CSU:"Sonst wäre das nicht mehr meine Partei"

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Florian Schiller hätte von Hubert Aiwanger einen Rücktritt erwartet. (Foto: privat)

CSU-Fraktionssprecher Florian Schiller und Ortsverbandschef Tobias Stephan befürchten als Folge der Flugblatt-Affäre um Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger einen Rechtsruck. Sie fordern: Dagegen muss sich die CSU entschieden stemmen.

Von Thomas Radlmaier und Helmut Zeller, Dachau

Seine Erschütterung ist Florian Schiller im Gespräch mit der SZ Dachau anzumerken. Den CSU-Fraktionschef im Dachauer Stadtrat beschäftigt die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit des bayerischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) noch immer. Eigentlich hätte er, so Schiller, erwartet, dass Aiwanger zurücktritt. Schiller billigt zwar, dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinen Vize nicht entlassen hat, aber: "Das soll bitte nicht das Signal sein, dass die CSU ihre klare Haltung gegen Antisemitismus und Ausgrenzung dieser Art relativiert oder aufgibt, sonst ist das nicht mehr meine Partei."

Auch der Dachauer Ortsverbandsvorsitzende Tobias Stephan kritisiert den Umgang des Freie-Wähler-Chefs Aiwanger mit den Vorwürfen - als Folge könnte sich, wie Schiller meint, der gesellschaftliche Diskurs nach rechts verschieben. "Dagegen muss sich die CSU jetzt entschieden stemmen" - gerade in Dachau mit dem Erbe des Konzentrationslagers von 1933 bis 1945.

"Es muss unsere Aufgabe sein, das Vertrauen wieder aufzubauen"

Seine "persönliche Distanz" zu Aiwanger, sagt Florian Schiller, sei heute nicht weniger groß, auch seine Verwunderung über die Freien Wähler nicht geringer als vor der Entscheidung Söders. "Ich persönlich glaube Aiwanger schlichtweg nicht." Der Dachauer CSU-Fraktionschef meint, die Beweislage habe für eine Entlassung nicht gereicht, für einen Rücktritt Aiwangers aber schon. "Ich hätte den auch erwartet."

In den 1980er-Jahren wurden in der Schultasche des damals 17-jährigen Hubert Aiwanger Kopien eines Flugblattes gefunden, das einen fiktiven Bundeswettbewerb "Wer ist der größte Vaterlandsverräter" auslobte und als Preise unter anderem "einen Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz" aufführte. Sein Bruder Helmut hat nach der Berichterstattung der SZ erklärt, er habe das Flugblatt verfasst. Dass Hubert Aiwanger in der Klasse ehemaligen Mitschülern zufolge judenfeindliche Witze erzählt und den Hitlergruß gezeigt haben soll, ist dem Freie-Wähler-Chef "nicht mehr erinnerlich". In einem Interview mit der Welt sagte Aiwanger, er sei überzeugt, dass die Freien Wähler durch die Vorwürfe "geschwächt und Stimmen auf andere Parteien gesteuert werden" sollten. "In meinen Augen wird hier die Shoa zu parteipolitischen Zwecken missbraucht."

"Das wäre nur Augenwischerei"

Aiwangers Aussage, da würden Opfer der Shoa gegen ihn instrumentalisiert, habe er als den Gipfel der ganzen Affäre empfunden, sagt Schiller. Bei Shoa-Überlebenden und den jüdischen Gemeinden ist viel Vertrauen zerstört worden. Ernst Grube, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, hatte Aiwangers Entlassung gefordert. Schiller sagt: "Es muss unsere Aufgabe sein, das Vertrauen wieder aufzubauen, diese Gesellschaft braucht und will euch und da soll sich bitte keiner ängstigen müssen."

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Tobias Stephan weist darauf hin, dass Söder Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, quasi vor seiner Entscheidung über die Zukunft Aiwangers konsultiert habe. "Das war schon einmalig in der Geschichte", sagt Stephan. Knobloch habe auch gesagt, eine Entlassung mache Aiwanger vier Wochen vor der Wahl zum Märtyrer. "Das wäre dann das größere Problem geworden", so Stephan weiter. "Klar sind wir Koalitionspartner, aber in erster Linie ist Herr Aiwanger für das Wiederherstellen von Vertrauen persönlich verantwortlich." Vor der Wahl sei aber nicht der richtige Zeitpunkt. Jetzt schnell einen Anstandsbesuch in der Gedenkstätte zu machen, wäre nur Augenwischerei.

Mehr Demut und Einsicht gewünscht

Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte und von Bildungseinrichtungen in Dachau sind über Aiwangers Umgang mit der Affäre entsetzt. Schiller kann das absolut nachvollziehen, das mache die Arbeit viel, viel schwieriger. Er wirft dem Staatsminister vor, sich in der ganzen Causa unvernünftig verhalten zu haben. "Ich erwarte von einem Politiker, dass er eigene Fehler klar benennt, dafür konkret um Verzeihung bittet und dann entsprechend handelt und spricht." Auch Tobias Stephan meint: "Da hätte ich mir in der Tat schon auch ein bisschen mehr Demut und Einsicht gewünscht."

Auf die Frage, wann denn für die CSU der Punkt erreicht sei, an dem sie mit den Freien Wählern nicht mehr zusammenarbeiten wird, sagt Schiller: "Für meinen Geschmack waren wir da schon sehr dicht an dem Punkt dran. Das wird sich zeigen, wie sich die weitere Zusammenarbeit gestaltet." Stephan rät den Freien Wählern, sich die Frage zu stellen, ob es sinnvoll ist, sich komplett auf eine Person zu konzentrieren.

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