Dachau:Wie KZ-Überlebende auf die AfD blicken

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Ernst Grube, deutscher NS-Verfolgter und bekannter Vertreter einer aktiven Vergangenheits- und Aufarbeitungspolitik, ist Präsident der Lagergemeinschaft Dachau. Er ist bestürzt über die wachsende Zustimmung für die AfD. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das Auschwitz-Komitee, das Comité International de Dachau und die Lagergemeinschaft Dachau sind entsetzt über den Zuspruch für die teils rechtsextreme Partei. Kritik gibt es aber auch am CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz.

Von Helmut Zeller, Dachau

Ernst Grube, 90, ist bestürzt. "Für mich ist das nicht fassbar", sagt der Shoah-Überlebende und Präsident der Lagergemeinschaft Dachau. Die in Teilen rechtsextreme AfD käme zurzeit bei einer Bundestagswahl laut einer Umfrage von Infratest Dimap auf 21 Prozent, einen Prozentpunkt mehr als vor einem Monat, und würde damit als zweitstärkste Kraft hinter CDU/CSU (27 Prozent) ins Parlament einziehen. "Ich reagiere natürlich besonders empfindlich auf diese Entwicklung." Grube hat als jüdisches Kind in den 1940er-Jahren erfahren müssen, wie es ist, wenn der Hass die Politik bestimmt. Die Nationalsozialisten verschleppten den Zwölfjährigen in das Konzentrationslager Theresienstadt. Auch das Comité International de Dachau (CID) zeigt sich besorgt über die wachsende Zustimmung in der Bevölkerung für die AfD.

Verstörend und enttäuschend

Das sei für Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager zutiefst verstörend und hochgradig alarmierend, hat Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Auschwitzkomitees, epd zufolge am Freitag in Berlin erklärt. Die AfD, so Heubner, habe sich endgültig aus der "bürgerlichen Tarnungszone" verabschiedet und verfolge eine "unverhohlen rechtsextreme und völkische Agenda". CID-Präsident Dominique Boueilh schrieb der SZ Dachau, dass sein Verband "natürlich sehr besorgt über den Anstieg rechtsextremer Bewegungen in den Ländern Europas und insbesondere in Deutschland" sei.

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Die Enttäuschung sitzt tief: Deutschland sei es doch gelungen, das schwere Erbe des Nationalsozialismus in eine große Hoffnung für eine demokratische Gesellschaft umzuwandeln, die die Rechte und die Würde des Menschen respektiert. "Die Rückkehr politischer Parteien mit einer identitären und radikalen Linie stellt für uns, die Erben und Träger des Andenkens der ehemaligen Deportierten, einen Rückschritt und einen Angriff auf die Werte dar, die von den Opfern des Nationalsozialismus, gleich welcher Herkunft, Konfession und Natur, hinterlassen wurden", erklärte Boueilh.

Boueilh warnt: Die Rechten nähmen den Geist Europas ins Visier. Die politischen und zivilen Kräfte, die seit 80 Jahren in den Aufbau einer freien Welt investierten und die Werte respektierten, die sie aus dem Sieg über den Nationalsozialismus geerbt hätten, müssten sich mobilisieren und in einem verbindenden Gesellschaftsprojekt zusammenschließen. Heubner sagte, es wäre "als Signal nach Europa fatal, wenn eine rechtsextreme Partei in Deutschland weiter an Macht und Einfluss gewinnen würde". Es scheine so, "als ob zunehmend mehr Menschen in Europa unter Gedächtnisverlust leiden und diejenigen Kräfte stärken, deren Ideologie und antisemitischer Hass Europa schon einmal zerrissen und zerstört haben".

Kritik an demokratischen Parteien

Ernst Grube kritisiert auch die demokratischen Parteien - für ihren Umgang mit der AfD. "Sie haben nicht den Widerstand geleistet, wie er sein sollte." Grube erwähnt den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der sich im ZDF-Sommerinterview für eine Kooperation mit der AfD auf kommunaler Ebene ausgesprochen hatte. Auch wenn Merz dann wegen der Proteste zurückgerudert sei, die Aussage stehe im Raum und trage zu einer Atmosphäre bei, die letztlich nur der AfD zum Vorteil gereiche. Dazu komme, dass die Migrationspolitik in der EU - die Asylsuchenden würden im Stich gelassen - eine gewisse Nähe zur Politik der AfD aufweise. Grube betonte, dass er für sich spreche. Die Lagergemeinschaft werde noch eine gemeinsame Erklärung verabschieden. Der Shoah-Überlebende und CID-Vizevorsitzende Abba Naor sagt zu Merz' Aussage nur: "Gefährlich!"

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Naor tritt seit vielen Jahren als Zeitzeuge auf - das macht ihm Hoffnung. "Die Kinder, die zugehört haben, werden, wenn sie im wahlfähigen Alter sind, nicht die AfD wählen." Er denke, so Naor, die AfD habe auf längere Sicht keine große Chance. Die demokratischen Parteien in Deutschland könnten sich diesen Rechtsruck nicht leisten, sagt er. Die Bundestagswahlen sind erst in zwei Jahren - aber für die Landtagswahl am 8. Oktober in Bayern würde den neuesten Wahlumfragen zufolge die AfD mit 14,1 Prozent, fast gleichauf mit den Grünen, als drittstärkste Kraft hinter der CSU ins Maximilianeum einziehen.

"Das ist eine echte Gefahr für die Demokratie", sagte Vizelandtagspräsident Karl Freller (CSU), Direktor der bayerischen Gedenkstättenstiftung. Die AfD zehre von den Ängsten der Menschen, die durch die Migrationspolitik und das Heizungsgesetz der Ampel-Koalition verunsichert worden seien. Freller sieht auch die Erinnerungspolitik in Gefahr, "denken Sie an die Aussage, der Nationalsozialismus sei ein Fliegenschiss in der deutschen Geschichte, oder an die Forderung, die Erinnerungspolitik um 180 Grad umzudrehen".

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