SZ-Serie: Tatort Region, Folge 3:Mysterium an der B 471

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An einer Lärmschutzwand im Karlsfelder Ortsteil Rothschwaige finden Polizisten eine Frauenleiche. Schnell ist klar: Es handelt sich um eine seit zwei Jahren vermisste 46-Jährige. (Foto: Toni Heigl (Bearbeitung: SZ))

An einem Herbsttag des Jahres 2007 macht sich eine 46-jährige Georgierin griechischer Abstammung auf den Weg in die Kirche. Dort kommt sie nicht an. Zwei Jahre später finden Straßenarbeiter ihre Leiche

Von Walter Gierlich, Karlsfeld

Bei der Bürgerversammlung im November 2009 gibt es unter den Karlsfeldern erhebliche Unruhe. Die Einwohner äußern sich verängstigt, sie sorgen sich um die Sicherheit im Ort. Bewohner des Ortsteils Rothschwaige stellen sogar die Frage, ob man denn künftig die Kinder noch draußen spielen lassen könne.

Dass die Unsicherheit in Karlsfeld zu diesem Zeitpunkt so groß ist, liegt daran, dass eine Gruppe von Arbeitern der Straßenmeisterei Dachau am Vormittag des 3. November 2009 etwas erlebt hat, was man normalerweise nur in gruseligen Krimis zu sehen bekommt: Sie wollen eine Lärmschutzwand an der Bundesstraße 471 in der Rothschwaige von Gestrüpp befreien. Sie sind dabei, Bäume zurückzuschneiden, als sie hinter der Wand einen dunklen Anorak und einen menschlichen Schädel entdecken. Die Männer rufen sofort die Polizei, die schließlich eine skelettierte Leiche findet.

Anschließend übernimmt die Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck die Ermittlungen. Die Kommissare stellen Kleidung und persönliche Gegenstände sicher: eine Handtasche, eine braune Jacke, einen schwarzen Rolli, einen braunen Rock und braune Schuhe. Die Leiche liegt versteckt auf einer Anhöhe gleich neben der gut zweieinhalb Meter hohen Schutzwand, welche die Einfamilienhäuser in der Rothschwaige vom Verkehrslärm der viel befahrenen Bundesstraße B 471 abschirmt. Schnell ist klar, dass die tote Frau dort seit mehr als einem Jahr gelegen haben muss. Möglicherweise sogar seit beinahe zwei Jahren.

Die SZ-Tatortserie beleuchte die spektakulärsten Kriminalfälle aus München und der Region. (Foto: Hosse)

In der Handtasche finden die Ermittler Hinweise, dass es sich bei der Toten um Zouzouna I. handeln dürfte, die bereits seit dem 14. Oktober 2007 als vermisst gilt. Am folgenden Tag beseitigt die Obduktion letzte Zweifel über die Identität der Toten: Es ist die zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 46-jährige Georgierin griechischer Abstammung aus München-Giesing. Ziemlich sicher sind sich zu diesem Zeitpunkt die Ermittler auch, dass sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist, obwohl die Obduktion keine Rückschlüsse auf die Todesursache zulässt.

Die aus Tiflis stammende Familie von Zouzouna I. war 1989 nach Griechenland gezogen. Dort hatte die Tochter von Zouzouna I. ihren Mann kennengelernt, mit dem sie sich 2004 in München niederließ. Als das Paar sein erstes Kind bekam, folgte die Mutter 2006 der Tochter nach München, um der jungen Frau im Haushalt zu helfen und auf den Enkel aufzupassen. Ihr Mann war zu Hause in Griechenland geblieben, sie selbst hatte in München wenige Kontakte, außer zur Familie und zu ihrer orthodoxen Kirchengemeinde. Sie sprach ja auch nicht Deutsch, konnte jedoch nach Angaben ihrer Familie Russisch, Griechisch und etwas Türkisch.

Der Tatort damals: Die Polizei setzt 2009 einen Spürhund ein, um die Böschung abzusuchen. (Foto: Toni Heigl)

Am 14. Oktober 2007, einem recht trüben Tag, verlässt die streng gläubige Zouzouna I. um 9 Uhr morgens ihre Wohnung an der Münchner Untersbergstraße, um zu einem Gottesdienst in der Innenstadt zu fahren. Ihre Tochter fühlt sich nicht wohl und bleibt daher zu Hause. Die orthodoxe Kirche feiert an jenem Tag das Fest "Maria Schutz" im Kolpinghaus in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die 46-Jährige hat, wie ihre Tochter später sagen wird, ihr Gebetbuch, ein Holzkreuz am Lederband und einen Rosenkranz eingesteckt. Sie will vermutlich zur wenige hundert Meter von der Wohnung entfernten U-Bahn-Station. Ob sie dort je ankommt, ist unklar. Sie fehlt jedenfalls beim Gottesdienst im Kolpinghaus. Die Familie fragt noch am Tag des Verschwindens in allen orthodoxen Kirchengemeinden nach, aber es findet sich keine Spur von Zouzouna I. Niemand hat sie gesehen und wird sie auch nie mehr wieder sehen.

Die Angehörigen laufen damals den Weg in die Innenstadt zu Fuß ab, verteilen Fotos in der U-Bahn. Sie befragen Freunde, Nachbarn und Bekannte - alles ohne Erfolg. Die mittlerweile alarmierte Polizei sucht ebenfalls vergeblich nach der Georgierin. Sie bleibt verschwunden. Einen Suizid der Frau, die Medikamente gegen Depression genommen hat, schließt die Familie angesichts der Religiosität der 46-Jährigen kategorisch aus.

Heute ist die Stelle dicht mit Gestrüpp bewachsen. (Foto: Toni Heigl)

Auch die Ermittler der Kripo glauben nicht an einen Suizid. "Der Fundort der Leiche ist nicht der Tatort", betont damals ein Polizeisprecher. Damit ist es für die ermittelnden Beamten ausgeschlossen, dass Zouzouna I. sich an der abgelegenen und gut verborgenen Stelle selbst das Leben genommen haben könnte. Damals vermuten die Polizisten: Wer immer den Körper der toten Frau aus München in die Rothschwaige gebracht hat, muss ganz bewusst jenen versteckten und uneinsehbaren Platz hinter der Lärmschutzwand in Karlsfeld ausgewählt haben - in der Hoffnung, dass die Leiche nicht so bald gefunden würde. Spaziergänger kommen dort nicht vorbei und von der Bundesstraße aus ist der Ort durch die Lärmschutzwand verdeckt. Tatsächlich ist die Rechnung aufgegangen, hat es doch fast zwei Jahre gedauert, bis die Straßenarbeiter ihren grausigen Fund gemacht haben.

Die Fürstenfeldbrucker Kriminalpolizei bildet damals die Sonderkommission "Hellas" und bittet die Bevölkerung um Mithilfe in dem rätselhaften Fall. Die Beamten verteilen Hunderte Flugblätter in der Nähe des Fundorts in Karlsfeld und der Nachbarstadt Dachau, befragen Anwohner in der Hoffnung, dass diesen am 14. Oktober 2007, dem Tag, an dem der München-Marathon stattgefunden hat, etwas Verdächtiges aufgefallen ist. Doch alle Mühe bleibt vergeblich.

Und heute? Mittlerweile geht die Polizei "von einem natürlichen Ableben aus", sagt Pressesprecher Hans-Peter Kammerer vom Präsidium Oberbayern-Nord: "Es spricht vieles dafür." Die Ermittler hätten letztlich keine Anhaltspunkte für ein Gewaltverbrechen gefunden. Die Frau sei "psychisch auffällig" gewesen und habe unter "religiösen Wahnvorstellungen" gelitten. Das dürfte laut Kammerer auch hinter dem verborgenen Auffindungsort stecken. Wie Zouzouna I. an die B 471 in der Rothschwaige gekommen ist, bleibt weiterhin ein Rätsel.

© SZ vom 31.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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