Erdweg:Wie im Central Park

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Woher bekommen Minderjährige in der kleinen Gemeinde Erdweg Rauschgift? Der Verdacht richtet sich gegen zwei junge Männer. Am Amtsgericht hat gegen sie ein langwieriges Verfahren begonnen.

Gregor Schiegl

Im Sommer ist der Central Park ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche; man trifft dort angeblich auch Leute, die einem Marihuana, Speed, Ecstasy oder Heroin verkaufen. Die Rede ist nicht vom Central Park in New York, den man nachts besser meiden sollte. Central Park, so nennen Erdwegs Jugendliche auch die Grünanlage gleich beim Maibaum. "Erdweg ist sicherlich kein Brennpunkt der Betäubungsmittelkriminalität", sagt Michael Richter, Sprecher der Polizeiinspektion Dachau. "Aber wenn man irgendwo hineinstochert, stößt man meistens auch auf etwas."

Symboldbild Drogen: Ein Abhängiger löst Heroin in einer Spritze auf, um es sich anschließend zu spritzen, in einem Druckraum in Frankfurt am Main. (Foto: dpa)

Auf zwei junge Männer ist die Polizei beim Stochern gestoßen, einen 22-Jährigen und einen 23-Jährigen. Beiden wirft die Staatsanwaltschaft vor, Rauschgift konsumiert zu haben und es auch an Minderjährige verkauft zu haben. "Das ist ein Verbrechenstatbestand", sagt Richter Lukas Neubeck. Ein Jahr Freiheitsstrafe sieht der Gesetzgeber vor; eine Bewährungsstrafe ist nur "unter besonderen Umständen" möglich.

Die Vorwürfe konzentrieren sich auf einen 23-jährigen Arbeitslosen, der bis vor eineinhalb Jahren an der Nadel hing und sich nun Schritt für Schritt mit Substituten versucht, von der Sucht zu lösen. Mehrmals soll er laut Anklageschrift kleinere Mengen Marihuana an Minderjährige verkauft haben. "Das ist alles erstunken und erlogen", wehrt sich der Angeklagte. Er kennt die Geschichten, die über ihn in Erdweg kursieren: "Heroin und Kokain an Kinder: Das sind Vorwürfe, das ist der Wahnsinn!"

Einmal, so berichtet der Angeklagte, sei ein Mann bei ihm zu Hause aufgetaucht und habe und ihm ins Gesicht geschlagen. Es sollte ein Denkzettel sein, seinem Enkel kein Rauschgift mehr zur verkaufen. Tatsächlich habe er nie Drogen verkauft, sagt der Angeklagte "nicht mal einen Krümel!" Auf ihn gekommen war der wütende Großvater durch den Tipp eines 22-jährigen Monteurs. Es ist genau der 22-Jährige, gegen den am Amtsgericht ebenfalls ein Verfahren läuft, weil er Erdwegs Jugendliche mit Rauschgift versorgt haben soll.

Der Verteidiger des 23-Jährigen sieht in seinem Mandanten nur den Sündenbock. In Erdweg sei bekannt, dass er heroinsüchtig sei. Er sei "der Dorfdepp, dem man alles anlasten kann", ein Einzelgänger ohne Lobby, jemand, der sich auch kaum wehren kann, denn was seine Intelligenz betreffe, verfüge er nur über eine "begrenzte Ausstattung".

Der 22-jährige Monteur, mit dem der Angeklagte einige Zeit im Sommer 2010 verbrachte, belastet ihn in seiner eigenen Verhandlung schwer: Der Junkie habe immer Stoff gehabt. In einem Kabelschacht soll er 100 bis 150 Gramm Amphetamine versteckt gehabt haben, "er holte alle zwei, drei Wochen Nachschub aus Berlin". Angeblich hingen ständig Minderjährige bei ihm in der Wohnung herum, an die er das Zeug verticke.

Ein heute 18-jähriger Ex-Drogenkonsument benennt allerdings ganz klar den Monteur als denjenigen, der ihn mit Amphetaminen versorgt habe. Zwei, dreimal die Woche hätten sie eine Line geschnupft. "Eine reichte mir, ich war danach völlig dicht." Der angeklagte 23-Jährige sagt auch, dass bei ihm nie jemand zu Hause gewesen sei. Sechs Wochen habe er mal mit seiner Freundin zusammengewohnt. Aber die habe ihn auch wieder verlassen und gesagt, dass ihm seine Bong wohl wichtiger sei als sie.

In beiden Fällen wimmelt es von Ungereimtheiten: Es gibt gegenseitige Beschuldigungen, anonyme Schreiben und Belastungszeugen, die auf einmal einen Rückzieher machen. Der Heroinsüchtige berichtet, dass vier Leute aus der Szene ihn überfallen und "halbtot geprügelt" hätten. Noch so eine merkwürdige Geschichte. Das Amtsgericht hat beide Verfahren erst einmal ausgesetzt.

Oberstaatsanwältin Elisabeth Reißler will die Zeit nutzen und "Verbindungen, Freunde, Seilschaften - überhaupt die Verhältnisse in Erdweg" ausleuchten lassen. Damit man endlich durchblickt, wer hier lügt und wer nicht. Beide Verfahren, das hat Richter Lukas Neubeck schon erklärt, könnten das Amtsgericht noch einige Wochen, wenn nicht Monate beschäftigen.

Am besten laufen die Verfahren, in denen viele Waren sichergestellt werden", sagt Polizeisprecher Michael Richter. Dieses Verfahren ist keines davon. Man kann nicht einmal sicher sagen, ob die ungeheuren Mengen Amphetamine und Heroin, von denen immer wieder die Rede ist, tatsächlich in Erdweg in Umlauf sind oder nur in der Phantasie existieren.

© SZ vom 03.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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