Erinnerungskultur:Schonungslose Aufarbeitung

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Das Mahnmal an der KZ-Gedenkstätte Dachau. (Foto: Toni Heigl/Toni Heigl)

Katrin Himmler und Niklas Frank haben sich intensiv und kritisch mit den NS-Verbrechen ihrer Vorfahren auseinandergesetzt - und geben damit ein Beispiel, dem noch viel zu wenige Familien in Deutschland folgen

Kommentar von Thomas Radlmaier

Vor Kurzem haben ein Mann und eine Frau in München am helllichten Tag und auf offener Straße eine Rabbinerfamilie bespuckt und beleidigt. Es ist nur ein trauriges Beispiel dafür, dass der Judenhass in Deutschland immer öfter sein hässliches Gesicht zeigt. Der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) Bayern sind seit April bereits 72 judenfeindliche Vorfälle im Freistaat gemeldet worden. Die Wiedererstarkung des Antisemitismus reicht hinein in die breite Gesellschaft. Eine Ursache dafür ist, dass es die meisten Deutschen nach dem Krieg vermieden haben, sich offen mit ihrer NS-Familiengeschichte auseinanderzusetzen.

Katrin Himmler und Niklas Frank haben sich intensiv mit den Verbrechen ihrer Vorfahren auseinandergesetzt. Es ist falsch, ihnen vorzuwerfen, sie hätten ihre Familiengeschichte "publikumswirksam" präsentiert. Tatsächlich haben sie auf die Vergangenheit ihrer Nazifamilien geblickt, ohne auf sich selbst Rücksicht zu nehmen. Und es ist falsch, wenn Klaus Mai sagt, dass man auf Veranstaltungen wie diesem Podiumsgespräch im Max-Mannheimer-Haus in Zukunft verzichten könne. Gerade vor dem Hintergrund eines immer lauter werdenden Antisemitismus bräuchte es viel mehr solcher Veranstaltungen. Die Verstrickung der eigenen Eltern, Groß- oder Urgroßväter während der Nazizeit bleibt in vielen Familien bis heute ein blinder Fleck.

Die Gefahr besteht, dass die Erinnerung an die wirklichen Opfer verblasst

Freilich gibt es Nachkommen von NS-Tätern, die versuchen, die Verbrecherverwandtschaft zu rehabilitieren. Die Täter verschwinden, sie werden perfiderweise zu Opfern stilisiert. Das hinterlässt Spuren. Plötzlich meinen 18 Prozent der Jugendlichen, dass ihre Vorfahren im Widerstand gegen Hitler waren. Tatsächlich begehrte nur eine kleine Minderheit gegen das NS-Regime auf.

Dadurch besteht die Gefahr, dass die Erinnerung an die wirklichen Opfer verblasst. Das darf niemals geschehen. Es ist deshalb auch an der KZ-Gedenkstätte, die Nachkommen politischer KZ-Häftlinge endlich in der Erinnerungsarbeit fest einzubinden. Sie werden in Dachau seit Jahren zu wenig gehört. Damit muss Schluss sein. Es braucht mehr Angebote, welche die Perspektive der zweiten und dritten Opfergeneration ins Scheinwerferlicht rückt. Wenn es irgendwann keine Zeitzeugen mehr gibt, müssen deren Nachfahren erfahrbar machen, was es heißt verfolgt zu sein. Sie selbst haben Ausgrenzung erlebt. Sie können ihre eigenen Geschichten erzählen.

© SZ vom 14.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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