Politisches Kabarett:Wir machen uns doch alle was vor

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Das Weltgeschehen liefert dem Kabarettisten Thomas Schreckenberger derzeit mehr als genug Stoff. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Nur die Lüge zählt": Beim Kabarettabend der Indersdorfer SPD mit Thomas Schreckenberger bekommen alle ihr Fett ab. Nur eine Partei erwähnt er mit keinem Wort.

Von Renate Zauscher, Markt Indersdorf

Krisen über Krisen und das Unvermögen, sie zu lösen: Egal, wohin der Mensch, der bundesdeutsche insbesondere, auch blickt - er schaut allenthalben auf reale oder auch irreale Schreckensszenarien. Den einen rauben sie den Schlaf - den anderen dagegen bieten sie Stoff für Kabarett vom Feinsten.

Zu Letzteren gehört Thomas Schreckenberger. Am Samstag kam der mit vielen Preisen ausgezeichnete Baden-Württemberger auf Einladung des Indersdorfer SPD-Ortsvereins und seines Vorsitzenden Hubert Böck in den Gasthof Doll, wo der Zustand der Welt seit nunmehr elf Jahren regelmäßig einer kritisch-kabarettistischen Analyse unterzogen wird.

Regiert von einer Reptiloidin

"Nur die Lüge zählt": Davon ist Thomas Schreckenberger überzeugt und deshalb hat er diesen Titel auch für sein aktuelles Programm gewählt. Die Lüge sei schließlich unverzichtbar in unserer Gesellschaft - immer schon und heute mehr denn je. Sie sei "der Kitt", der alles zusammenhält, egal ob es dabei um die Politik, um das zwischenmenschliche Miteinander, um Sport oder Kirche, um Fake News oder Verschwörungstheorien geht.

Die Mondlandung - vielleicht nur Schwindel? Angela Merkel ein Echsenwesen? Und die Corona-Impfung nur dazu da, um uns per eingesetztem Chip genetisch zu verändern? Gar nicht so wenige von uns sind ja vom Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen überzeugt - und schließlich ist einer der größten Lügner Präsident der USA geworden - und könnte es wieder werden.

Lügen jetzt noch leichter

Natürlich fällt das Lügen in Zeiten des Internets auch besonders leicht. "Jeder kann heute sagen, was er denkt, ohne dass er vorher gedacht hat" und kann diese seine "Wahrheit" dann ins Netz einspeisen.

Überhaupt die "Wahrheit, die Schwester der Lüge. Wollen Sie die Wahrheit über die Wahrheit hören?", fragt Schreckenberger sein Publikum. Die Wahrheit sei ganz einfach, "dass keiner die Wahrheit hören will".

Dabei springt die Wahrheit aus Sicht von Schreckenberger doch eigentlich jedem ins Auge. Die Wahrheit über den Zustand unseres Bildungssystems etwa, in dem der Staat "die Lehrer anbetteln muss, damit sie wieder für ein paar Stunden zum Unterricht kommen". Oder die Wahrheit über den Zustand der Bundeswehr, die außer ein paar Panzern "mit Oldtimer-Kennzeichen" und der Gorch Fock für den Schutz der Ostsee nichts aufzubieten hat.

Ist die Zeit für die Demokratie abgelaufen?

Schließlich auch die Wahrheit, dass man sich womöglich auf eine "neue Weltordnung einstellen" müsse. Eine, in der "die Chinesen nicht mehr als Köche nach Deutschland kommen, sondern als Investoren", und in der China vorführe, dass in Diktaturen vieles - etwa die Umsetzung von Infrastrukturprojekten - sehr viel flotter vonstattengehe als in unserer Demokratie. Und vielleicht, gibt Schreckenberger provozierend zu bedenken, "ist die Zeit für die Demokratie ganz einfach abgelaufen?"

Bei seinem Blick auf die Gegenwart springt Thomas Schreckenberger von Thema zu Thema, verdichtet, was er dazu zu sagen hat, in einem Redestrom mit oft gleich mehreren Pointen in einem einzigen Satz und begeistert seine Zuhörer mit unerwarteten Gedankensprüngen und höchst kreativen Analogieschlüssen.

Nicht nur über die Fähigkeit, die Dinge sehr genau und sehr kritisch zu benennen, verfügt Schreckenberger, sondern auch über ein hoch entwickeltes Talent, Menschen zu parodieren. Dafür bietet sich natürlich in erster Linie das Personal der Politbühne quer durch alle Parteien an. Sich sprachlich und gestisch überzeugend in Winfried Kretschmann zu verwandeln, in Robert Habeck, Friedrich Merz, in Lindner oder Lauterbach: für Schreckenberger kein Problem.

So sieht es aus, wenn alle SPD-Wähler Bayerns sich zusammenfinden. Ein Scherz, aber mit Wahrheitsgehalt. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Der SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis, Michael Schrodi, lässt sich den Indersdorfer Kabarettabend nicht entgegen. (Foto: Niels P. Jørgensen/Niels P. Jørgensen)

Köstlich sind diese Parodien selbst dann, wenn sie in veritablen Klamauk umschlagen. So führt Schreckenberger vor, wie sich ein Klaus Kinski als Nachrichtensprecher machen würde, der sich in wütende persönliche Kommentare zum Weltgeschehen hineinsteigert. Oder er lässt Friedrich Merz und Angela Merkel in einer Kurzfassung das Drama von Romeo und Julia ausagieren - eine Zugabe, die zu den Highlights des Abends gehört und für stürmischen Applaus sorgt.

Nicht nur über CDU und CSU spottet Schreckenberger, sondern durchaus auch über andere Gruppierungen, denen er persönlich wohl deutlich näher steht. Schon zu Beginn seines Programms begrüßt er den vollen Saal im Gasthof Doll mit der Bemerkung, heute seien wohl "sämtliche SPD-Wähler ganz Bayerns gekommen", und zum Ende bekundete er seine Zufriedenheit darüber, dass "die SPD uns heute Abend auch mal Freude bereitet hat." Deren Kanzler weise im Übrigen bedenklich viele "Gedächtnislücken" auf und ziehe, "schildkrötengleich", vor jeder Entscheidung "den Kopf ein". Auch die Grünen verschont er Bühne nicht. Sie zu wählen, sei vergleichbar mit der Einnahme von Globuli: "Es ändert sich nichts dadurch - aber es gibt einem ein gutes Gefühl".

Was, wenn die Ampel ausfällt?

Eine Ausnahme macht Thomas Schreckenberger dann aber doch: Die Partei, die dem deutschen Wähler eine "Alternative" anbieten möchte, wird in seinem Rundumschlag weitgehend durch Nichtbeachtung gestraft. Wer verspottet wird, tritt schließlich in den Fokus - und diese Ehre sollte den "Alternativen" wohl nicht zugestanden werden.

Seinen eigenen Standpunkt macht der Kabarettist vor allem mit einer Pointe klar: "Was, wenn die Ampel ausfällt?" fragte er sich und sein Publikum mit vordergründigem Bezug zum Straßenverkehr - und gibt selbst die beunruhigende Antwort: "Dann gilt rechts vor links."

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