Rechtsextremismus:Das Vertrauen schwindet

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Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat schwindet, (Foto: dpa)

Es kann einen nur ängstigen, wie der Staat gegen Rechtsextremismus in Deutschland vorgeht. Es wird gestümpert, unterschätzt und fehlinterpretiert. Das Vertrauen der Bürger sinkt, dass sie vor rechter Gewalt sicher sind.

Kommentar von Thomas Radlmaier

Es kann einen nur ängstigen, wie der Staat gegen Rechtsextremismus in Deutschland vorgeht. Es ist ein flächendeckendes Behörden- und Justizversagen. Über Jahre wird auf staatlicher Seite gestümpert, unterschätzt und fehlinterpretiert. Anders ist nicht zu erklären, wie etwa die Terroristen des NSU jahrelang morden konnten. Oder wie ein in der rechtsextremen Szene bekannter Mann einen Kommunalpolitiker auf dessen Terrasse erschießen kann. Oder wie ein Antisemit versuchen kann, schwer bewaffnet in eine Synagoge einzudringen, um möglichst viele Juden zu töten.

Im Vergleich zu diesen Fällen ist es freilich weit weniger schlimm, dass Dachaus Oberbürgermeister und Dachauer Organisationen, die klar gegen Rechtsextremismus Stellung beziehen, auf einer Prangerplattform beleidigt und diffamiert werden. Doch auch hier zeigt sich, dass der Staat und die Justiz nicht die Durchschlagskraft haben, um dagegen vorzugehen. Seit acht Jahren können Neonazis auf "Nürnberg 2.0" ihren Hass freien Lauf lassen. Doch erst seit einem Jahr weiß das Bayerische Landeskriminalamt, dass diese Seite überhaupt existiert. Das ist - wie der Runde Tisch gegen Rassismus richtig feststellt - ein Skandal. Traurig ist zudem, dass die Betroffenen vom Staat alleine gelassen werden.

Dass Deutschland ein großes Problem mit Rechtsextremismus hat, ist seit Jahren bekannt. Man braucht sich nur die Zahlen rechtsextremer Gewalttaten ansehen. Seit 2001 sind es mehr als 18 000. Doch der Sicherheitsapparat scheint die Gewaltbereitschaft von rechts zu unterschätzen. Die Landesbehörden meldeten vor kurzem, dass sie von 12 700 gewaltorientierten Rechtsextremisten wissen. Davon seien aber nur 43 zu Anschlägen fähig. Dass es sich um eine fatale und schon auf den ersten Blick unplausible Fehleinschätzung handelt, hat das Bundeskriminalamt bereits bestätigt.

Jetzt hat es in Halle wieder einen rechtsextremistischen Anschlag gegeben. Und wieder war die Betroffenheit groß. Und wieder reihten sich Politiker Menschenketten und Mahnwachen ein. Und wieder haben sie angekündigt, nicht mehr wegsehen zu wollen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Doch es ist mehr als fraglich, ob das ausreicht, um den rechten Hass zu bändigen. Es bräuchte eher einen großen Plan. Man müsste die Behördenstruktur komplett ändern. Das Vertrauen, dass der Staat seine Bürger vor rechter Gewalt schützt, ist jedenfalls gesunken.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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