Bei Petra Thuringer ist das ganze Jahr Ostern, erzählt sie. Egal wo man in ihrem Haus in Schwabhausen hinschaut, überall sind Hasen. In einer leerstehenden Wohnung im ersten Stock betreibt sie sogar eine Pflegestelle für kranke und verwahrloste Kaninchen. Im Flur dorthin hängen Dutzende Fotos von ihren (ehemaligen) Kaninchen, der rote Fußabstreifer ist in Hasenoptik gestaltet, am Küchenfenster steht eine Lampe in Hasenform und in einer Glasvitrine stapeln sich rund 30 Kaninchen-Kuscheltiere.
Und dann kommen noch die realen Tiere dazu: "Aktuell betreue ich um die 30 Kaninchen", erzählt die 56-jährige Programmiererin, sie trägt braunen Pony und ein grünes T-Shirt mit dem Logo "Bayern rockt", es zeigt ebenfalls zwei Hasen, einer hält einen Herz-Luftballon mit Bayernrauten in die Höhe.
Es ist das Vereinslogo der Kaninchenhilfe "Bayern rockt", Petra Thuringer ist deren Vorsitzende. Vor rund vier Jahren hat sich der Verein gegründet, Sitz ist in Schwabhausen, 45 Mitglieder aus ganz Bayern gehören mittlerweile dazu. Auf ihrer Website erklären sie: "Das Herz des Vereins ist eine Gruppe höchst engagierter Kaninchenfreunde, die Kaninchen aus schlechter Haltung übernehmen - oft verwahrlost und krank. Sie werden in Pflegestellen liebevoll betreut und medizinisch versorgt. Danach vermitteln wir die Kaninchen in ihr Traumzuhause in artgerechte Haltung", und weiter: "Darüber hinaus stehen wir jedem Tierfreund beratend in allen Bereichen der Kaninchenhaltung zur Seite."
Rund 60 Hasen sind derzeit in der Obhut des bayernweit tätigen Vereins mit fünf Pflegestellen, zwei davon sind im Landkreis Dachau bei Petra Thuringer und Helga Zettl in Vierkirchen. Sie ist Gründungsmitglied und sagt mit fester Stimme: "Bei uns bekommt man kein Tier, das man zu Ostern verschenkt." Viele Kinder wünschen sich zwar einen echten Osterhasen, aber auf die anfängliche Euphorie für das Langohr folgt meist Ernüchterung. Denn die Tiere brauchen viel Aufmerksamkeit, erzählt die 55-jährige Bankangestellte mit grauer Kurzhaarfrisur und roter Brille: "Hunde brauchen Herrchen, Katzen brauchen Bedienstete und Kaninchen brauchen Sklaven." Sie lacht, meint es aber ernst.
Für schüchterne Tiere läuft der Fernseher
Sie steht im rund 30 Quadratmeter großen Hauptraum der Schwabhausener Pflegestelle. Um sie herum wuseln rund zehn Kaninchen in ihrem Gehege: Darin stehen Holzbänke und alte Schuhregale zum Klettern, Trinknäpfe und auf den Teppichen liegen Salatreste. Eigentlich ist alles ruhig, deshalb stehe in der Ecke ein Fernseher, sagt Thuringer: "Manchmal schalte ich ihn an, damit sich schüchterne Tiere an Alltagsgeräusche und Menschen gewöhnen."
Doch aktuell piepst sowieso Häsin Kulla. Helga Zettl nimmt das weiße Kaninchen liebevoll auf den Arm: "Sie ist eine alte Lady und hat Probleme mit der Blase und der Nasenscheidewand. Deshalb ist es schwierig, sie an neue Besitzer zu vermitteln." Sie bleibt als Gnadentier bei den Kaninchenrettern.
Bereits seit 2018 rettet der Verein kranke und verwahrloste Kaninchen: "Damals haben sich die Gründungsmitglieder über eine Facebook-Gruppe für Tiernotfälle vernetzt", erzählt Zettl. Zuvor hatten sie Fotos von Kaninchen aus schlechter Haltung entdeckt, die auf dem Gebrauchtwarenportal eBay-Kleinanzeigen verkauft wurden: "Wir haben die Tiere damals heraus gekauft." Aus dieser Euphorie, etwas Gutes getan zu haben, entstand auch der Vereinsname: "Wir haben uns damals gesagt: Wir Bayern rocken das!"
Kaninchen werden aus schlechter Haltung gerettet - aber auch freiwillig abgegeben
Immer wieder werden die Kaninchenschützer aktiv, wenn sie schlechte Haltungsbedingungen wittern. Helga Zettl erinnert sich an eine Tierrettung in Passau, bei der sich auch das örtliche Veterinäramt einschaltete: "Da war ein sieben Kilogramm schweres Kaninchen in einem so kleinen Käfig, dass es sich nicht mal ausstrecken oder umdrehen konnte!" Außerdem wurde hartes Brot verfüttert, und die Käfige waren stark verschmutzt.
Aber Züchter melden sich auch freiwillig bei "Bayern rockt", um ihre Hasen abzugeben - zum Beispiel wenn sie mit ihrer Zucht aufhören: "Manchmal melden sich auch Angehörige und sagen: Der Opa hat Schlachthasen, die in schlechter Haltung sind, und er möchte sie hergeben", erzählt Petra Thuringer.
Auch nach einem Todesfall trennen sich Kaninchenhalter manchmal von ihren Nagern: "Wenn das Partnertier zum Beispiel verstirbt, möchten einige das andere Kaninchen auch hergeben." Außerdem können Hasen kostspielig werden, sagt Zettl: "Viele unterschätzen es, wenn die Tiere alt oder krank werden", dann brauchen sie Medikamente oder müssen zum Tierarzt - und das kann teuer werden. Meist landen die Hasen deshalb im Tierheim oder in den Pflegestellen des Vereins.
Seit drei Jahren engagiert sich Thuringer dort als Hasenretterin: "Mein erstes Kaninchen habe ich in der Grundschule bekommen, meine Cousine wollte das Tier nicht mehr, weil es gebissen hat", sagt sie und lacht. Seitdem ging sie nur noch mit Hasen durchs Leben. In ihrer eigenen Wohnung dürfen sie sogar frei herumlaufen: "Es ist einfach schön, wenn man auf der Couch liegt und ein Kaninchen kommt zu einem hoch und man kann es streicheln. Es beruhigt einen, wenn man traurig ist."
Ihre Tierliebe ist immens. Deshalb hat sie die Wohnung im ersten Stock zu einer Pflegestelle beziehungsweise einem Hasen-Domizil mit fünf Zimmern umgebaut: An den Türen sind Schutzgitter, wie sie auch bei Kleinkindern angebracht werden, damit die Pflegetiere nicht weglaufen. Im Bad sitzt ein weißer Hase unter dem Waschbecken: "Er hat einen Grauen Star und sieht nichts mehr", in der Badewanne daneben liegt ein Handtuch: "Manchmal liegt er da drin und schläft."
Mehr als 4000 Kilometer ist Petra Thuringer für die Kaninchenhilfe gefahren
Weiter geht es in die einstige Küche, auch dort nagt ein Hase in dem Gehege unter dem Esstisch, darauf stehen Tier-Medikamente und daneben ist ein Hasenklo, das der Kaninchenpflegerin Petra Thuringer natürlich viel Arbeit macht. Rund drei Stunden investiert sie jeden Tag für ihre Schützlinge, schätzt sie - für das Füttern, Ausmisten und Nahrung einkaufen: "Der Verein übernimmt übrigens nur die Kosten für den Tierarzt."
Außerdem ist sie im vergangenen Jahr mehr als 4000 Kilometer mit dem Auto gefahren, um Tierfutter zu kaufen, Kaninchen vom Tierarzt impfen oder durchchecken zu lassen. Dazu kommen weitere Besuche bei Personen, die Pflegetiere aufnehmen möchten: "Wir schauen uns das neue Zuhause erst immer genau an, bevor wir die Kaninchen weiter vermitteln", unter anderem müssten zwei Hasen ein mindestens sechs Quadratmeter großes Gehege haben, sagt Zettl.
Auch sie ist schon als Kind mit Kaninchen aufgewachsen: "Damals haben wir sie auch noch gegessen", erzählt sie. Aber ein Kaninchenbraten zu Ostern komme heute nicht mehr für sie infrage. Stattdessen durchforstet sie mit ihren Vereinsmitstreitern das Internet nach Anzeigen, bei den Kaninchen kostenlos angeboten werden: "Wir warnen die Anbieter dann davor, dass die Tiere als Schlangenfutter enden."
Warum sie sich für die Nager so engagiert, kann sie sich selbst nicht so genau erklären: "Sie sind einfach sehr süß, wollen gestreichelt werden und sehen putzig aus". Kurz überlegt sie noch: "Das ist wahrscheinlich wie bei den Reitern: Entweder man ist mit dem Kaninchenvirus infiziert oder nicht."