SZ-Adventskalender:Auf einmal geht es um jeden Cent

Lesezeit: 4 min

Reich waren die Maiers nie, aber die fünfköpfige Familie kam zurecht - bis die Corona-Krise kam und das Geld knapp wurde. Jetzt ist auch noch das Auto kaputt

Von Jacqueline Lang, Dachau

Ein Unglück kommt selten allein Und wenn man Bernhard Maier länger zuhört, hat man das Gefühl, dass an dem Sprichwort tatsächlich etwas dran sein könnte: Innerhalb von nur einer Woche sind ihm die Geschirrspülmaschine, der Trockner und die Waschmaschine kaputt gegangen, und nun hat auch noch das Auto seinen Geist aufgegeben. Für eine fünfköpfige Familie mit zwei Hunden ist es eine Katastrophe - vor allem dann, wenn der Vater seit Monaten wegen der Corona-Krise in hundertprozentiger Kurzarbeit ist und die Mutter ausbildungsbedingt nur ein mickriges Praktikumsgehalt zum Familieneinkommen beisteuern kann.

Riesig war deshalb die Erleichterung der Maiers (alle Namen von der Redaktion geändert), als ihnen Anke Reiter von der Schuldnerberatung der Caritas vom Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung erzählt hat, mit dessen Hilfe sie nun in der Lage sein werden, ihr Auto reparieren zu lassen. Möglich gemacht wird dies durch die Großzügigkeit der SZ-Leser, mit deren Spenden die Arbeit der Schuldnerberatung der Caritas Dachau unterstützt werden kann.

Bernhard Maier und seine Frau Susanne sind jung Eltern geworden - mit 21 Jahren. Als die inzwischen 16-jährige Sarah zur Welt kam, haben die Großeltern noch auf die Kleine aufgepasst, aber finanziell waren die beiden schon zu diesem Zeitpunkt auf sich alleine gestellt. Besonders viel Geld auf die Seite legen konnten sie nie, sagt Bernhard Maier. Aber für den Fall, dass, wie jetzt, die Bremsen des Autos schleifen und sie es in die Werkstatt bringen müssen, sei immer genug da gewesen. Schließlich hätten er und seine Frau immer beide gearbeitet und nie auf großem Fuß gelebt. Eine Pandemie, durch die ihnen ein Großteil ihres Einkommens von einem Tag auf den anderen wegbricht, hatten sie aber nicht einkalkuliert. Wie auch?

Der Lockdown und seine De-facto-Arbeitslosigkeit, das gibt Maier zu, hatten auch ihre guten Seiten. Er hat plötzlich viel Zeit, wurde "mehr oder weniger zum Hausmann", seine Frau konnte sich in dieser zeit ganz auf ihre Ausbildung und das Lernen konzentrieren. Dadurch, dass durch die Kontaktbeschränkungen der ganze Freizeitstress weggefallen sei, sei "Ruhe reingekommen", sagt Maier. Die Familie habe die Situation noch mehr zusammengeschweißt und das sei natürlich sehr schön - wäre da nur nicht diese nagende Angst, am Ende des Monats nicht mehr genug Geld für das Allernötigste auf dem Konto zu haben. Sich mal etwas gönnen, das können Susanne und Bernhard Maier schon lange nicht mehr und auch den Kindern müssen sie immer wieder Wünsche ausschlagen.

"Wir kommen immer weiter ins Minus", sagt Maier. Glücklicherweise sei ihre Bank sehr hilfsbereit. Besonders geholfen habe ihnen diese auch, als das Hauptzollamt im November "aus heiterem Himmel" ihr Konto gepfändet habe, weil sie die Autoversicherung nicht zahlen konnten. Eigentlich hätten sie, so erzählt es Maier, per Mail eine Ratenzahlung oder Stundung erbeten, darauf aber nie eine Reaktion erhalten - bis sie plötzlich kein Geld mehr von ihrem Konto abheben konnten. Als sie daraufhin angerufen hätten, habe ihnen eine Mitarbeiterin unterstellt, dass sie doch ohnehin nicht vorgehabt hätten zu bezahlen. Von Verständnis für ihre missliche Lage keine Spur. "Da haben wir zum ersten Mal gespürt: Ohne Geld bist du nichts wert", sagt Maier und seine Stimme bricht. Zu ihrem Glück sei ihre Bank gleich eingesprungen und habe die Rechnung beglichen, "sonst hätten wir wahrscheinlich immer noch keinen Zugriff auf unser Konto". Viel sei da zwar ohnehin nie drauf, aber an dem Tag der Pfändung - es war ein Donnerstag - habe es zum Einkaufen vor dem Wochenende noch gereicht, sagt Maier.

Dass sie jetzt beim wöchentlichen Einkauf jeden Cent zweimal umdrehen müssen, ist vielleicht das, was Maier mit am meisten schmerzt. Das gemeinsame Abendessen ist wichtiger Bestandteil ihres Familienlebens, einen dementsprechend hohen Stellenwert hat bei Familie Maier auch das, was auf den Tisch kommt. Abwechslungsreich kochen, das war früher immer selbstverständlich, und auch den Salatkopf für zwei Euro vom Bauer um die Ecke haben sie sich mal gegönnt, jetzt reicht es gerade einmal für den für 68 Cent vom Billigdiscounter, Fleisch vom Metzger gab es schon lange nicht mehr. Und am Ende des Monats gibt es ohnehin jeden Tag Nudeln mit Tomatensoße. Denn abzüglich der Miete, der Nebenkosten, der Ratenzahlung für die Kredite, die sie schon vor der Krise aufgenommen hatten und der Kosten für Maiers Medikamente - der 37-Jährige ist Diabetiker und Asthmatiker - wird das Geld am Ende jeden Monats knapper.

Immer wieder hat Maier sich in den vergangenen Monaten die Frage gestellt, ob er womöglich selbst schuld sei an der Misere in der und seine Familie stecken, ob er etwas anders hätte machen können. Mit aller Kraft hat er versucht nicht hineinzugeraten in den "Schuldenstrudel". Doch mit jedem Monat mehr, den er in Kurzarbeit ist, wächst der Berg an Rechnungen, die er nicht bezahlen kann. Dabei würde er so gerne wieder arbeiten, um zumindest ein bisschen Geld zu verdienen. Sogar für Jobs als Regaleinräumer im Supermarkt hat er sich schon beworben. Doch bis das Arbeitsamt seinen Antrag bewilligt habe, habe die Stelle jedes Mal schon längst ein anderer bekommen, sagt Maier. Als dann auch noch bekannt wurde, dass seine Kurzarbeit nicht, wie zunächst angekündigt, im September aufgehoben wird, sondern vermutlich sogar bis Ende 2021 weiterläuft, hat Maier sich ein Herz gefasst und die Schuldnerberatung der Caritas aufgesucht.

Ein großer Schritt, wie Anke Reiter weiß. Die Schuldnerberaterin der Caritas, die auch Maier betreut, bedauert, dass Schulden nach wie vor ein "großes, gesellschaftliches Tabu" sind. Das führe dazu, dass die meisten sich erst dann Hilfe suchten, wenn es schon fast zu spät sei. Zumindest was das angeht, habe die Krise aber auch etwas Positives bewirkt, so Reiter: Menschen wie Maier holen sich früher Hilfe. Ob und wie es für Maier und seine Familie weitergeht, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer sagen. Eventuell könnte eine Verbraucherinsolvenz eine Option sein, sagt Reiter. Mit der Übernahme der Reparaturkosten für das kaputtgegangene Auto durch den SZ-Adventskalender wird so kurz vor Weihnachten zumindest eine Last von den Schultern der jungen Familie genommen.

© SZ vom 14.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: