Landkreis Dachau:Geburtstagsparty für einen Unbeugsamen

Lesezeit: 3 min

Im Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Dachau wird der 90. Geburtstag von Ernst Grube gefeiert. Als Geschenk erhält er ein T-Shirt mit seinem Konterfei. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ernst Grube ist einer der bekanntesten Münchner Zeitzeugen der NS-Diktatur. Zu seinem 90. Geburtstag erzählen Weggefährten persönliche Geschichten und würdigen sein politisches Engagement.

Von Carlotta Böttcher, Dachau

Er wird als Widerstandskämpfer, Brückenbauer und unermüdlicher Mahner des Erinnerns geehrt: Ernst Grube. Nun feiert er seinen 90. Geburtstag. Nach der offiziellen Veranstaltung vergangenen Dienstag im NS-Dokumentationszentrum in München folgten am Mittwoch rund 50 Gäste einer Einladung ins Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Grube überlebte als Kind das Ghetto in Theresienstadt, wohin er mit seiner jüdischen Mutter und seinen Geschwistern im Februar 1945 deportiert wurde. Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt München merkte er schnell, dass niemand über den Krieg reden will, die Schuld sollte verdrängt werden. Doch Grube leistet Widerstand gegen die Gleichgültigkeit. Wegen seiner politischen Aktivitäten als Gewerkschafter und Kommunist musste er zweimal ins Gefängnis. Der bayerische Verfassungsschutz beobachtete Grube und sein Engagement bei der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN), 2010 tauchte sein Name sogar im Verfassungsschutzbericht auf, er wurde als "Linksextremist" bezeichnet.

Feier als Zeichen der großen Wertschätzung

Doch Grube leistete beharrlich Widerstand und ist mit seinem Engagement auch der Stadt Dachau eng verbunden. Er ist unter anderem Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, Co-Vorsitzender des Fördervereins für Internationale Begegnung, Mitglied des Kuratoriums der Evangelischen Versöhnungskirche und Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten.

Bei der Planung der Geburtstagsfeier in der KZ-Gedenkstätte wirkten die zeitgeschichtlichen Institutionen der Stadt mit, darunter die oben Genannten sowie der Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und das Max-Mannheimer-Haus. Man merkt: Grube ist bei seinen Weggefährten und Begleitern hoch angesehen, für Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte, ist das Fest ein Zeichen der großen Wertschätzung. Die sehr persönlichen Ansprachen zeichnen ein Bild des Holocaust-Überlebenden als kollegialen Freund, als Mensch, der für seine Werte und Prinzipien einsteht und von dem man viel lernen kann.

Seine Frau Helga Hanusa feiert mit Ernst Grube bei der Geburtstagsparty im Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Natürlich gibt es auch ein Ständchen für den Jubilar. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Auch das Ehepaar Müller-Hohagen und Klaus Schulz (Mitte) gratulieren zum Geburtstag. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sein Wirken als Zeitzeuge zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend und durch Grubes Leben. Ingeborg Müller-Hohagen, Mitbegründerin des Instituts für Psychologie und Pädagogik in Dachau, erzählt von einem gemeinsamen Besuch in einer Schule: Sie habe nur ein Zeitzeugengespräch mit höheren Klassen geplant, Grube wollte jedoch auch mit den Jüngeren sprechen. "Es war anrührend, wie du zu den Kleinen und Großen Kontakt aufgenommen hast", sagt Müller-Hohagen.

Ernst Grube war zwölf Jahre alt, als er in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Ein paar der Fragen, die ihm die Schülerinnen und Schüler damals stellten, hat sie dabei: "Wie hast du es denn ohne deine Eltern ausgehalten? Was habt ihr den ganzen Tag gemacht, ohne Schule? Hattet ihr ein Spielzeug?", fragten die Grundschüler. Und die Älteren: "Hatten Sie nicht den Wunsch, nach 1945 Deutschland zu verlassen?" Auch Müller-Hohagen hat sich das schon gefragt - und ist froh, dass Grube geblieben ist, "dass du weitermachst und dich nicht beirren lässt".

Zornig, im positiven Sinn

Klaus Schultz, ehemaliger Diakon der Versöhnungskirche, zeigt sich ebenfalls beeindruckt von Grubes Hartnäckigkeit. Auch er erzählt von einem Erlebnis mit seinem Freund bei einer Reise nach Theresienstadt. Dort besuchten sie das Ghetto, standen vor Grubes altem Wohnhaus. Der Zeitzeuge erzählte, wie er darin lebte, gemeinsam mit den anderen deportierten Kindern. "Ich bin sehr dankbar, dass ich das so hautnah mit dir erleben durfte", meint Schultz.

Grubes Engagement sei manchmal auch zornig, im positiven Sinn, so Schultz. Er sei für eine Sache eingetreten, wenn "es einfach nicht mehr auszuhalten war". Die Beobachtung durch den Verfassungsschutzes sei sicher schmerzhaft gewesen, sagt Schultz, und trotzdem sei Grube drangeblieben: "Man hat dich hofiert als Holocaust-Überlebenden, andererseits aber auch diffamiert. Inzwischen habe ich das Gefühl: Man honoriert dich und deine Lebensleistung." Er stehe für Solidarität, gegen Rassismus und Antisemitismus, für Gemeinschaft und für das Hinschauen: "Ernst lebt im Jetzt. Von ihm habe ich gelernt: Die Zukunft beginnt jetzt und es gilt, sie heute zu gestalten - egal, was morgen ist", so Schultz.

Damals war die Rote Armee der Befreier

Jürgen Müller-Hohagen ist stellvertretender Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, die 1946 von ehemaligen Häftlingen gegründet wurde und maßgeblich daran beteiligt war, dass eine würdige Gedenkstätte auf dem ehemaligen KZ-Gelände entstand. Er schätzt die Zusammenarbeit mit Grube und "wie offen er sein kann für das, was andere denken, ohne dass er sein eigenes Denken, seine Herkunft und Erfahrungen aufgibt". Das sei ihm vor allem in diesem Jahr mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine aufgefallen. Die Lagergemeinschaft wollte eine Erklärung dazu abgeben, wusste aber auch, wie schwer das Thema Grube fällt. Schließlich wurde er damals von der Roten Armee befreit.

Am Ende des Abends ergreift Ernst Grube das Wort. Es fällt ihm schwer, Worte zu finden, bei so viel Anteilnahme. "Die unterschiedlichen Begegnungen haben mich geprägt und in meinem Denken und Handeln immer mehr Platz gefunden", beginnt er. Das sei nicht immer so gewesen. Besonders durch die Treffen mit den Überlebenden in Dachau habe er gelernt, Meinungen und Positionen anderer zu respektieren, ohne, sie zu übernehmen. Das Wesentliche in der politischen Arbeit sei Offenheit und das gemeinsame Suchen nach einem Weg. Auch beim heutigen Ukraine-Krieg: "Ich habe nicht nur die Verfolgung der Nazis erlebt, sondern auch den Krieg, das Leben im Luftschutzbunker. Den Weg zu suchen, der zum Frieden führt: Das sollte unser aller Aufgabe sein."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMünchner Shoah-Überlebender
:Das Leben eines Verfolgten

Ernst Grube überlebt als Kind das Ghetto Theresienstadt. Nach dem Krieg protestiert er gegen die Verdrängung deutscher Schuld. Zweimal muss er ins Gefängnis. Nun wird der Widerstandskämpfer 90 Jahre alt.

Von Thomas Radlmaier

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: