SZ-Adventskalender:Der Schmerz, den keiner sieht

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Bauchschmerzen und Schmerzen im Rücken können ein Symptom von Endometriose sein. (Foto: imago stock&people)

Nora Busch leidet an einer besonders schweren Form der Endometriose, die sie in die Arbeitslosigkeit zwingt. Eine Therapie könnte helfen, Schmerzen zu lindern. Der SZ-Adventskalender will der 36-Jährigen helfen.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Die Geschichte von Nora Busch ( Name von der Redaktion geändert) ist eine voller Schmerzen. Da sind zum einen die physischen Schmerzen: Die 36-Jährige leidet an einer besonders schweren Form von Endometriose. Dabei handelt es sich um eine gynäkologische Erkrankung, bei der sich gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter ansiedelt. Die sogenannten Endometrioseherde können bluten, sie können Entzündungen und Vernarbungen verursachen, greifen die Organe an. Bei Busch sind unter anderem die Blase und der Darm betroffen. Die Folge sind schier unaushaltbare Schmerzen, die die Dachauerin begleiten, seit sie das erste Mal ihre Periode bekam. Da war sie 13.

Neben den physischen Schmerzen sind da aber auch die psychischen Schmerzen: Weil die Krankheit, an der Busch leidet, so wenig erforscht und bekannt ist, weiß sie selbst nach knapp 20 Jahren nicht, warum ihr gesundheitlicher Zustand sich zunehmend verschlechtert. Erst 2018 erhält sie die Diagnose und damit endlich die Gewissheit, dass sie sich ihre Schmerzen, von denen sie manchmal ohnmächtig wird, nicht nur einbildet. "Im ersten Moment war es eine große Erleichterung", erinnert sie sich.

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Doch auch nach der Bauchspiegelung und dem Befund muss sie sich weiterhin jede Hilfe hart erkämpfen - und fühlt sich in ihrem Kampf um ein schmerzfreies Leben immer mehr allein gelassen. "Wenn ich gewusst hätte, was alles auf mich zukommt, wäre ich damals wahrscheinlich schon zusammengebrochen", sagt sie. Ihr Freundeskreis habe sich in den vergangenen vier Jahren zunehmend aufgelöst, "das ist sehr bitter". Ende 2019 denkt sie in ihrer Verzweiflung sogar darüber nach, einen Schlussstrich zu ziehen. Nicht, weil sie - das betont sie mit Nachdruck - nicht leben will, sondern weil die Schmerzen unerträglich werden und weil es scheinbar niemanden gibt, der ihr helfen kann oder will. Nur von einer Psychologin der Caritas Dachau, die sie seit Anfang des Jahres einmal in der Woche zuhause besucht, und einer Leidensgenossin, die sie 2019 in der Reha kennengelernt hat, fühlt sie sich noch verstanden.

In Teilzeit arbeiten zu können, wäre für sie schon ein großer Erfolg

Die Geschichte ihres unsichtbaren Schmerzes mit ihrem äußerem Erscheinungsbild in Einklang zu bringen, fällt vielen - das weiß sie aus Erfahrung - schwer: Busch ist eine großgewachsene, schlanke Frau mit feinen Gesichtszügen, ihre Worte wählt sie mit Bedacht, ihre Stimme ist sanft. Nur einmal im Verlauf des Gesprächs laufen Tränen über ihre Wangen, sonst erzählt sie gefasst von diesem Schmerz, der zu ihrem ständigen Begleiter geworden ist. Die Kontrolle über ihre Gefühle zumindest nach außen zu bewahren, hat Busch über die Jahre gezwungenermaßen gelernt. Denn sie weiß: Eine, die weint, nimmt niemand ernst. Wie viel Kraft sie das kostet, wie viel Schmerzmittel sie schlucken muss, um während des Gesprächs aufrecht auf ihrem Stuhl zu sitzen, all das sieht man nicht.

Der jungen Frau ist es wichtig, ernst genommen zu werden. Sie hat etwas, das sie antreibt: Sie will eines Tages wieder arbeiten gehen. In Vollzeit, das sei, so Busch, vermutlich unrealistisch. Aber schon in Teilzeit arbeiten zu können, das wäre für sie, die seit Jahren krankgeschrieben ist, ein großer Erfolg. Doch damit daran überhaupt zu denken ist, braucht sie regelmäßige Therapiesitzungen. Sitzungen, die ihre Krankenkasse nicht über einen längeren Zeitraum bezahlen will. Doch mit der Unterstützung des Adventskalenders für gute Werke der Süddeutschen Zeitung könnte sie ihrem Traum von einem Leben, das nicht ihre Krankheit, sondern sie selbst bestimmt, ein Stückchen näher kommen.

In Deutschland leiden laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) 15 Prozent der weiblichen Bevölkerung an Endometriose. Jährliche Neuerkrankungen: 40 000. Eigenen Angaben zufolge bemüht sich die Bundesregierung zwar bereits seit 2006 "kontinuierlich um eine Verbesserung der Situation der von der gynäkologischen Erkrankung Endometriose betroffenen Frauen und Mädchen". Tatsächlich ist die Krankheit aber erst in den vergangenen Jahren durch Betroffene mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt und im Herbst dieses Jahres hat der Bund endlich mehr Geld für die Erforschung der Krankheitsursachen bereitgestellt. Immerhin, es sind fünf Millionen Euro.

Je nach Lebensalter leiden bis zu 15 Prozent der weiblichen Bevölkerung in Deutschland an Endometriose

Für Menschen wie Nora Busch kommt diese Nachricht gut zwei Jahrzehnte zu spät. Denn das Problem ist: "Je später man die Erkrankung erkennt, desto weiter schreitet sie voran, desto mehr Schaden kann sie anrichten und desto schwieriger ist es, sie zu behandeln", sagt sie. Treten die Schmerzen anfangs oft nur während der Menstruation auf, sind sie in schweren Fällen, wie ihrem, irgendwann immer da.

Seit vier Jahren weiß die Dachauerin, was ihr fehlt, trotzdem hat sie nichts unversucht gelassen, um die Schmerzen zumindest erträglicher zu machen: Sie hat ihre Ernährung angepasst, verschiedene Therapien probiert, Expertinnen aufgesucht, so starke Schmerzmittel zu sich genommen, dass ihre Leber Schaden genommen hat und Hormonpräparate geschluckt, von denen sie das einzige, das von den Krankenkassen für die Behandlung von Endometriose zugelassen ist, nicht verträgt. Deshalb musste sie auf ein sogenanntes Off-Label-Medikament umsteigen, das nur noch bis Ende des Jahres mit einer Ausnahmegenehmigung von ihrer Krankenkasse bezahlt wird. Wie sie es danach finanzieren soll, weiß sie noch nicht. Nur, dass es ohne nicht geht, das steht fest.

"Ich weiß schon seit ich 20 bin, dass ich keine Kinder möchte"

Im August dieses Jahres hat Busch sich außerdem die Gebärmutter entfernen lassen - einmal mehr nach langem Kampf mit all jenen, denen ihre Gesundheit doch am Herzen liegen sollte. Zwei Ärzte wollten den Eingriff gar nicht erst durchführen, aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen, sollte sie ihre Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt doch noch einmal bereuen. Immer sei ihr dabei die Frage nach möglichen Partnern gestellt worden. Was die Ärzte aber nicht verstünden, sagt Busch: "Ich weiß schon, seit ich 20 bin, dass ich keine Kinder möchte." Selbstverständlich habe das mit ihrer Krankheit zu tun, in jedem Fall aber sei es eine wohlüberlegte Entscheidung. Vor allem aber: ihre ganz alleinige Entscheidung, nicht die von irgendeinem Partner, den sie ohnehin gerade nicht hat. Ihr eine Schwangerschaft als mögliche schmerzlindernde Maßnahme ans Herz zu legen, findet Busch übergriffig. "Das ist traurigerweise tatsächlich ein Standardspruch unter Gynäkologen, den ich wirklich unmöglich finde", sagt sie und schüttelt den Kopf.

Sie könne doch kaum den Haushalt bewältigen und leide an chronischer Erschöpfung, warum sei es da so schwer nachzuvollziehen, dass sie sich nicht vorstellen kann, ein Kind zu gebären, geschweige denn, groß zu ziehen? Zumal es ja nicht mal eine Garantie dafür gibt, dass eine Schwangerschaft bei Endometriose wirklich hilft. Selbstverständlich gibt es diese Garantie auch im Falle der Gebärmutterentfernung nicht. Trotzdem stand für Busch in diesem Fall fest: "Ich habe nichts zu verlieren." Bislang hätten die Schmerzen zwar trotz OP nicht nachgelassen, aber es könne, so Busch, auch bis zu einem halben Jahr dauern, bis man eine Verbesserung spüre.

"Gerade Chronisch- und Schwerkranke landen oft in Hartz IV"

Weil sie aber weiß, dass die Gebärmutterentfernung selbst im besten Fall nicht alle Entzündungsherde eliminieren wird, weil längst mehrere Organe betroffen sind, setzt sie ihre Hoffnungen auf eine Kombination aus Akupunktur, Elektrotherapie und manueller Therapie. Alle Therapieformen hat sie zeitweise schon ausprobiert, aber noch nie über einen längeren Zeitraum, weil das eben die Krankenkassen nicht zahlen wollen. Mit der Unterstützung des SZ-Adventskalender soll sich das nun ändern. Und ja, vielleicht kann die gelernte Kosmetikerin dann in naher Zukunft wieder als kaufmännische Sachbearbeiterin arbeiten, zu der sie sich mit viel Aufwand weitergebildet hat.

Gerade einmal zwei Monate konnte sie nach der Weiterbildung in ihrem neuen Job arbeiten, dann wurden die Schmerzen so schlimm, dass sie sich krankschreiben lassen musste. Bis heute lebt sie von Arbeitslosengeld II, sie ist jung, krank und arm. "Gerade Chronisch- und Schwerkranke landen oft in Hartz IV", sagt Busch. Obwohl sie leise spricht, hört man die Wut in ihrer Stimme. Denn diese Krankheit, dieses Leben, all das hat sie sich nicht ausgesucht.

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