SZ-Adventskalender:Eine Stütze fürs Leben

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Eine 86-Jährige benötigt dringend einen neuen Rollator. Der SZ-Adventskalender will ihr diesen Wunsch erfüllen.

Von Sophie Kobel, Dachau

(Foto: SZ Grafik)

Wer bei Annemarie Zeiler (Name von der Redaktion geändert) klingelt, braucht Geduld. Rund drei Minuten benötigt die 86 Jährige, um aus der Küche bis zum Türöffner zu gehen. Anschließend klemmt sie ihren blauen Rollator zwischen Wohnungstür und Rahmen, denn alleine kommt die kleine Frau nicht gegen die Schließautomatik an.

Früher war das nie ein Problem. Seit mehr als 60 Jahren lebt Annemarie Zeiler in der Dachauer Sozialwohnung, war eine der ersten, die in den damals neuen Gebäudeblock eingezogen ist. "Wir haben hier zu siebt gelebt, mit meinen Eltern und den vier Geschwistern", sagt sie und lässt sich von ihrem Rollator auf die Eckbank in der kleinen Küche sinken. Wenn sie mit ihrem Rollator geht, liegt das ganze Gewicht auf ihren Unterarmen. Einen Rollator mit Armstützen wäre eine große Erleichterung, so einen habe sie neulich in der Altstadt bei einem älteren Herrn gesehen, berichtet die Rentnerin. Der SZ-Adventskalender für gute Werke will ihr diese Anschaffung ermöglichen und sie außerdem mit einem Gutschein für ihren Stamm-Discounter unterstützen.

15o Euro im Monat

Annemarie Zeiler ist gebürtige Schlesierin, von Breslau aus floh ihre Mutter mit den Kindern nachts über die Grenze. Wochenlang hing die damals Zwölfjährige in Flüchtlingslagern fest, von Kronskamp bis Hohenlychen. In der britischen Besatzzone findet der Vater seine Familie und bringt sie nach Bayern. "Eigentlich wären wir mit acht Kindern in Bayern angekommen, aber drei haben die Flucht nicht überlebt. Typhus und Fleckfieber, das kann man sich heute alles gar nicht mehr vorstellen", erzählt sie. "Irgendwann haben wir dann diese Wohnung zugewiesen bekommen, mittlerweile lebe ich aber alleine hier. Das fühlt sich nach über dreißig Jahren noch immer komisch an."

Vor Jahren hat sie in jedem der kleinen Räume eine andersfarbige Glühbirne aufgehängt, "um alles ein bisschen lebendiger aussehen zu lassen". Das blaue und das rote Zimmer allerdings sind dunkel und nicht beheizt. Die Seniorin versucht so, Geld zu sparen. "Letztes Jahr habe ich es geschafft, 200 Euro zurückzubekommen. Aber die Grundsicherung hat es mir direkt wieder vom Konto abgezogen". Davon hättbe sie sechs oder sieben Wochen lang ihre Lebensmittel-Einkäufe bezahlen können.

Inklusive ihrer Witwenrente hat Zeiler monatlich 1200 Euro auf dem Konto. Abzüglich der Miete und den Versicherungen bleiben ihr davon lediglich 150 Euro zum Leben. Den kaputten Ofen hat sie durch eine Mikrowelle ersetzt, die im Supermarkt im Angebot war. Auch der Rollator war heruntergesetzt, ohne ihn kann Annemarie Zeiler nur wenige Schritte gehen.

"Das geht schon, dafür heize ich einfach nicht die ganze Wohnung"

Vor rund 40 Jahren begann die Arthritis, in den Jahrzehnten danach baute ihr Körper immer weiter ab. Mit 84 Jahren dann die Diagnose: Brustkrebs. "Jeden Tag außer sonntags wurde ich bestrahlt, insgesamt 33 Mal." Seitdem muss die Dachauerin täglich Medikamente schlucken, zehn Kilo hat sie dadurch bereits zugenommen. Kein Geld zu haben, das kennt Annemarie Zeiler nur zu gut. Körperlich so eingeschränkt zu sein, daran werde sie sich aber wohl nie gewöhnen, sagt sie. "Ich war so gelenkig früher, habe immer körperlich gearbeitet. Mit 14 habe ich auf Bauernhöfen Hopfen gezupft und später als Haushaltskraft bei den Amerikanern in Harlaching gearbeitet. Dort habe ich zum ersten Mal richtigen Weihnachtsschmuck gesehen", sagt sie und deutet auf die bunten Lichterketten in ihrem Küchenfenster.

Ihr Traum von der Friseur- oder Schneiderlehre ging nie in Erfüllung. Zwei Mal heiratete sie, beide Männer starben an Krankheiten. Von ihren vier Kindern leben zwei in Dachau und Karlsfeld. Der eine Sohn hilft ihr beim Einkaufen, der andere staubsaugt regelmäßig die Wohnung. Finanziell unterstützen können sie ihre Mutter aber kaum. "Beide sind Schichtarbeiter, die haben selbst wenig Geld und müssen sich ja auch um ihre Kinder kümmern", sagt die Rentnerin. Der eine Sohn fährt sie jeden Sommer zum nahegelegenen Badesee, so oft seine Schichten es zulassen. "Er schläft dann auf der Decke in der Wiese während ich schwimme", erzählt Annemarie Zeiler.

Sie freut sich schon jetzt auf den Sommer, denn die Monate bis dahin wird sie größtenteils alleine in ihrer Wohnung verbringen. "Manchmal rede ich auf dem Balkon mit den Geflüchteten, die hier im Haus wohnen. Ich weiß schließlich, wie sie sich fühlen", sagt sie. Für die Kinder im Viertel hängt sie jeden Dezember bunte Lichterketten in ihren Fenstern auf, "die freuen sich doch so". Allerdings nur von 17 bis 21 Uhr, um Strom zu sparen. "Das geht schon, dafür heize ich einfach nicht die ganze Wohnung."

© SZ vom 17.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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