Wenn Wohnen zum Luxus wird:"Auch Berufstätige rutschen in die Obdachlosigkeit"

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Die Dachauer Obdachlosen-Unterkunft in den Wohngebäuden am Kräutergarten ist keine verlockende Aussicht - aber besser, als kein Dach über dem Kopf zu haben. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Mietmarkt in Dachau ist angespannt. Vor allem kinderreiche Familien finden kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Das spüren die Kommunen und auch die Fachstellen der Caritas.

Von Eva Waltl, Dachau

"Wohnen ist existenziell", sagt Isabel Saltzis, Sozialpädagogin bei der Fachstelle Wohnen der Caritas. Das klingt wie selbstverständlich, ist es für eine wachsende Zahl von Menschen im Landkreis Dachau aber längst nicht mehr. Obdachlosigkeit bedroht immer größere Teile der Gesellschaft, gerade im teuren Münchner Umland.

Saltzis berät und unterstützt Menschen in sieben Gemeinden des Landkreises, in denen die Caritas-Beratung angeboten wird, damit eine Obdachlosigkeit erst gar nicht eintritt. Eine Tätigkeit, die, wie sie erzählt, in "sehr vielen Fällen erfolgreich darin ist, den Wohnraum auch zu halten". Aber eben nicht immer. Im vergangenen Dreivierteljahr bemerkt sie eine starke Zunahme von Hilfesuchenden, die sich an die Beratungsstellen wenden.

Isabel Saltzis von der Caritas berät viele Familien, die Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren. (Foto: privat/Caritas Dachau)

Es gebe mehr Eigenbedarfskündigungen und mehr Anfragen von Menschen, die zwar Wohnraum haben, aber einen günstigeren suchen, weil die Mieten sie finanziell überfordern. Diese Suche wird ihnen oftmals zum Verhängnis. "Vor allem Familien mit geringem Einkommen, mit mehreren Kindern, Menschen mit Migrationshintergrund und Alleinerziehende haben es auf dem Wohnungsmarkt sehr schwer und fallen oft hinten runter", beklagt Saltzis. Eine Entwicklung, die auch Sarah Kothai bestätigt: "Es ist auffallend, dass kinderreiche Familien mit nur einem Einkommen einfach keine Wohnungen hier finden."

Kothai leitet die Fachstelle Obdachlosigkeit der Gemeinde Karlsfeld und stellt einen gefährlichen Trend fest: "Auch Berufstätige rutschen vermehrt in die Obdachlosigkeit." Die Gründe: Hohe Mieten und kein bezahlbarer Wohnraum auffindbar. Das habe es früher nicht gegeben.

Die Vierzimmerwohnung in Karlsfeld kostet mindestens 1800 Euro

Der Weg in die Obdachlosigkeit ist oft schleichend. Er beginnt mit Nebenkostenabrechnungen, die nicht mehr bezahlt werden können, mit Schicksalsschlägen, die zu finanziellen Notlagen führen, und langsam steigert sich die Summe an Unbezahltem, bis es keinen Ausweg gibt. "Der Mietpreis einer Vierzimmerwohnung in Karlsfeld beginnt ab 1800 Euro. Welche Familie soll sich das leisten?", fragt Kothai.

Erster Schritt bei drohendem Wohnungsverlust sei die Vermittlung zwischen Vermieter und Mieter mit dem Ziel, den Wohnraum zu halten. Im zweiten Schritt verweist Kothai auf Sozialwohnungen und unterstützt bei der Antragstellung. Die Gemeinde Karlsfeld bietet 170 Sozialwohnungen an mit verhältnismäßig niedrigen Mieten. Doch die Wartezeiten dafür sind lang, denn "diejenigen, die aktuell in den Sozialwohnungen sind, werden dort auch erst einmal bleiben", sagt sie. Kann der Wohnraum nicht gehalten werden und findet sich keine Sozialwohnung, folgt im nächsten Schritt die Unterbringung der Betroffenen in eine der Obdachlosenunterkünfte.

In Karlsfeld stehen dafür zwei Containeranlagen und ein gemeinschaftlich genutztes Wohnhaus zur Verfügung. "Wir versuchen alles, dass das nicht eintritt", sagt Kothai. Doch der Wohnungsmarkt lasse ihnen oft keine andere Wahl. "Es tut mir selbst in der Seele weh, wenn eine Mutter mit kleinen Kindern vor mir sitzt, und es keinen Ausweg für sie gibt."

In einen Container umziehen zu müssen, ist für viele ein Schock

Die erste Reaktion bei den Betroffenen, wenn so Umzug notwendig wird, ist Schock und Angst vor dem Leben in einem Container. "Es dauert einige Zeit, aber die Menschen wissen sich zumindest in Sicherheit, können in einem geschlossenen, warmen Raum leben", so Kothai. In Karlsfeld sind aktuell 22 Personen untergebracht. "Bunt gemischt" beschreibt Kothai die Personengruppen, die in den Containern und dem Gemeinschaftshaus leben: zwei Familien, zwei Alleinerziehende mit je einem Kind und Einzelpersonen.

Höher fallen die Zahlen in der Großen Kreisstadt Dachau aus: Markus Haberl, Leiter des Amts für Schule, Kinderbetreuung, Jugend, Soziales und Sport spricht von derzeit 130 Menschen, die in den Unterkünften untergebracht sind. Etwa die Hälfte machen die Familien aus. 38 Kinder unter 14 Jahren leben in den Dachauer Obdachlosenunterkünften.

Gerade für sie bedeute das Leben in den Unterkünften eine "extreme psychische Belastung", sagt Kothai. Auch Saltzis weiß, wie trüb das Leben in den Unterkünften aussieht: "Es gibt kaum Privatsphäre, die Standards sind gering. Es ist häufig laut und generell ein sehr schwieriges Umfeld." Doch selbst dieses "schwierige Umfeld" hat seinen Preis.

Jetzt wurden auch noch die Gebühren erhöht

Die Stadt Dachau hat im Familien- und Sozialausschuss jüngst beschlossen, die Gebühren für die Nutzung der Obdachlosenunterkünfte zu erhöhen: So kostet ein Bett, je nach Standard der Unterkunft, zwischen 300 und 450 Euro, ausgenommen Kinder bis 14 Jahre. Bisher zahlten Betroffene zwischen 150 und 272 Euro pro Monat. Die Gebühren müssten von etwa der Hälfte der Bewohner bezahlt werden, erklärt Haberl - von jenen, die ein Einkommen haben. Die andere Hälfte erhält eine Transferleistungen vom Staat und ist daher nicht von der Erhöhung betroffen.

Die Steigerung sei unbedingt notwendig gewesen, erklärt Haberl, damit die Stadt "die Lücke zwischen dem, was wir einnehmen und dem, was wir ausgeben, verkleinern kann". Steigende Betriebs-, Personal- und Immobilienkosten tragen zur Erhöhung der Gebühren bei. Auch orientiert sich die Stadt Dachau an umliegenden Kommunen. "Es ist schwierig, wenn die Gebühren in Dachau besonders günstig sind", sagt Haberl. Man will ja keine zusätzlichen Obdachlosen in die Stadt locken.

"Wir sind auch Seelsorger"

Damit die in den Unterkünften lebenden Menschen wieder eigenen Wohnraum finden, stehen die Beratungsstellen der Gemeinden und der Caritas den Betroffenen helfend zur Seite. "Wir sind auch Seelsorger", sagt Kothai. Es mache den Menschen oft schon Mut, wenn sie sich mit ihrer Situation nicht alleine wissen. Der Versuch, aus den Unterkünften wieder ausziehen zu können, sei sehr herausfordernd, bestätigt Saltzis: "Es erfordert sehr viel eigene Ressourcen, viel Stärke und ist oft reine Glückssache." Von einer Besserung der Situation gehen beide Frauen derzeit nicht aus.

"Bei Doppelbelegung in den Containern könnten wir 36 Menschen unterbringen", erklärt Kothai. In Dachau sei immerhin Platz für 200 Personen, sagt Haberl. Platz, der irgendwann ausgeschöpft sein wird. Als Lösungsansatz hofft Kothai, dass die Gemeinde Karlsfeld mehr Objekte anmieten kann und somit besonders Familien angemessen unterbringen kann. Doch auch die Gemeinde hat große Probleme, Wohnraum zu finden. "Die Vermieter müssen der Unterbringung von Bedürftigen zustimmen." Und klagt: "Leider werden sie noch immer alle über einen Kamm geschert."

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