Behindertenbeauftragter des Landkreises Dachau:"Über zu wenig Arbeit kann ich mich nicht beklagen"

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Als Behindertenbeauftragter für die Stadt und den Landkreis Dachau zuständig: Hartmut Baumgärtner. (Foto: Toni Heigl)

Hartmut Baumgärtner ist zum wiederholten Male zum Behindertenbeauftragten des Landkreises gewählt worden. Im Interview spricht er über seine bisherige Amtszeit und was er in den kommenden vier Jahren erreichen will.

Interview von Jacqueline Lang, Dachau

Wenn man über das Thema Inklusion im Landkreis Dachau sprechen möchte, kommt man an Hartmut Baumgärtner nicht vorbei: Der 74-Jährige ist seit vielen Jahren nicht nur der Behindertenbeauftragte des Landkreises, sondern auch der Stadt Dachau. Vor kurzem wurde er wiedergewählt und bleibt noch bis Juli 2026 im Amt. Ein Gespräch über Barrierefreiheit, behördliche Schwerfälligkeit und eine hohe Frustrationstoleranz.

SZ: Herr Baumgärtner, zum wievielten Mal wurden Sie jetzt eigentlich schon in Ihrem Amt als Behindertenbeauftragter des Landkreises und der Stadt Dachau wiedergewählt?

Hartmut Baumgärtner: Für die Stadt ist es das vierte Mal und für den Landkreis das zweite Mal.

Ihre bisherige Stellvertreterin auf Landkreisebene, Hildegard Baumgartner, hat das Amt nach acht Jahren niedergelegt. Nun haben Sie mit Markus Ludwig einen neuen Stellvertreter. Aber Sie selbst denken offenbar noch nicht ans Aufhören.

Nein, noch denke ich nicht ans Aufhören. Aber ich gehe davon aus, dass ich in vier Jahren nicht nochmal zur Wahl stehen werde. Dann möchte ich endlich mal mein Rentnerdasein genießen und ohne Termin morgens aufstehen.

Das klingt, als hätten Sie derzeit einen recht vollen Terminkalender.

Meine Bürozeiten sind immer montags und dienstags von 9 bis 12 Uhr, da mache ich immer meine Beratungsgespräche für Menschen mit Behinderungen, die Fragen haben oder Hilfe brauchen. Ansonsten ist es meine Aufgabe als Behindertenbeauftragter, für Barrierefreiheit zu sorgen. Das heißt ich schaue mir viele Pläne an, wenn etwas im öffentlichen Bereich gebaut wird. Außerdem finden zweimal im Jahr Netzwerktreffen mit den Behindertenbeauftragten aus ganz Bayern statt und auch mit Behindertenbeauftragten aus ganz Deutschland bin ich im Kontakt. Über zu wenig Arbeit kann ich mich also nicht beklagen.

Würden Sie denn sagen, der Landkreis ist barrierefreier geworden, seit Sie im Amt sind?

Laut Horst Seehofer ( Anm. d. Red: ehemaliger bayerischer Ministerpräsident von der CSU) wäre ganz Bayern ja schon nächstes Jahr barrierefrei ( lacht). Aber mal im Ernst: Der Landkreis ist schon barrierefreier geworden in den vergangenen sechs Jahren und ist auf dem Weg, noch barrierefreier zu werden. Ich rechne deshalb schon damit, dass wir in 30 Jahren zumindest so weit sind, dass alle verstanden haben, was Barrierefreiheit bedeutet, dass jeder Mensch gleich ist und die gleichen Möglichkeiten haben sollte.

In 30 Jahren schreiben wir das Jahr 2052. Was müsste sich denn bis dahin noch alles tun, damit man wirklich von einem barrierefreien Landkreis sprechen könnte?

Schon noch so einiges. Das fängt ja schon von klein auf an, wenn Kinder mit ADHS ( Anm. d. Red.: Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung), Lernschwierigkeiten oder sozialen Schwierigkeiten im Kindergarten Probleme haben, weil schon dort das Personal fehlt, um solche Kinder aufzufangen. Das geht in der Schule weiter und zieht sich bis ins Berufsleben. Inklusion ist wirklich ein ganz großes Thema, das wir auch im Landkreis angehen müssen. Da gibt es noch sehr viele veraltete Richtlinien, Verordnungen und Satzungen, die Barrierefreiheit praktisch unmöglich machen.

Würden Sie trotzdem sagen, dass es leichter geworden ist, sich Gehör zu verschaffen, weil es mittlerweile Konsens ist, dass Barrierefreiheit eine Notwendigkeit und keine Gefälligkeit ist?

Auf politischer Ebene auf jeden Fall. Auf behördlicher Ebene ist es etwas schwieriger, einfach deshalb, weil die Strukturen sehr schwerfällig sind. Oft dauert es Jahre, bis etwas, das politisch längst entschieden ist, auch tatsächlich umgesetzt werden kann.

Wenn man Sie so reden hört, gewinnt man den Eindruck, als bräuchte man in Ihrer Position eine hohe Frustrationstoleranz. Stimmt das?

Man darf das alles nicht persönlich nehmen - sonst geht man kaputt. Ich lebe deshalb nach dem Grundsatz: Herr, gib mir die Gnade, mit Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Sie haben vorhin gesagt, in vier Jahren werden Sie voraussichtlich nicht noch einmal kandidieren. Was haben Sie sich bis dahin noch alles vorgenommen?

Ich bin dabei, die Barrierefreiheit im Landkreis zu dokumentieren. Zunächst habe ich einen Aufruf gestartet, und Ärzte und Geschäfte gebeten, sich an mich zu wenden, um mal zu schauen, ob sie schon barrierefrei sind oder ob sie auf dem Weg dahin Hilfe brauchen. Auf meinen Aufruf habe ich kaum Reaktionen bekommen, deshalb möchte ich das noch mal anders aufziehen und eine Positiv-Liste erstellen. Darauf erfasst werden alle Betriebe und Praxen, die schon barrierefrei zugänglich sind. Damit wirklich alle Menschen erkennen, wie der Zugang ist. Denn Barrierefreiheit betrifft Menschen mit kleinen Kindern genauso wie Menschen mit einer Behinderung. Und damit meine ich nicht nur Rollstuhlfahrer.

Das andere Thema, das mir sehr am Herzen liegt und das ich weiter vorantreiben möchte ist das Thema Inklusion. Für konkrete Maßnahmen wird meine verbleibende Amtszeit kaum reichen, aber ich will für noch mehr Verständnis werben, ein Bewusstsein schaffen - vor allem auf Kreisebene.

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