Kultur in Dachau:Neues Album von Hayley Reardon

Lesezeit: 3 min

Hayley Reardon wurde 2019 von der Stadt Dachau als Ruckteschell-Stipendiatin ausgewählt. Doch dann kam die Pandemie dazwischen. (Foto: Kannetha Brown/oh)

Die Musikerin kommt noch nicht nach Dachau - aber ihr Album

Von Gregor Schiegl, Dachau

Wäre alles nach Plan gelaufen, die Bostoner Musikerin Hayley Reardon wäre bereits wieder aus der Ruckteschell-Villa ausgezogen. Dann würde sie jetzt mit ihrer Gitarre durch die Welt touren, den Kopf voll neuer Songs, die sie in Dachau geschrieben hat, und gewiss auch mit einigen neuen Fans im Schlepptau. Doch das Wohnstipendium, das bereits am 1. April 2020 beginnen sollte, konnte sie bis jetzt noch nicht mal antreten. Dieses Stipendium wird von der Stadt Dachau jährlich an junge Künstler aus der ganzen Welt vergeben, um sie bei ihrer künstlerischen Entwicklung zu unterstützen. Corona hat die Pläne erst einmal vereitelt.

"Mich hat das lange sehr betrübt", sagt Hayley Reardon. Sie hoffe nun, dass sie "irgendwann im Jahr 2021" nach Dachau kommen könne. "Die Zeit wird's zeigen" sagt sie auf Englisch. Klar, Hayley Reardon ist Amerikanerin. Doch die vergangenen Monate hat sie genutzt, um Deutschkurse zu besuchen. "Lustig" sei das gewesen, sagt sie, aber auch "herausfordernd". Wer weiß, vielleicht kann sie die neuen Kenntnisse ja bald doch in Dachau einsetzen. In wenigen Tagen endet der sechsmonatige Aufenthalt der Malerin Anja Seelke in der Villa, die Wohnung wäre wieder frei, Kulturamtsleiter Tobias Schneider würde sich freuen, wenn Hayley Reardon bald einzöge, aber das hängt auch von Rahmenbedingungen ab, die Schneider nicht beeinflussen kann, etwa die Einreisebestimmungen aus den USA in die EU und die Auftrittsmöglichkeiten, die auch in der bereits abflauenden Phase der Pandemie für Musiker immer noch schwierig sind.

Künstlerisch war Hayley Reardon in den vergangenen Monaten trotzdem nicht untätig. Mitte April ist ihre neue Single "Child of a Giver" herausgekommen, eine zarte, elegische Nummer mit einer Instrumentierung, die wenige, aber wuchtige Akzente setzt. Immer wieder verhallt die Fülle der Klänge, man lauscht ihnen nach; dann öffnet sich eine weite Stille wie eine leere Bühne, die Hayley Reardons glasklarer Stimme Raum gibt. Der Hauch von Soul, der dabei immer mitschwingt, sorgt für Gänsehautmomente der schönsten Art.

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"Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich den ersten Vers von "Child of a Giver" geschrieben habe, als ich während meiner ersten langen Europatour im Winter 2019 aus dem Rücksitzfenster unseres Mietwagens geschaut habe", erzählt Hayley Reardon. "Ich habe das gesamte Wachstum und den Wandel aus dem Vorjahr verarbeitet. In vielerlei Hinsicht hatte ich mein Leben neu geordnet und ich fühlte mich schuldig wegen allem, was ich zurückgelassen hatte. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken während der langen Fahrten, und "Child of a Giver" war einer der wenigen Songs von mir, die auf der Autobahn geboren wurden."

Das Thema des Songs ist die Angst, andere Menschen zu enttäuschen oder im Stich zu lassen ist, ein sehr persönliches Thema, dem die zeitweise sehr harten Kontaktbeschränkungen in der Pandemie aber auch eine unerwartet aktuelle gesellschaftliche Dimension gegeben haben. Nicht dagewesen zu sein, wo man einem geliebten Menschen hätte beistehen müssen, das ist ein Schmerz, den man aushalten muss.

Hayley Reardon braucht nur wenige Worte, um ihre Gefühle in kleine poetische Bilder zu packen, manchmal genügen sogar einzelne Wörter. "Drip, drip" tropfen die Schuldgefühle auf sie herab wie ein kalter Regen. Und doch strahlt der Song eine natürliche Wärme und Hoffnung aus. Jedes Kind weiß: Nach Regen kommt wieder Sonnenschein. Der letzte Refrain ist ein Versprechen, die Ängste loszulassen und weiter sein Leben zu leben. Ein zeitgemäßer Song, der Hoffnung gibt und Zuversicht. Inzwischen hat sich die Stimmung in der Pandemie-Düsternis zum Glück deutlich aufgehellt, auch und gerade in den USA. Hailey Reardon hat bereits ihre erste Impfung gegen das Coronavirus erhalten, auch um ihren engsten Kreis muss sie sich jetzt keine so großen Sorgen mehr machen. "Meine Familie und meine Lieben sind nun weitaus besser geschützt als noch vor einigen Monaten. Der Sommer kommt." Und längst ist auch bei Hayley Reardon das Bangen einem Gefühl tiefer Erleichterung gewichen, jetzt macht sie Aufbruchsstimmung breit.

"Ich habe so viele neue Songs und es kommen noch viel mehr", kündigt die Musikerin fröhlich an. "Child of a Giver" ist, jetzt lassen wir die Katze endlich, endlich mal aus dem Sack, zugleich der Vorbote für ein komplett neues Album. "Ich bin so glücklich, diese Single und die kommende EP endlich veröffentlichen zu können", sagt Reardon. "Es fühlt sich gut an, dieses Projekt herauszubringen und meine Aufmerksamkeit auf neue Musik und kreative Arbeit zu lenken." Und wie eine Verheißung auf die vielen kleinen neuen Möglichkeiten der Nach-Corona-Zeit heißt die neue EP "A Hundred Little Lives": hundert kleine Leben. Eines davon wartet immer noch auf sie in Dachau in der Ruckteschell-Villa.

Das Video zur Single gibt es auf Youtube unter: https://youtu.be/7gk18ve-h8w

© SZ vom 27.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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