Einzelhandel:"Der Magnet bricht weg"

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Die Tage des Modehauses Rübsamen sind gezählt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mit dem traditionsreichen Kaufhaus Rübsamen verliert die Dachauer Altstadt ihr Herzstück. Für die umliegenden Gewerbetreibenden ist die Schließung eine Katastrophe. Ein Rundgang.

Von Jonas Junack und Morris Zalesjak, Dachau

Mit ihrem knallorangen Wollpullover sieht Beate Stopfer nicht aus, wie jemand, der einen Tag zuvor eine Hiobsbotschaft erhalten hat. Geschäftig steht die Filialleiterin des Modekaufhauses Rübsamen hinter ihrem Tresen und klemmt mit geübten Handgriffen Magnetsicherungen von Kleidungsstücken ab. "Wenn etwas nicht passen sollte", sagt sie zu einer Kundin, "dann kommen Sie noch mal vorbei". Sie lächelt kurz, dann verfinstert sich ihr Gesicht. Denn so normal dieser Satz klingt, so unwirklich ist die Tatsache, dass das mit dem "noch mal vorbeikommen" bald nicht mehr möglich ist.

Seit Montag steht fest: Spätestens Ende Mai schließt das Kaufhaus für immer seine Türen. Beate Stopfer und ihre 21 Kolleginnen und Kollegen sind dann ihre Jobs los. Die Situation sei "beschissen", sagt die Filialleiterin. "Wir sind alle geschockt. Wir haben gedacht, dass dieser Standort geöffnet bleibt." Welche Folgen die Schließung für die Dachauer Altstadt haben wird, ist bisher nicht abzusehen. Unter den Geschäftsleuten in der Nachbarschaft des bald schließenden Kaufhauses ist man sich angesichts der gesunkenen Kaufkraft bei den Kunden und dem übermächtigen Onlinehandel aber einig: Da kommt eine Katastrophe auf sie zu.

"Hier ist ja bald gar nichts mehr"

Einmal schräg über die Augsburger Straße, gegenüber dem Kaufhaus, richten Karin Peters und Barbara Knöpfle gerade das Schaufenster ihres Weltladens her. "Wir haben geschluckt, als wir davon erfahren haben", sagt Knöpfle. Die Leute seien selbst schuld, wenn sie die Innenstadt verwaisen ließen und nur noch im Internet einkauften, ergänzt Peters. Beide sagen, es bräuchte eine Gesetzesinitiative, die den Onlinehandel erschwert, zum Beispiel durch höhere Versandkosten. Auch im Weltladen registriert man schon lange, dass immer weniger Menschen durch die Altstadt flanieren.

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Nebenan beim Herrenausstatter Rauffer steht Ursula Spona zwischen Maßanzügen und Bundfaltenhosen. Seit zehn Jahren arbeitet sie hier und jetzt bricht, direkt gegenüber, der "Magnet" weg, wie der Rübsamen von vielen Gewerbetreibenden genannt wird. "Ich war schockiert und traurig als ich gestern davon gehört habe", sagt Spona. "Hier ist ja bald gar nichts mehr". Die Sorge ist berechtigt, denn das Kaufhaus reiht sich ein in eine ganze Reihe von Läden, die in den vergangenen Jahren dichtgemacht haben.

Der Bekleidungsladen Juco in der Konrad-Adenauer-Straße wird bald dazukommen. Im Frühjahr wird er ebenfalls aus wirtschaftlichen Gründen schließen. "In der aktuellen Situation sehe ich schwarz", sagt Inhaberin Sabine Jung. Seit vier Jahren vertreibt sie in ihrem Concept-Store Mode, Schmuck und Einrichtungsgegenstände. Gegründet hat sie den Laden, weil sie in Dachau "nichts gefunden habe." Doch die wirtschaftliche Lage habe sich seitdem laut Jung massiv verschlechtert, das "Klientel in Dachau" sei durch Inflation und Krieg zurückhaltender geworden, was Kaufentscheidungen angeht.

Zukunft des Bonusmarkts ungewiss

In der Kulturschranne, keine 20 Meter vom Kaufhaus Rübsamen entfernt, beginnt gerade das Mittagsgeschäft. Es riecht nach Kaffee und spätem Frühstück, Besteck klimpert. Alles wie immer, auf den ersten Blick. Doch dann kommt Christiane Liebhart, die Chefin des Lokals, und sofort ist klar: Heute wird getrauert. Sie erinnere sich nicht, in den vergangenen fünf Jahren irgendwo anders Klamotten gekauft zu haben. "Für die Innenstadt ist das sehr schlimm. Außerdem waren die Damen von drüben immer hier Kaffee trinken", sagt Liebhart. Und genau in diesem Moment erscheint Beate Stopfers orangefarbener Pulli in der Tür. Sofort gibt es eine Umarmung von der Schranne-Chefin. Hinter jedem Arbeitsplatz, das wird in der Dachauer Altstadt an diesem Tag deutlich, stehen immer auch Menschen.

Michaela Kaiser und Edith Bauer haben kürzlich ihr Wollgeschäft in der Konrad-Adenauer-Straße eröffnet. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Für Karsten Fischer, Vertriebsleiter der Bonus gGmbH, stehen jetzt Zahlenspiele bevor. Sein Supermarkt befindet sich im Untergeschoss des Rübsamen Kaufhauses. Für Bonus sei das Kaufhaus ein ausschlaggebender Punkt für die Ansiedlung gewesen, so Fischer. Jetzt müsse ein neuer Jahresplan aufgestellt werden. Ob die Bonus-Filiale das Jahr überstehen wird, sei derzeit unklar. Mitverantwortlich für diese Misere ist laut Fischer die Verkehrsplanung. Diesen Punkt sprechen viele Gewerbetreibende an: Zu wenige und zu teure Parkplätze in der Altstadt. "Alle fahren auf die grüne Wiese", sagt der Vertriebsleiter. Auch er registriere ein "massives Marktsterben". "Laufen Sie mal durch Dachau. Da ist nichts los".

Edith Bauer fordert einen Runden Tisch

Den entgegengesetzten Weg gehen Edith Bauer und ihre Kollegin Michaela Kaiser. Gemeinsam eröffnen sie am 19. Januar ihren Strick- und Textilwarenladen Ridikül in der Altstadt. Dass das Kaufhaus Rübsamen nun schließt, ist auch für Bauer ein Grund zur Besorgnis. Ein wichtiger Teil der Grundversorgung breche damit weg, sagt sie. Das gesamte Sozialleben in der Stadt leide darunter. Sie fordert einen Runden Tisch mit Gewerbetreibenden und Stadt, bei dem diskutiert wird, wie es mit der Altstadt weitergehen soll. Allen Beteiligten sei klar: Eine so große Kaufhausimmobilie zu verkaufen ist angesichts der Marktentwicklung schwierig, sie für andere Zwecke umzubauen ist teuer.

Geschäftsinhaber Jochen Neuwert ist betroffen vom Ende des Mitbewerbers. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Im Sport- und Modegeschäft Downtown hockt Inhaber Jochen Neuwert auf der Kante des Verkaufstresens. Seit 33 Jahren verkauft er in direkter Nachbarschaft vom Rübsamen Kleidung. Im Gegensatz zu allen anderen ist Neuwert von der Schließung nicht besonders überrascht. Er sagt: "Die Branche explodiert gerade. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit". Das Kaufverhalten der Kunden habe sich fundamental geändert. Heute müsse man ein richtiges Einkaufserlebnis bieten, um die Menschen hinter dem Computer hervorzulocken. Das hätte man im Rübsamen verpasst. Nicht weil das Team nicht gut sei, sondern weil von Einkauf bis Konzept das Zeitgemäße fehle. Doch auch Neuwert sieht, dass es in Dachau ein strukturelles Problem gibt. Die Stadtverwaltung tue zu wenig, um den Handel anzukurbeln. Die Aktion "Wir schließen" von Stadt und Gewerbeverein "Dachau handelt" im Dezember fand Neuwert wenig hilfreich, dabei haben Geschäfte ihre Schaufenster mit Packpapier verhüllt, um den Dachauern zu zeigen, wie die Stadt ohne den stationären Handel aussehen würde. "Die Altstadt", sagt er, "die kannst du knicken. Hier werden noch mehr schließen".

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