Erdweg:Ein Bahnhof wird zur Kunstgalerie

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Am S-Bahnhof Erdweg hat Künstlerin Gesa Blaas gemeinsam mit Bürgern die Unterführung und Betonrampen künstlerisch gestaltet. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Gemeinsam mit 250 Menschen hat die Künstlerin Gesa Blaas den S-Bahnhof Erdweg in einen kreativen Ort der Begegnung verwandelt. Zu sehen sind 36 bunte Mosaike, in denen sich die Alltagswelt, aber auch die Hoffnungen und Träume der Erdweger widerspiegeln.

Von Jana Rick, Erdweg

Bahnhöfe sind Orte, an denen man meist nicht lange verweilt. Es könnte daran liegen, dass man es dort eigentlich immer eilig hat oder an der Tatsache, dass es schönere Orte auf der Welt gibt. In Erdweg kann man das jedoch anders sehen. Steigt man hier aus der S-Bahn, wechselt das Gleis oder geht die Unterführung unter den Gleisen hindurch, so kann man 70 kleine und große Kunstwerke bestaunen: Mosaikgemälde schmücken die grauen Betonwände des Bahnhofs, sie schillern in vielen Farben und zeigen verschiedenste Motive.

Initiiert wurde das Projekt von Erdwegs ehemaligem Bürgermeister Georg Osterauer und der Leiterin des Kulturvereins Erdweg Gesa Blaas. Die leidenschaftliche Künstlerin setzte sich 2015 zum Ziel, den Erdweger Bahnhof bunter zu gestalten. "Mensch, ist das alles grau, geh doch mal zur Gemeinde und mach einen Vorschlag" - mit diesem Satz motivierte ihr Ehemann sie damals, und schon war die Idee geboren, das Bahnhofsgelände in einen kreativen Ort der Begegnung zu verwandeln. Gesa Blaas erklärt, dass sie unglaublich gerne mit anderen Menschen zusammenarbeite, "das Miteinander" sei es, was sie an der Kunst reize. Also startete sie einen Aufruf und hatte kurzerhand eine Reihe an Bürgerinnen und Bürgern an ihrer Seite, die sie beim Bahnhofsprojekt unterstützen wollten.

Als Mosaik verewigt ist auch das "Bummerl"

So entstanden die ersten 36 Gemälde in der Unterführung, die Namen der Künstlerinnen und Künstler sind auf einer Infotafel aufgeführt. Aus Glas, bunten Steinchen, Glasblüten, Muscheln und Fliesenbruch legten sie Motive ihrer Wahl, die Blaas anschließend in der Betonwand verfugte. Etwa zwei Kilogramm Material sind pro Werk verarbeitet und auf den frostsicheren Trägerplatten vereint.

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In einem Kunstwerk ist der "Bummerl" zu erkennen, der einstige Lokalzug im Dachauer Hinterland, andere Werke zeigen eine Friedenstaube und alle Wappen aus den Ortsteilen der Gemeinde. Das Wappen von Erdweg sticht besonders ins Auge, es wurde vom ehemaligen Bürgermeister Georg Osterauer und der damaligen dritten Bürgermeisterin Monika Sedlatschek gestaltet. Die kleinen Kunstwerke stellt Gesa Blaas stolz vor und sagt: "Man kommt in Erdweg an, und der Bahnhof ist das Erste, was man sieht. Wenn man Erdweg jetzt wieder verlässt, dann - dank der bunten Bilder - mit fröhlichen Gedanken."

Viele Werke entstanden während des Lockdowns

Im Jahr 2021, während des Lockdowns, erweiterte die Leiterin des Kulturvereins das Bürgerprojekt, indem sie die Kunstarbeit in das Zuhause der Erdweger verlagerte: Sie schickte den Interessierten ein, wie sie es nennt, "Kreativpaket" nach Hause, mit einer Arbeitsanleitung, dem notwendigen Werkzeug und Material, sodass die Erdweger die einsamen Stunden mit künstlerischer Arbeit füllen konnten.

Über ein solches Paket freute sich auch Maria Wörle aus Eisenhofen, kurz vor Pfingsten 2021. Sie und ihre Kinder mussten nicht lange überlegen, mit welchem Motiv sie sich am Kunstbahnhof beteiligen möchten. Denn von ihrem Balkon aus blickt man direkt auf eine Kuhweide. Und so arbeiteten die 14-Jährige und der Zwölfjährige gemeinsam mit ihrer Mutter an einer Kuh aus Mosaiksteinen, vier Wochen lang. "Gerade zur Homeschooling-Zeit war das eine tolle Abwechslung, die uns großen Spaß gemacht hat", sagt Maria Wörle. Wenn die Familie jetzt in Erdweg unterwegs ist, stattet sie ihrem Kunstwerk immer einen Besuch ab, um zu schauen, "wie es der Kuh so geht".

Von Maria Wörle aus Eisenhofen und ihren Kindern stammt das Motiv mit der Kuh. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Am S-Bahnhof Erdweg hat die Künstlerin Gesa Blaas gemeinsam mit Bürgern Unterführung und Betonrampen künstlerisch gestaltet. Nicht fehlen darf dabei die liebevolle Darstellung des alten Bummerls. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die vielen Naturbilder machen deutlich, welche Themen die Menschen 2021 beschäftigten und zeigen, dass Spaziergänge in der nahen Umgebung zum Alltag gehörten. Ein Junge legte aus dem Material eine Eule, die er bei einem Waldspaziergang beobachtete, ein Mädchen das Kaninchen im eigenen Garten. Aber auch Träume und Sehnsüchte wurden mit den Mosaiksteinen verewigt, so zum Beispiel weiße Strände, Flamingos und Palmen. Blaas hat fast zu jedem Bild die jeweilige Künstlerin oder den Künstler im Kopf und kennt die Geschichten hinter den Bildern. So entschieden sich zwei Schwestern dafür, das World Trade Center zu gestalten, weil ihnen die Pandemie einen Strich durch die geplante Reise nach New York gemacht hatte.

Mehr als 250 Bürgerinnen und Bürger haben den S-Bahnhof mit Glas- und Fliesenmosaiken verschönert. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Bunt statt grau: Unterführung und Betonrampen sehen nun viel freundlicher aus. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Einige Kunstwerke wurden auch in Kooperation mit Institutionen und Organisationen aus dem Umkreis geschaffen. Auch das Kinderhaus Welshofen, die Grund- und Mittelschule Erdweg und Asylhelferkreise aus Erdweg waren beteiligt. "Wir wollen das ganze Geflecht der Gemeinde mit einbeziehen", erklärt Bürgermeister Christian Blatt (CSU); die Gemeinde fördert und unterstützt das Projekt finanziell. Das Einbeziehen verschiedener Menschen und Organisationen sei ihm besonders wichtig und in der Vielfalt der fertigen Werke zu erkennen. Mehr als 250 Bürgerinnen und Bürger haben sich bisher an dem Projekt beteiligt, und jedes Bild ist einzigartig; kein Motiv gibt es doppelt. Läuft man heute durch die Unterführung und den Bahnhof entlang, hat man das Gefühl, Klein-Erdweg präsentiert zu bekommen.

Die bunten Betonwürfel sind ebenfalls selbstgemacht

Ganz neu sind bunte, mit Mosaiksteinen beklebte Betonwürfel auf dem Bahnhofsvorplatz, die im Rahmen des 50. Jubiläums der Gemeinde Erdweg von Bürgerinnen und Bürgern gestaltet wurden. In den nächsten Wochen werden neue Infotafeln zum Projekt folgen, ebenso weitere Graffiti-Zeichnungen von zwei Jugendlichen. Außerdem wird der Kunstbahnhof Ende September durch weitere 20 Mosaik-Kunstwerke bereichert, an ihnen wird noch fleißig gearbeitet.

Denn noch hat der Bahnhof einige graue Wände und freie Flächen, die darauf warten, verschönert zu werden. "Das Projekt ist erweiterbar", sagt Bürgermeister Blatt. Eine Gefahr bringt die Bahnhofsgalerie allerdings doch mit sich: Verliert man sich als Betrachter in den Gemälden, so muss man aufpassen, die S-Bahn nicht zu verpassen.

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