Schulsport:Kletterwand statt Sprachbarrieren

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Malyk (Mitte) und Evgenij (r.) sind schon echte Boulder-Profis geworden. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Integration und Spaß am Sport: Fünf Schulen im Landkreis zeigen, wie das geht. Ein Besuch bei der Schulmeisterschaft im Bouldern der Mittelschule Karlsfeld.

Von Gabriele Blaschko, Dachau

Laut dröhnt "Dani California" von den Red Hot Chili Peppers aus der Musikbox in der Mitte der Georg-Scherer-Halle, 35 Kinder wuseln umher. An diesem Dienstag hat die Mittelschule Karlsfeld zur sechsten Schulmeisterschaft im Bouldern eingeladen. Vier Schulen, die Volksschule Haimhausen, die Mittelschule Dachau Ost sowie Dachau Süd und das Ignaz-Taschner-Gymnasium sind der Einladung gefolgt. Andreas Palitza, Konrektor der Haimhauser Schule, und Christian Steinberger, Lehrer in Karlsfeld, haben die Veranstaltung auf die Beine gestellt.

In der Georg-Scherer-Halle gibt es eine richtige Boulderwand. Einige Kinder hangeln sich an den Griffen hoch, andere beraten sich oder suchen gemeinsam nach der besten Route. Ab und zu springt jemand auf die Matten.

Eines haben alle Kinder gemeinsam: die Begeisterung für den Sport. Ihre Vorerfahrungen sind jedoch sehr unterschiedlich. An der Mittelschule Karlsfeld leitet Christian Steinberger eine Boulder-AG, in Haimhausen gibt es ein solches Angebot nur für Grundschüler. Die Kinder der anderen Schulen trainieren im Verein oder in einer allgemeinen Kletter-AG.

Die Kinder bewerten sich selbst

Mit dabei ist auch David Lengsfeld vom ASV Dachau. Als Boulderlehrer engagiert er sich ehrenamtlich bei der Veranstaltung. Hauptberuflich ist er Lehrer an einer Münchner Berufsschule. Für diesen Tag hat er sich extra freigenommen. Dass Lengsfeld heute dabei ist, sei "ein Zeichen der Wertschätzung", sagt Steinberger.

Im Kindergetümmel sind die Profis erst auf den zweiten Blick von den Anfängern zu unterscheiden. Sie tragen Kletterschuhe. Andere Kinder, die noch neu in diesem Sport sind, sind mit normalen Sportschuhen unterwegs.

Eineinhalb Stunden lang kann sich jeder an der Wand ausprobieren. Bis 12 Uhr werden Punkte gesammelt, dann steht fest, wer es bis ins Finale geschafft hat. Für die Besten ist dann noch einmal Klettern angesagt, um 14.30 Uhr findet schließlich die Siegerehrung statt.

Das System basiere auf Eigenverantwortung, erklärt Andreas Palitza. Die Lehrer helfen, geben Tipps. Doch weder sie noch eine Jury bewerten die Kletterkünste. Die Punkte und damit das Weiterkommen liegen in den Händen der Kinder. Jeder schreibt selbst auf, welche Kletter-Routen er geschafft hat, jeder zählt seine eigenen Punkte.

"Scheitern gehört hier dazu"

Einer von ihnen ist der elfjährige Malyk. Vor drei Jahren ist er aus Syrien nach Deutschland gekommen und besucht derzeit die Deutschklasse der Mittelschule Karlsfeld. Anfangs hatte er Bedenken, zu klein für den Sport zu sein. Doch schon nach kurzer Zeit habe er erste Erfolge verbucht und sei dem Sport treu geblieben. "Er merkt, er kommt immer ein Stückchen weiter", sagt Steinberger.

Ausprobieren, Scheitern, Lernen und Besser-Werden - das macht Bouldern aus. Für Christian Steinberger eine der schönsten Seiten dieser Sportart. "Scheitern gehört hier dazu", sagt er. Nur durch Fehler werde man besser. Er könne beobachten, wie gut das Bouldern bei den Kindern ankomme. Gerade im Schulalltag spüre man den positiven Einfluss. "Man sieht wirklich gute Erfolge, auch was Integration angeht", sagt Steinberger.

Auch der 13-jährige Evgenij ist noch nicht lange in Deutschland. Vor zwei Jahren ist er vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen. Auch er ist in Karlsfeld in der Boulder-AG. "Der macht Dinge an der Wand, das ist unfassbar", sagt Steinberger. Evgenij spricht noch kaum Deutsch, schaut immer den anderen zu - und versucht es dann selbst. Die anderen Kinder sind für ihn eine Stütze. Sport, erzählt Steinberger, funktioniere auch ohne Sprache.

Zusammenarbeit statt Konkurrenzkampf

Obwohl sie eigentlich gegeneinander antreten, tauschen sich die Kinder aus. Sie geben sich Tipps, überlegen gemeinsam, wie sie eine Strecke bewältigen können. Wer auf welche Schule geht, spielt dabei keine Rolle, das Miteinander steht im Vordergrund. Das sei auch für die Schülerinnen und Schüler wichtiger als das Gewinnen, sagt Andreas Palitza. Beim Austausch merkten sie: "Jemand hilft mir, dann geht es."

Am Ende des Tages gibt es trotzdem offizielle Gewinner und Gewinnerinnen. In den verschiedenen Altersklassen der Jungen und Mädchen werden jeweils die drei besten Kletterer des Tages gekürt. Auch Malyk ist unter ihnen. Mit 12 von insgesamt 14 gekletterten Routen gewinnt er die Vorrunde. Im Finale reicht es knapp nicht für den ersten Platz. Er habe "überhaupt keine Kraft mehr" gehabt, sagt er erschöpft. Glücklich ist er am Ende des Tages dennoch.

Einen Preis bekommen alle Kinder: eine kostenlose Trainingsstunde beim ASV Dachau. Man wolle alle Kinder zum Mitmachen einladen, so Steinberger. Schließlich habe der Tag gezeigt, was mit Bouldern alles möglich sei.

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