SZ-Adventskalender:"Ich kann ihren Tod bis heute nicht akzeptieren"

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Isabella Schwitzer und ihre zwei Kinder Joel, 5, und Aleyna, 3, wollen zur Reittherapie gehen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Isabella Schwitzer hat gerade das Jüngste ihrer vier Kindern verloren. In der Mutter-Kind-Einrichtung in Hebertshausen, in der sie lebt, kommt sie nicht zum Trauern. Ein Herzenswunsch der größeren Geschwister ist eine Reittherapie.

Von Jessica Schober, Hebertshausen

Sie wollte gerade Kinderschuhe kaufen für ihren großen Sohn, als die Wehen losgingen. Dabei war sie doch erst in der 25. Schwangerschaftswoche. Da stand sie vor dem Schuhregal, ihre kaum verwachsene Kaiserschnittnarbe brannte, sie verlor Blut. Isabella Schwitzer, 31, wusste, dass es viel zu früh war für ihr viertes Kind, um sich auf den Weg in diese Welt zu machen. Wenige Tage später wurde ihre Tochter Alisa als Frühchen mit nur 630 Gramm Körpergewicht im Schwabinger Krankenhaus aus dem Bauch der Mutter geholt. Isabella Schwitzer schrie, als die Ärzte das winzige Kind gleich fortbringen mussten: Niereninsuffizienz, Lungenprobleme und Hirnblutungen - die Chancen standen schlecht für die kleine Alisa und doch kämpfte sich zwei Monate lang durch. Kaum einer hatte geglaubt, dass sie so lange überleben würde. Sie starb im Oktober.

Bis hierhin hat Isabella Schwitzer, in schwarz gekleidet, ihre Geschichte gefasst vorgetragen, in großer Klarheit. Doch als sie vom Todestag ihrer jüngsten Tochter spricht, der gerade erst wenige Wochen zurückliegt, bricht ihr die Stimme und sie weint. "In den Tod getragen habe ich sie allein. Ich selbst habe die Geräte ausgeschaltet. Ich wollte nicht, dass jemand anderes es tut."

Die vierfache alleinerziehende Mutter lebt seit August im "Haus des Lebens", einer Mutter-Kind-Einrichtung in Hebertshausen, auf einer Anhöhe im Schloss Deutenhofen. Sie versucht, hier Zuflucht zu finden vor ihrem alten Umfeld und den Süchten, die ihr Leben regieren. Und sie hatte gehofft, sich hier um ihr Neugeborenes kümmern zu können.

Als Schwitzer im sogenannten "Schlösschen" einzog, mit ihren beiden größeren Kindern Joel, 5, und Aleyna, 3, sowie mehreren Koffern und einem ganzen Rucksack voller Probleme, war sie schon hochschwanger. Ihr drittes Kind Alara, erst ein Jahr zuvor geboren, lebte da schon bei einer Pflegefamilie, für den Übergang.

Nur drei Wochen nach ihrem Einzug in Hebertshausen, einem Ort an dem sie Ruhe und Sicherheit finden sollte, begann der Alptraum um ihr Jüngstes im Krankenhaus. "Man hat viele leere Gedanken", sagt die Mutter, ganz distanziert von sich selbst.

Die Todesursache bleibt rätselhaft

Wochenlang pendelte sie zwischen dem Schloss Deutenhofen und der Klinik in Schwabing. Die Kinder Joel und Aleyna mussten in der Zeit viel vor Ort in Hebertshausen betreut werden, während ihre Mutter bei ihrem Frühchen wachte. Was genau Alisas Tod verursacht hat, bleibt rätselhaft. Das kleine Mädchen hatte sich weitgehend stabilisiert, erzählt die Mutter, als die Ärzte ihr ein Kontrastmittel spritzten, um zu überprüfen, ob der Darm intakt ist. Das verkraftete der kleine Körper nicht, Alisa starb an einer Vergiftung durch das Kontrastmittel. Die Mutter massierte noch den Leichnam ihres Kindes, zog ihm ein Regenbogenkleidchen an und wärmte es, "sie war so kalt". Auch den Sarg ließ sie nochmals öffnen, um sich von ihrer Tochter zu verabschieden. "Ich kann ihren Tod bis heute nicht akzeptieren", sagt Schwitzer. Besonders schwer sei es am Grab der Kleinen, da habe sie manchmal den Gedanken eine Schaufel zu nehmen, um ihr Kind wieder heraus zu holen.

Wenn Isabella Schwitzer so etwas sagt, strafft sie sich danach. "Ich mache das nicht wirklich", stellt sie klar. Man merkt, diese Frau hat gelernt, über sich Auskunft zu geben. Sie weiß: "Ich komme hier nicht zum Trauern. Ich bin gerade viel zu krass am Funktionieren." Dass sie heute erkennen kann, was ihr fehlt, verdanke sie auch der Therapie. "Ich weiß, dass ich mich jetzt um meine Psyche kümmern muss", sagt Schwitzer. "Schon die erste Frühgeburt bei meinem dritten Kind hat mich stark traumatisiert." Die damaligen "Höllenqualen", wie sie sie nennt, waren einer der Gründe, warum sie es in den eigenen vier Wänden nicht mehr aushielt.

Die Kinder spielen die Geburt nach

Isabella Schwitzer ist abhängig. Ihre Sucht begann mit dem Kiffen, erzählt sie. Nach einer Therapie verlagerte sie sich auf den Alkohol. Seit dem Tod ihres jüngsten Kindes habe sie einige Rückfälle gehabt, sagt sie, aber mehr als ein, zwei Bier habe sie nicht getrunken. Allein schon wegen der größeren Kinder.

Sie geht offen damit um, auch in ihren Auseinandersetzungen mit dem Jugendamt. Mit dem Vater ihrer Kinder gibt es viele Konflikte, über die sie nicht sprechen will. Isabella Schwitzer mag es nicht leicht gehabt haben im Leben bisher, aber eines ist sie von Herzen: Löwenmutter.

Während sie von ihrem Leben erzählt, in dem sie auch schon mal eine Friseurlehre begonnen und abgebrochen und im Hotelgewerbe gearbeitet hat, turnen ihre beiden größeren Kinder Joel und Aleyna auf dem Sofa herum. Joel sagt zu seiner Mutter: "Mama, ich will wieder ein eigenes Hochbett haben." Schwitzer anwortet: "Ja, mein Schatz, das bekommst du, wenn wir wieder in einem eigenen Zuhause wohnen." Dann klettern die Geschwister in ein Regal und verstecken sich darin. Joel springt hervor aus dem Dunkel und ruft: "Mama, guck mal, wir sind geboren!"

"Die Kinder konnten es noch kaum verarbeiten."

Was Isabella Schwitzer sich wünscht, ist nicht wirklich mit Geld einzulösen. "Ich weiß, ich muss wieder in Bewegung kommen", sagt sie. Als Kind hat sie selbst Karate und Turmspringen geliebt. Ihre größeren Kinder liebten Pferde. Deshalb will Schwitzer mit Joel und Aleyna zum therapeutischen Reiten gehen. Der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung unterstützt die Familie, um einige Monate Reittherapie und die Anreise zum Pferdehof zu bezahlen.

Die dreijährige Aleyna zeigt begeistert auf die Fotos auf dem Handy ihrer Mutter, auf denen sie einmal einen Ausritt wagen durfte. Mit Helm und Hü und Hufekratzen. Auch der fünfjährige Joel, der sich gerne austobt, freut sich auf die Reitstunden.

Mutter Schwitzer sagt: "Die Kinder konnten noch kaum verarbeiten, dass ihre kleine Schwester gestorben ist. Sie kannten sie nur von Videos aus dem Krankenhaus." Ihr Sohn Joel spreche überhaupt nicht gern über das Thema, Tochter Aleyna habe mal behauptet, sie höre jetzt auch mit dem Essen auf, wie ihre kleine Schwester. "Warum kann Alisa mich von oben im Himmel sehen - und ich sie nicht?", fragte die Dreijährige ihre Mutter.

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