Kabarett:Lügen mit Qualitätssiegel

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Sigi Zimmerschied hat als Fälscher Hans Doppler Dokumente für sämtliche Lebenslagen im Angebot. (Foto: Toni Heigl)

Bei seinem Auftritt in Erdweg schlüpft Sigi Zimmerschied in die Rolle eines notorischen Fälschers. Das Menschliche interessiert ihn dabei mehr als das Moralische.

Von Gregor Schiegl, Erdweg

Der Veranstaltungsraum unter dem offenen Dachstuhl im Wirtshaus am Erdweg ist am Samstagabend bis auf den letzten Platz besetzt, das erlebt Gesa Blaas vom Kulturverein Erdweg auch nicht alle Tage. Aber wie oft hat man schon den "Kabarett-Berserker" Sigi Zimmerschied auf der Bühne? Erst vor einer Woche ist der Niederbayer 70 Jahre alt geworden, was man ihm nicht anmerkt. Präzise, hochkonzentriert und mit geradezu kindlicher Spielfreude schimpft, schwärmt, schwadroniert, kichert, glubscht und furzt er sich durch seine kühn fabulierte Fälscher-Saga "Doppler-Leben".

Auf der Bühne steht nicht Sigi Zimmerschied, sondern die Kunstfigur Hans Doppler, ein schmieriger, schmerbäuchiger Fleischeslüstling mit dem Charme eines Gebrauchtwagenhändlers. "Sie können auch Franz zu mir sagen", zirzt er ins Publikum. Also Franz Doppler. Oder Jesper, warum nicht, oder Jacqueline, nichts dagegen einzuwenden. Wenn man jüngster Spross einer 300 Jahre alten Fälscherdynastie ist - ein gewisser Giovanni Doppio erschuf im 18. Jahrhundert nach einem Rasierunfall das Turiner Grabtuch und sicherte mit diesem "miracolo" einem venezianischen Dogen die Wiederwahl - hat man ein elastisches Verhältnis zur Wahrheit.

"Fünf Impfungen plus Zusatzzahl für einen Fuchzger!"

Mit einer Vertretermappe unter dem Arm steht dieser Hans-Franz nun wie ein windiger Straßenverkäufer im Scheinwerferlicht und bietet Impfausweise feil, Doktortitel, was die Leute eben so gebrauchen können, um sich besser durchs Leben zu mogeln. "Fünf Impfungen plus Zusatzzahl für einen Fuchzger!", wirbt Doppler.

Die Krisen sind leider auch nicht mehr das, was sie mal waren, früher war die Doppelmoral noch eine tragfähige Geschäftsgrundlage, inzwischen ist nicht mal mehr der Anschein von Integrität notwendig. Jedenfalls nicht bei Verkehrsministern und US-Präsidenten.

Mindestens so wichtig wie seine Mappe voller Fälschungen ist das Foto, das Doppler in der Brusttasche über seinem Herzen trägt. Ausgerechnet in die feministische Klima-Aktivistin Amelie hat er sich verliebt, ihr Glaube an das Wahre und Gute erregt ihn ebenso sehr wie das Schöne, ihre makellosen "Heiliginnenschenkel". Und so spreizt sich Dopplers Leben zu einem Doppelleben zwischen Chauvinismus und veganer Schleimerei. Leberkas und Regensburger packt er heimlich auf dem Klo aus, umweht von Flatulenzen. Doppler ist eine glückliche Sau.

Trotz des fulminanten Auftritts fällt der Applaus in Erdweg eher höflich aus

Wenn Zimmerschied ihn mit koboldhaftem Kichern von seinen Schweinereien erzählen lasst, mag man diese fragwürdige Figur aber dann doch irgendwie, sie sagt ja auch oft erfrischend kluge Dinge; durch gute Absichten lässt einer wie Doppler sich jedenfalls nicht blenden. Crowdfunding für den Klimaschutz? "Die Hoffnungslosen nehmen das Geld von den Ideenlosen, dafür gibt man ihnen ein gutes Gewissen." Das gab es früher auch schon mal. Man nannte es Ablasshandel.

Trotz des fulminanten Auftritts fällt der Applaus in Erdweg eher höflich aus. Das könnte daran liegen, dass Zimmerschied sich in dem längst auch auf den deutschen Kabarettbühnen tobenden Kulturkampf zwischen Besitzstandswahrern und Weltverbesserern nicht klar positioniert, nicht Partei ergreift für Klimakleber, Feministinnen und Veganer. In einem SZ-Interview sagte Zimmerschied jüngst: "Mir ist ein sprühender Lügner immer noch näher als ein vertrockneter Idealist." Es klingt wie eine Solidaritätsadresse an Hans Doppler.

Man darf unterstellen, das Zimmerschied das Gegeneinander der Gesinnungen gar nicht so furchtbar ernst nimmt. In seiner Bühnenerzählung bleibt ja sogar noch Raum für eine Liebesgeschichte, was man im Kabarett auch nicht oft erlebt. Die Affäre mit Amelie muss man sich übrigens als glückliches Geturtel vorstellen. Amelies Definition von Glück lautet nämlich, dass Glück sei, wenn man wisse, wer schuld ist. Hans Doppler ist für sie genau der Richtige.

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