Aus dem Gericht:Die Grenzen der Meinungsfreiheit

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Mehrere Instanzen haben bereits entschieden, dass der Facebook-Kommentar eines Hebertshauseners Volksverhetzung ist. Der will das nicht hinnehmen und plant, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Von Thomas Radlmaier, München/Dachau

Den ganzen Vormittag schweigt der Mann. Er sitzt auf der Anklagebank des Landgerichts München. Die Hände hält er meistens vor dem Mund, es sieht aus, als würde er beten. Seinen Anwalt lässt er in der Verhandlung sagen: Der Angeklagte werde keine Angaben machen, es würde ohnehin alles, was er sage, zu seinem Nachteil ausgelegt. Der Vorwurf, den man ihm macht: Volksverhetzung. Erst als ihm Richterin Renate Urban am Ende der Beweisaufnahme das letzte Wort erteilt, fängt der Angeklagte plötzlich doch noch an zu sprechen. Es sei bedenklich, sagt er, dass er tatsächlich überlegen müsse, was er wann und wo formulieren könne. Dieses "Vergnügen" habe er bereits in der DDR gehabt, wo er geboren und aufgewachsen ist. 1989 seien die Menschen auf die Straße gegangen, "damit wir unsere Meinung anführen dürfen". Das könne er heute wieder nicht. "Die Geschichte wiederholt sich."

Der 56-Jährige aus Hebertshausen kennt diese Situation vor Gericht. Sein Fall ist inzwischen durch mehrere Instanzen gegangen. Der Familienvater postete vor mehr als zwei Jahren einen abscheulichen Kommentar auf der Facebook-Seite eines lokalen TV-Senders aus dem Landkreis Göppingen. Dieser teilte dort Berichte über einen 35-jährigen Iraner, der sich im Göppinger Landratsamt selbst gezündet hatte. Ein verzweifelter Selbstmordversuch. Der Asylbescheid des 35-Jährigen war abgelehnt worden. Ein Landratsamtmitarbeiter reagierte schnell und erstickte die Flammen mit Handtüchern. Ein Hubschrauber flog den Schwerverletzten ins Krankenhaus. Unter den Bericht schrieb der 56-jährige Hebertshausener Folgendes in die Kommentarspalte: "Ich hätte abgewartet. Immerhin 1024 Euro weniger für das wir schuften mussten."

Dieser Hassausbruch ist leider kein Einzelfall

Dieser Hassausbruch ist leider kein Einzelfall. Man findet täglich ähnliche Äußerungen auf Facebook, Twitter und anderen sozialen Netzwerken, die - oftmals ohne Anlass - gegen ganze Bevölkerungsgruppen hetzen. Insbesondere wenn es um das Thema Asyl geht, tauchen vermehrt Hassreden auf, die nach dem Volksverhetzungsparagrafen justiziabel wären. Doch im Vergleich zur Masse an solchen Kommentaren im Netz kommt es eher selten vor, dass sich ein Verfasser vor Gericht verantworten muss.

Bei dem 56-Jährigen aus Hebertshausen war das anders. Das Amtsgericht Dachau verurteilte ihn im vergangenen Februar wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten auf Bewährung. Der Hebertshausener blieb uneinsichtig und ging anschließend mit rechtlichen Schritten gegen das Urteil vor. Er sieht sich bis heute in seiner Meinungsfreiheit eingeschränkt. Es kam zu einem Prozess am Landgericht. Zuletzt befand das Oberlandesgericht in einer Revisionsentscheidung: Der Schuldspruch sei richtig, bei der Bestimmung der Rechtsfolgen seien hingegen Fehler gemacht worden. Nun also eine erneute Verhandlung vor dem Landgericht, in der es nicht mehr um den Sachverhalt an sich geht, sondern die sich um die Frage dreht: Wie ist der Mann zu bestrafen? Mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe?

"Bei solchen Äußerungen ist die Meinungsfreiheit überschritten"

Entscheidend dafür ist der Volksverhetzungsparagraf 130 im Strafgesetzbuch. Laut Absatz eins droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, wenn Äußerungen getätigt werden, "die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören". Die - wenn man so will - abgeschwächte Form der Volksverhetzung regelt der Absatz zwei. Demnach kann auch derjenige, der eine Schrift verbreitet, die zum Hass "gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe" aufstachelt, eine Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder eine Geldstrafe erhalten.

Der Anwalt des 56-Jährigen hält an diesem Vormittag ein langes Plädoyer für die Meinungsfreiheit. Diese lasse viel zu und müsse auch viel zulassen, sagt er. "Ich kann über Pegida oder linke Chaoten denken, was ich will. Aber das ist Teil der Meinungsfreiheit. Wir müssen nicht bestrafen, was Leute denken." Der Kommentar seines Mandanten habe die Grenze der Meinungsfreiheit jedenfalls nicht überschritten, der Tatbestand der Volksverhetzung sei nicht gegeben. Staatsanwältin Nina Falkner dagegen ist ganz anderer Meinung. "Bei solchen Äußerungen ist die Meinungsfreiheit überschritten", sagt sie. Freilich müsse man diskutieren dürfen. "Aber es gibt Grenzen." Der Paragraf 130 sei dafür eine Schranke. Es gehe in diesem konkreten Fall um einen verzweifelten Menschen, der sich selbst angezündet habe. Dieser wäre gestorben, wenn man nicht rechtzeitig eingegriffen hätte. Der Angeklagte aber hätte gewartet. Zudem werde das Menschenleben in den Kontext einer Geldleistung gestellt. "Dies ist eine Äußerung, die über durchschnittliche Äußerungen des Paragrafen 130 hinausgeht."

Letztlich verurteilt die vorsitzende Richterin Urban den Angeklagten zu einer Geldstrafe in Höhe von 4800 Euro. Sie sieht lediglich einen Tatbestand entsprechend des zweiten Absatzes des Volksverhetzungsparagrafen und keine "besonderen Umstände", die eine Freiheitsstrafe rechtfertigen würden.

Dass der Fall damit abgeschlossen ist, darf man bezweifeln. Der 56-Jährige ist offenbar gewillt, bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Mehrmals deutet sein Anwalt an diesem Vormittag diesen Schritt an. Sein Mandant wäre schon in früheren Verfahren freizusprechen gewesen, meint er. "Das wird Karlsruhe zu klären haben." Der Angeklagte selbst geriert sich als Kämpfer für die Meinungsfreiheit. Er werde solche Kommentare in Zukunft unterlassen, lässt er über seinen Anwalt verlautbaren, aber nur weil er Angst habe, seine Meinung kundzutun.

© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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