16. Lange Nacht der offenen Türen:Eine Stadt im Farbenrausch

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Urlaubsstimmung in der Neuen Galerie Dachau. Besucher betrachten die Fotografien der frisch eröffneten Ausstellung "Saluti die Capri!" (Foto: Niels P. Jørgensen)

Vernissagen waren in Dachau immer ein gesellschaftliches Ereignis. Dann kam die Corona-Pandemie, und es schien fast so, als hätte die Kunst an Zugkraft eingebüßt. Die lange Nacht der offenen Türen beweist das Gegenteil. Über ein Event, das Jung und Alt gleichermaßen begeistert.

Von Dorothea Friedrich und Gregor Schiegl, Dachau

Bereits eine halbe Stunde, bevor die "16. Lange Nacht der offenen Türen" am Freitagabend offiziell losgeht, eröffnet Frank Donath in der Kleinen Altstadtgalerie den Ausstellungsreigen mit "Nackt II". Es ist, wie der Titel schon erahnen lässt, die mittlerweile zweite Akt-Ausstellung des Dachauer Künstlers Thomas von Kummanth, den man auf internationaler Bühne vor allem als preisgekrönten Comiczeichner kennt. Am Eingang der Galerie werden abgezählte Legosteine ausgegeben, damit sich nicht zu viele Schaulustige in den kleinen Räumen ballen, aber jetzt, um 18.30 Uhr, beschränkt sich der Kreis der Besucher hauptsächlich noch auf Freunde, Familie und Bekannte des Künstlers.

Galerie-Chef Frank Donath rühmt die Ausstellung in seinem Haus augenzwinkernd als die beste, die in den 28 Galerien und Museen an diesem langen Abend zu sehen sei, versäumt es aber nicht, auch innig dafür zu werben, sich all die anderen Ausstellungen auch noch anzusehen. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, an einem Abend 28 Ausstellungen anzuschauen und alle gratis?

Als es dann offiziell losgeht, füllen sich die Straßen langsam, doch bei dem feuchtkalten Wetter konzentriert sich das Geschehen auf die Altstadt, wo sich ein Ausstellungsort an den nächsten reiht. In der Galerie Lochner, wo man die bunten Druckgrafiken des niederländischen Cobra-Künstlers Corneille schon durch die Fenster leuchten sieht, steht Galerist Josef Lochner umringt von einem Dutzend neugieriger Besucher. Es sind gerade eineinhalb Stunden rum, da hat er schon an die 100 Besucher gezählt. "Man merkt, dass es keine Corona-Auflagen gibt", sagt Lochner. "Jetzt können die Leute die Kunst wieder uneingeschränkt genießen." Masken trägt an diesem Abend kaum einer außer ihm und seiner Frau Ursula. Die beiden bleiben bei so viel Trubel lieber vorsichtig; nicht nur Kunstbegeisterung kann ansteckend sein.

Dicht gedrängt finden sich immer wieder neue Gesprächsrunden

Der Hot Spot an diesem Abend ist die KVD-Galerie, wo die vier neuen Mitglieder der Künstlervereinigung, Michael Braun, Margarita Platis, Marian Wiesner, Christian Engelmann und Kristina Seeholzer, ihre Arbeiten vorstellen. Wer es schafft, in den Raum zu kommen, sieht von der Kunst erst mal fast nichts. Die Galerie ist so voll wie ein Wiesn-Bierzelt und die Luft ein sauerstoffarmer warmer Dunst. Dicht gedrängt finden sich immer wieder neue Gesprächsrunden, wobei etliche ihre zufälligen Begegnungen dann doch lieber draußen an der frischen Luft fortsetzen, sei es aus Vorsicht in Sachen Corona, sei es, weil die künstlerische "Waffensammlung" von Christian Engelmann mit vergoldetem Maschinengewehr und einer mit ihrem gigantischen Gewehrlauf protzenden "Superlongdistanzrifle" überdeutlich ins Bewusstsein ruft, in welch ungemütlichen Zeiten wir gerade leben.

Und dann geht die Post ab. Ein paar KVD-Künstler rocken die Galerie mit einem spontanen Sound-Experiment. Gerade mal zwei Stunden vor Ausstellungseröffnung haben sie alles zusammengerafft, was als Instrument dienen könnte und lassen es so richtig krachen.

"Der erste Tag der Ausstellung ist immer der entscheidende."

So eine Partystimmung hat man bei einem Kunst-Event in Dachau lange nicht mehr erlebt. Dabei hatte man sich gerade in den Reihen der Künstlervereinigung schon gesorgt, ob sich bei den Dachauern nach all den Lockdowns nicht ein schleichender Kulturwandel vollzogen haben könnte, weg von den Galerien, hin zur Glotze. Zu den Vernissagen waren nach den Lockdowns längst nicht mehr so viele Leute gekommen wie früher. Eine gefährliche Entwicklung für die Künstler. "Der erste Tag der Ausstellung ist immer der entscheidende", sagt Ralf Hanrieder. "Da kaufen die Leute, danach passiert nicht mehr viel."

Der Künstler lehnt an einem Getränketresen, den die Volksbank in ihrer Schalterhalle hat aufbauen lassen, ringsum leuchten Hanrieders großformatige Bilder, komponiert nach den Prinzipien des Magischen Quadrats. Neben vielen, sehr vielen Bildern prangt ein roter Punkt an der Wand. Verkauft, verkauft und noch mal verkauft. Der Künstler kann zufrieden sein. Einerseits. Andererseits hadert Hanrieder aber auch ein bisschen damit, dass er den ganzen Abend hier festsitzt, während ständig Besucher mit strahlenden Gesichtern hereinkommen und wieder hinausgehen. Eine Dachauerin, die fast bei jeder Langen Nacht dabei ist, schwärmt euphorisch: "Das ist eine einzige Abfolge an Feuerwerken in diesem Jahr!"

Die Insel Capri hat es dem Zweckverband angetan

Zu den großen Krachern darf man auf alle Fälle die frisch eröffnete Ausstellung in der Neuen Galerie rechnen: Wer in der vergangenen Woche "Die Verachtung" des kürzlich verstorbenen Regisseurs Jean Luc Godard im Fernsehen angeschaut hat, erlebt hier ein beglückendes Déja-vu-Erlebnis. Im Rahmen der Ausstellung "Saluti da Capri!" sind in der Neuen Galerie gerade Fotos von Klaus Frahm zu sehen. Sie zeigen auch die Villa Malaparte auf Capri, in der ein Großteil des Kultfilms gedreht worden ist: Eine steile Treppe führt zu der verwegen auf einem Felsen balancierenden Villa des berühmten Schriftstellers Curzio Malaparte. Die Inneneinrichtung ist eher puristisch, der Ausblick sensationell. Man hört viel "Oh!" und "Ah!" vom Publikum.

Die Insel Capri hat es dem Zweckverband Dachauer Galerien und Museen angetan: Von Donnerstag, 29. September an, zeigt die Gemäldegalerie "Zauberhaftes Capri. Ein Paradies für Künstler". Dass die Insel derzeit so im Fokus steht, habe nichts mit einer möglichen Vorliebe für Limoncello zu tun, sagt ein gut aufgelegter Oberbürgermeister Florian Hartmann bei der Eröffnung. Vielmehr seien die Kontakte über Euroart zustande gekommen, der europäischen Vereinigung von Künstlerkolonien. Gut möglich, dass dieses Ausstellungs-Doppel dem real existierenden Capri weitere Besucherscharen beschert.

Ruhiger geht es bei Arttextil in der Martin-Huber-Straße zu. Dort macht gerade eine Ausstellung der Deutsch-Afghanischen Initiative Station. Die Werke von etwa 200 Afghaninnen, die die uralte Kunst der Handstickerei ausüben, verkauft der gemeinnützige Verein, der Erlös fließt in Bildungsprojekte. Gestickt haben die Frauen Kühe in allen möglichen Farben; Deutsche und Schweizerinnen haben diese wiederum in ihre eigenen Handarbeiten eingebaut. Kühe wurden deshalb als Motiv gewählt, weil sie Eckpfeiler der Existenzsicherung für die kleinbäuerlichen Familien sind. Eine der berührendsten Arbeiten zeigt drei lila-weiß gefleckte Kühe auf einer Wiesenidylle, abseits steht eine kunterbunte Kuh. Da braucht es den Titel "Allein in der Fremde" eigentlich gar nicht mehr.

Hier spielt die Musik. Bei der Vernissage in der KVD-Galerie sorgt ein kleines Ensemble für die klangliche Untermalung. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Gianluca Federicos Installation "l'equilibrio" stellt den Betrachter vor einige Rätsel. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Freundliche Begrüßung vor Claudia Flachs Atelier in der Kleinen Moosschwaige: Nashorn-Keramik auf dem Gartentisch. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Im Dachauer Forum erläutert der Dachauer Fotograf Wolfgang Feik Einzelheiten zu den Bildern seiner Ausstellung "On Stage". (Foto: Niels P. Jørgensen)
Gottfried Moeckl stellt im "Freiraum" seinen farbenprächtigen "Kodex Skarabäus" vor. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Was an diesem Abend auffällt, ist, dass der vom Förderverein Wasserturm organisierte Event heuer mehr junge Leute anlockt als in früheren Jahren: Viele Studenten, aber auch Familien mit kunstinteressiertem Nachwuchs sind unterwegs, und das nicht nur im selbstverwalteten Jugendtreff "Freiraum", wo man "Diverses aus Dachau und so" anschauen kann, einen bunten Ausstellungsmix freier Künstler.

Bei der Schar von Kindern, die spätabends lauthals skandierend "Wir fordern Gerechtigkeit!" am Wasserturm vorbeizieht, weiß man allerdings nicht so recht, ob sie nun zu den Besuchern der Langen Nacht gehören - oder es nur gerne wären, um wie all die anderen staunend von einer kunstvoll bespielten Etage zur nächsten zu schreiten.

Lore Galitz und Verena Friedrich zeigen in dem am höchsten gelegenen Ausstellungsort der Stadt ihre von Mutter Natur inspirierten Arbeiten, aber so wie in dieser Nacht könnte man sie tagsüber nie sehen. Die Räume sind mit Schwarzlicht beleuchtet und lassen die Kunst im wahrsten Sinne des Wortes in einem neuen Licht erscheinen. Die Papier-Objekte von Verena Friedrich strahlen bläulich von innen wie exotische Schwammerl mit Bioluminiszenz. Fast ehrfürchtig bewegen sich die Besucher durch diesen Wundergarten auf vier Etagen. Und die beiden auswärtigen Künstlerinnen? Die strahlen mit ihren Objekten um die Wette. "Toll", sagen sie. "Toll!" Mehr bringen sie nicht mehr über die Lippen.

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