US-Wahl:"Ich sehe schon bildlich vor mir, wie der Korken durch die Luft fliegt"

Lesezeit: 5 min

Douglas Bokovoy beschäftigt sich schon lange und intensiv mit der US-Politik, vor allem mit dem Wahlsystem. Deshalb hält er das Ergebnis trotz aller Umfragen noch immer für offen. (Foto: Toni Heigl)

Die SZ sprach mit US-Amerikanern, die im Landkreis Dachau leben: Alle ersehnen die Abwahl Trumps, fürchten aber zugleich seine Reaktion auf eine Niederlage.

Von Christiane Bracht, Dachau

Die Hoffnung ist groß, aber die Sorge mindestens genauso. Die US-Präsidentenwahl lässt die Amerikaner, die im Landkreis Dachau leben, nicht kalt. Die meisten verfolgen das Geschehen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten genau. Donald Trump oder Joe Biden? Die Antwort ist bei denen, die mit der SZ gesprochen haben, eindeutig: Joe Biden soll das Ruder wieder herumreißen. Alle Hoffnung ruht auf ihn.

"Trump hat mich schon seit vielen Jahren angewidert", gesteht Douglas Bokovoy. Der 71-Jährige lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Als Historiker hat er sich schon immer mit Politik beschäftigt, mit Trumps Werdegang, aber besonders mit "dem Demokratiedefizit in den USA". In der Volkshochschule Dachau hat er erst kürzlich darüber referiert. "Ich glaube, dass Biden es schaffen wird, am 3. November weit mehr Stimmen zu bekommen als Trump", sagt Bokovoy voller Überzeugung. Trotzdem hat er große Zweifel, ob Biden am Ende der Gewinner sein wird. Das System lasse Trump zu viele Schlupflöcher und Möglichkeiten, die Wahl auf legale Weise zu beeinflussen. "Er wird versuchen, was bei der Wahl von George W. Bush geschehen ist", prophezeit Bokovoy. Damals entschied der Oberste Gerichtshof. "Und er wird versuchen, die Wahl ins Repräsentantenhaus zu bringen." Nur wenn es Joe Biden gelinge, haushoch zu gewinnen, könne der Wechsel gelingen, glaubt der Wahl-Dachauer. "Ich bin zuversichtlich." Selbst hat Bokovoy seinen Wunschkandidaten jedoch nicht unterstützt. Früher, als seine Eltern noch in Minnesota lebten, habe er immer gewählt, aber jetzt "ist es zu kompliziert geworden", sagt er. Doch woraus schöpft Bokovoy seine Zuversicht? "Wenn ich in meiner großen Verwandtschaft herumfrage, ist niemand für Trump." Außerdem liegt seine Hoffnung auf den Jungwählern, die 2016 noch keine Stimme hatten, und darauf, dass die Wahlbeteiligung ersten Berichten aus den USA zufolge schon jetzt sehr hoch ist.

Laurie Johnson war es indes sehr wichtig zu wählen. "Ich habe sogar auf die geheime Wahl verzichtet", sagt sie. Denn in Oregon, wo sie registriert ist, durfte sie ihr Wahlrecht nur per E-Mail ausüben. Die 52-Jährige lebt bereits über die Hälfte ihres Lebens in Deutschland, seit 22 Jahren in Dachau. Auch sie hat Geschichte studiert, betreibt jetzt aber ein Studio für holistische Massage. "Biden ist nicht meine erste Wahl", gesteht sie. "Auch nicht meine zweite. Er ist einfach alt." Aber Trump dürfe auf keinen Fall vier weitere Jahre im Amt bleiben. "Alles, was ich an meinem Land liebe, was mir am Herzen liegt, macht er kaputt: die Naturparks, die Kultur und die Vielfalt der Menschen", klagt Johnson. Statt dessen säe er ein Klima der Angst und Gewalt. Nachdem ihre Kinder und Eltern sowie ihr Bruder gerade in den USA leben, macht Johnson sich große Sorgen um ihre Familie. "Immer wenn ich dachte, jetzt ist Trump zu weit gegangen, verlief alles im Sande: Die begeisterten Trump-Wähler sind wie eine Sekte. Sie haben Scheuklappen auf." Sie redet sich in Rage. "Ich bemühe mich keine Schimpfwörter zu verwenden", sagt sie. Aber bei dem Thema falle es ihr schwer. Das gehe vielen Amerikanern so. Ihre Freundin sage sogar: "Das hält mein Blutdruck nicht aus." Dennoch sei es unter den hier lebenden Amerikanern das Gesprächsthema Nummer eins.

Laurie Johnson hält den Wahlschein hoch - sie hat ihn ausgefüllt, in der Hoffnung damit zu einem Regierungswechsel beitragen zu können. (Foto: Toni Heigl)

Obwohl viele hinter Biden stehen und nach ersten Prognosen die Anhängerschaft von Trump schwindet, schwebt Johnson "zwischen Optimismus und Angst", was die Wahl angeht. Das große Schreckgespenst ist das Wahlergebnis von 2016. Damals lag Hillary Clinton den Umfragen nach ebenfalls vorne, gewonnen hat jedoch ihr Kontrahent. "Es ist ein Gefühl der Hilflosigkeit, das sich breitmacht", sagt Johnson.

Karen Breece mag sich gar nicht erst vorstellen, dass Trump wiedergewählt wird. "Das Denken hört genau da auf", sagt sie. Die Regisseurin kam schon mit acht Jahren nach Deutschland, dennoch liegt ihr, ihre Heimat sehr am Herzen. "Ich habe eine wunderschöne Kindheit in den Südstaaten verbracht, zuletzt in Chicago." Ein großer Teil der Familie lebt auch noch dort. Als gebürtige Amerikanerin hat Breece ein Wahlrecht, von dem sie auch Gebrauch gemacht hat. "Joe Biden ist nicht die große Nachwuchshoffnung der Politik. Aber er ist sympathisch und ehrlich, und vor allem ist er die beste Wahl, die wir haben", sagt Breece. In der derzeitigen Situation sieht sie eine Parallele zur Lage, wie sie in den 1970er Jahren herrschte, als Präsident Richard Nixon zurücktrat und Jimmy Carter als Nachfolger gewählt wurde. "Das amerikanische Volk will nicht mehr belogen werden", meint Breece. Sie legt große Hoffnung in die Wahl. "Aktuell wollte ich dort nicht leben. Ich hadere mit so vielen Dingen", sagt sie und meint vor allem Gewalt und Rassismus, aber auch das Gesundheitswesen und die Klimakrise. "Wir müssen raus aus dem Moloch. Trump hat uns international lächerlich gemacht und isoliert." Jetzt sei es an der Zeit, die Demokratie zu verteidigen und sie dann zu reparieren. Sie will auf jeden Fall die Wahlnacht vor dem Fernseher verbringen. Eine Champagnerflasche sei schon kalt gestellt. "Ich sehe schon bildlich vor mir, wie der Korken durch die Luft fliegt", sagt Breece.

Auch Molly Williams will vor dem Fernseher mitfiebern. Dienstag und Mittwoch wird die Innovations Managerin eines großen deutschen Konzerns nicht arbeiten. "Ich hoffe, es geht für Biden aus. Die Welt braucht eine Pause von Trump", sagt sie. Gleichzeitig hat sie Angst, dass der Republikaner die Macht behalten könnte. Seit er Präsident ist, würde man die Amerikaner im Ausland anderes behandeln, sagt sie. Früher gab es den viel besungenen "American Spirit". Man habe alles erreichen können und man habe sich in den USA sicher und frei fühlen können. "Doch das ist jetzt alles bedroht", sagt Williams. Sie ist 46 Jahre alt und wohnt mit ihrem Sohn in Dachau. Vor acht Jahren ist sie ausgewandert, damit er in einem zweisprachigen Umfeld aufwächst. In den USA wolle sie nicht mehr leben, sagt Williams. Das Land repräsentiere nicht mehr ihre Werte. "Ich glaube an eine globale Weltsicht und dazu müsste in den USA viel verbessert werden. Es ist kein lebenswerter Staat mehr." Das sei auch vor der Präsidentschaft von Trump so gewesen, aber jetzt umso mehr. Sie kommt aus Michigan, einem "Trump-Staat", wie sie sagt. Als bekennende Demokratin fürchtet sie die Wiederwahl, aber sie fürchtet auch die Gewalt als Reaktion auf die Wahl. In Michigan gebe es viele Waffen und viele dumme Leute mit Waffen, sagt sie. Das könnte auch ihre Familie treffen. "Meine Schwester ist lesbisch", erklärt sie. Wenn Trump wieder gewählt würde, werde sie womöglich das Recht verlieren, heiraten zu dürfen oder eine Gesundheitsvorsorge eingehen zu können.

Schon allein für ihre Familie war es ihr wichtig, sehr früh zu wählen: Biden natürlich. "Er war nicht mein Favorit, aber er ist die beste Alternative", so Williams. In ihrer Familie gebe es niemanden, der Trump wählt, aber von den Leuten, mit denen sie aufgewachsen sei, dafür umso mehr. Das verfolge sie auf Facebook, aber sie sage nichts dazu. "Man kann ihre Meinung nicht ändern. Eine Diskussion würde ausarten. Das Thema ist einfach sehr emotional", sagt sie. Die Leute aus ihrer früheren Nachbarschaft, einer weißen Mittelklassegesellschaft, die für die Autoindustrie arbeitet, fühlten sich nicht mehr so frei wie früher. "Ich hoffe, wir gewinnen", sagt Williams.

© SZ vom 03.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: