privat finanzieren. Der SZ-Adventskalender hilft mit einem Fördertopf für diese Ausgaben.

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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