Dachau:Im Rausch der Geschwindigkeit

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Ein 18-Jähriger rast über die Landstraße und tötet einen Familienvater. Dessen Angehörige leiden noch heute - und fordern vor Gericht "eine empfindliche Strafe".

Gregor Schiegl

Schwarze Schuhe. Schwarzes Hemd. Schwarzes Sakko. Vielleicht soll die Kleidung ja ausdrücken, was der junge Bursche aus dem Dachauer Hinterland selbst noch nicht in Worte kleiden kann. Nämlich wie leid ihm das alles tut. "Mein Mandant muss sich das erst mühsam erarbeiten", sagt der Verteidiger. Für einen 18-Jährigen sei es furchtbar, "für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein und irgendwie damit klarkommen zu müssen."

Im ganzen Landkreis Dachau erinnern Marterl an verhängnisvolle Verkehrsunfälle, bei denen junge Menschen ums Leben kamen. Das Kreuz mit den kleinen Engeln wird Tag für Tag gepflegt. An dieser Stelle in der Äußeren Augsburger Straße wurde die Schauspielerin Julia Palmer-Stoll überfahren. (Foto: region.dah)

Inzwischen ist der junge Mann 19. Er sitzt auf der Anklagebank des Dachauer Amtsgerichts. Die Anklageschrift lautet auf fahrlässige Tötung. Der Unglücksfahrer hält den Kopf gesenkt. Da sieht man seine feuchten Augen nicht so. Und er muss der Witwe und der Tochter auf der Bank der Nebenklage gegenüber nicht in die Augen sehen. Er war gerade einen Monat volljährig, als er meinte, im Affenzahn über die Landstraße brettern zu müssen. Es kam zum Crash. Ein 53-jähriger Familienvater aus Petershausen starb dabei. Er hatte keine Chance.

Man wolle das Leben des jungen Mannes ja nicht zerstören, sagt die Vertreterin der Nebenklage. Aber wer derart verantwortungslos handele wie der junge Unfallfahrer brauche "eine empfindliche Strafe". Und dann wird sie grundsätzlich: "Wenn jemand den Führerschein hat, muss er auch die Verantwortung eines Erwachsenen tragen."

Jugendgerichtshelferin Ursula Walder sagt dazu in der Verhandlung nichts. Später wird sie sich umso klarer äußern: "Aus meiner Sicht ist das Blödsinn". Es werde doch niemand auf seine charakterliche Reife getestet, bevor er den Führerschein ausgehändigt bekommt. Leider. Darüber, was am Abend des 29. Mai 2009 eigentlich passiert ist, kann der Unglücksfahrer wenig sagen. "Als ich ausgestiegen bin, war schon alles geschehen."

An diesem frühen Abend schien die Sommersonne. Der Asphalt war trocken. Auf der Kreisstraße 10 zwischen Kollbach und Rettenbach war wenig los: Freie Bahn für den gebraucht gekauften Sportwagen mit gut 300 PS, den sein Vater erst an diesem Tag auf die Familie zugelassen hatte. "Wahrscheinlich hat der Sohn gemeint, er müsse ihn mal richtig ausfahren", sagt der Staatsanwalt.

Der Gutachter hat keinen Zweifel, dass der junge Fahrer viel zu schnell war, als er von der Fahrbahn abkam. "Mindestens 130 bis 140." Nach einer Bodenwelle kam er ins Schleudern und krachte in das entgegenkommende Auto eines Petershauseners. Der Mann starb noch an der Unfallstelle. Dass der damals 18-Jährige mit einem Lendenbruch, einer Gehirnerschütterung und Quetschungen davonkam, grenzt an ein Wunder. Beim Crash wurden aus dem Sportwagen Motor samt Getriebe gerissen. Man fand sie später 62 Meter vom Unfallort entfernt.

Der Angeklagte ist am Tag des Unfalls erst 18 Jahre und einen Monat alt. Er arbeitet als Kfz-Mechatroniker. Selbst in seiner Freizeit bastelt er an Autos und Mopeds. Der Chef der Werkstatt lobt ihn als zuverlässig und sehr fleißig. Der Junge hat ein Händchen für Autos. Vielleicht fühlte er sich auch deshalb am Steuer so sicher. Aber dann plötzlich die Bodenwelle: ein Schlag auf die Lenkung. Der junge Fahrer verlor die Kontrolle. Als das Heck ausbrach, sei er "nur noch Passagier" gewesen, sagt der Gutachter. Mit 100 wäre "höchstwahrscheinlich" gar nichts passiert, er war zu schnell. Ein "jugendtypischer Unfall", sagt der Verteidiger.

Der Mann auf der Anklagebank hat den Führerschein schon mit 17 gemacht. Nach seinem Crash könnte man Zweifel bekommen, ob es wirklich so eine gute Idee ist, immer jüngere Fahrer ans Steuer zu lassen. In der Dachauer Kfz-Zulassungsstelle sind mittlerweile 774 Personen gemeldet, die herumfahren dürfen, obwohl sie nicht volljährig sind, "Tendenz steigend". Allerdings muss immer ein erwachsener Beifahrer mit dabei sein, bis sie 18 sind. Richard Wacht von der Verkehrspolizei Dachau sagt, dass die Erfahrungen mit dem Führerschein mit 17 "durchweg positiv" seien. Das begleitete Fahren sei ja "wie Extra-Fahrstunden". Mehr Erfahrung bringe mehr Risikobewusstsein und damit Sicherheit.

Von Richterin Petra Nolte bekommt der junge Mann am Ende 3000 Euro Strafe aufgebrummt. Die Fahrerlaubnis wird ihm für sechs Monate entzogen. Es ist eine Jugendstrafe, die die Hinterbliebenen vielleicht als zu gering erachten für das Leid, das sie erlitten haben: der Vater ist tot, eine Tochter kam nach dem Schock sechs Wochen in stationäre Behandlung, die Mutter braucht heute immer noch psychologische Betreuung. Aus der Warte der Jugendgerichtshelferin Walder ist es dagegen "ein selten brutales Urteil".

Bevor es verkündet wird, fasst sich der Angeklagte ein Herz. "Mir tut es wahnsinnig leid", sagt er zu den Hinterbliebenen. Es ist ein wichtiger Satz. Für beide Seiten. Aber es wird noch lange dauern, bis sie die seelischen Folgen des Unfalls in den Griff bekommen. Auch der Fahrer werde es ohne professionelle Hilfe kaum schaffen, meint Walder. "Er wird für sich einen Raum finden müssen, in dem er das ablegen und einfrieden kann."

© SZ vom 26.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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