Flüchtlingsunterkunft Dachau:"Ein Ort, der krank macht"

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Arbeitskreis Asyl und Caritas informieren über die Lebenssituation von Flüchtlingen in der Unterkunft an der Kufsteiner Straße.

Matthias Pöls

Der Satz trifft ins Mark: "Auf einem Ausflug in die KZ-Gedenkstätte Dachau hat ein Kind gesagt: ,Schau, die Baracke sieht aus wie bei uns", berichtet Margarete Wittmann, die als ehrenamtliche Helferin mit den Kindern aus dem Flüchtlingslager Dachau unterwegs war. Auf einer Veranstaltung des Arbeitskreises (AK) Asyl und der Karawane München im Jugendzentrum Freiraum schimpft denn auch ein Teilnehmer: "Wenigstens in einer Stadt wie Dachau sollte man aus der Geschichte gelernt haben. Angesichts des herrschenden Wohlstands sollte es auch nicht das Problem sein, die Flüchtlinge zu unterstützen." "Das ist kein Lager, das ist ein Slum", sagt Rose Kraus, Gründerin des Arbeitskreises Asyl. Die Umstände seien verheerend. Die Holzhütten mit Wellblechdächern an der Kufsteiner Straße seien vor mehr als 20 Jahren als Übergangslösung gebaut worden. Seitdem habe sich kaum etwas geändert: Ständig liefen Ratten herum. Die Toiletten müssten gemeinschaftlich genutzt werden, seien extrem keimig. "Ein Ort, der krank macht", sagt Dominik Gangkofner, Mitglied der Karawane (München) für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten.

Kein Platz, an dem man länger leben möchte: Der Flur in einer der mehr als 20 Jahre alten Baracken der Flüchtlingsunterkunft an der Kufsteiner Straße in Dachau. (Foto: DAH)

Das Lager liegt am Rand der Stadt. Das sei so, damit es die Bürger nicht sehen müssten, sagt Birke Siebenbürger von der Caritas Dachau. Mit einer Halbtagsstelle ist sie mitverantwortlich für die momentan 144 Asylbewerber im Lager: "Das ist schon frustrierend, weil man kaum für die Betreuung des einzelnen Menschen Zeit hat." Das Lager in Dachau ist gerade komplett ausgelastet. Zuletzt stiegen die Zahlen steil an. Wie in so vielen bayerischen Sammelunterkünften, wie sie offiziell von Politikern genannt werden: Etwa 2350 Asylbewerber leben derzeit in 21 Gemeinschaftsunterkünften in Oberbayern.

Und das obwohl Flüchtlinge nur noch sehr schwer nach Deutschland gelangen. Denn nach dem Dublin-Abkommen der Europäischen Union (EU) müssen sie in dem Land bleiben, in dem sie ankommen. "Nur wer mit dem Flugzeug flüchtet, kommt noch bis nach Deutschland", erläutert Siebenbürger. Das könne nur mit gefälschten Papieren gelingen. Der sogenannte Asylkompromiss ermöglicht es seit kurzem auch Flüchtlingen in Bayern unter bestimmten Voraussetzungen in eine eigene Wohnung zu ziehen, raus aus den "Slums". Aber von dem Gesetz sollen nur jene profitieren, die nicht "über ihre Identität" getäuscht haben und die "hinreichend an deren Klärung mitgewirkt haben". Da könne schon ein Flüchtling ohne ausreichende Papiere in Bedrängnis kommen; manche sagten einfach aus Angst nicht die ganze Wahrheit.

In Dachau durften fünf Familien ausziehen. "Aber auch das sei nur zeitlich befristet", erklärt Siebenbürger von der Caritas. Zudem müssen die Flüchtlinge in der Region bleiben. Das regelt die sogenannte Residenzpflicht im Asylverfahrensgesetz. Nach dieser dürfen sich Asylbewerber nur im Landkreis der zuständigen Ausländerbehörde bewegen. Im Vorjahr wurde die Bewegungsfreiheit in Bayern auf den jeweiligen Regierungsbezirk ausgedehnt.

Jedem Flüchtling stehen 40 Euro pro Monat zur Verfügung. Für alle Bedürfnisse des alltäglichen Lebens. Nur Essen und Kleidung bekämen sie gestellt und das meist in ganz schlechter Qualität, sagt Gangkofner. Oft sei das Essen sogar vergammelt. Ohne Arbeitserlaubnis können die Flüchtlinge aus dieser Situation nicht heraus. Im ersten Jahr dürfen sie überhaupt nicht arbeiten. Danach ist es dann erlaubt, wenn sich weder ein Deutscher noch ein EU-Bürger findet, der die Arbeit übernehmen würde. Selbst dann besteht noch eine sechswöchige Wartepflicht. "Bis dahin hat jeder potentielle Arbeitgeber längst aufgegeben", sagt Gangkofner. Erst nach vier Jahren sei es möglich, ohne diese Hürden zu arbeiten.

Dabei sind unter den Dachauer Flüchtlingen teilweise hoch qualifizierte Fachkräfte", sagt Siebenbürger. Die hätten teilweise enorme Schulden auf sich genommen, um nach Deutschland zu gelangen: weil die Situation in ihren Heimatländern ein Leben in Freiheit und Sicherheit nicht zulasse. Dann kämen sie in ein Flüchtlingslager und müssten Monat für Monat um ihren Aufenthalt bangen. Trotzdem setzen sie meist große Hoffnungen auf Deutschland. "In Dachau gibt es nur wenige, die uns unterstützen", sagt Siebenbürger: Es seien immer die gleichen, die versuchten gegen diese Umstände zu kämpfen, wie etwa Horst Ullmann, Stadtrat und Referent für Integration, oder Gertrud Schmidt-Podolsky, zweite Stellvertreterin des Oberbürgermeisters. "Es scheint, als sei es politisch so gewollt", sagt ein Teilnehmer.

Wenn wir das Gleiche erleiden müssten, dann würden wir ganz schnell vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen", fasst Juso-Vorsitzender Sören Schneider die Diskussion zusammen. Eine Diskussion über die Situation der Flüchtlinge in der Asylunterkunft Dachau und generell in Deutschland, über die Gesetzeslage, die die Flüchtlinge stark einschränkt und fast komplett entrechtet, und schließlich über die Umstände, unter denen sie versuchen müssen zu leben und Mensch zu bleiben. Denen können sie nicht entfliehen.

© SZ vom 09.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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