Dachau:Balkan-Party auf dem Rathausplatz

Lesezeit: 3 min

Goran Bregovic and his Wedding & Funeral Band, also seine Band für Hochzeiten und Beerdigungen, brachten den Dachauer Rathausplatz zum Kochen. (Foto: Toni Heigl)

Goran Bregovic und sein Orchester treten beim Dachauer Musiksommer auf. Ein Abend mit einer Musikerlegende aus Sarajevo zwischen schnipsenden Fingern und wirbelnden Kleidern.

Von Maximilian Kornprobst, Dachau

Ein Hauch von Jugoslawien liegt am Sonntagabend in der Luft über dem Dachauer Rathausplatz. Wer vor Konzertbeginn ein wenig zwischen den Bier- und Fressbuden im abgesperrten Bereich herumflaniert ist, hat neben Deutsch mit Sicherheit auch Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und vieles mehr gehört. Ein bisschen Balkan mitten in der Dachauer Innenstadt.

"Goran, Goran, Goran" skandiert die erste Reihe des brechend vollen Rathausplatzes, obwohl noch niemand auf der Bühne ist. Immer wieder brandet spontan Applaus auf, die Zuschauer starren erwartungsvoll auf die leeren Stühle vor ihnen. Die Musiker lassen auf sich warten, das Konzert hätte eigentlich schon vor einer halben Stunde beginnen sollen. Dann brandet vom anderen Ende des Rathausplatzes Jubel auf und das Orchester marschiert spielend mitten durch die Menge zur Bühne.

Mit dem ersten Lied tanzt der Rathausplatz

Und während noch alle auf die Trompeter schauen, setzt sich Goran Bregovic auf seinen Platz in der Mitte der Bühne. Er braucht keine Anlaufzeit, sein Publikum genauso wenig. Von der ersten Zeile des ersten Songs an tanzt der Rathausplatz. Trompeten, Tuben, ein Saxophon und die Stimmbänder der beiden Sängerinnen legen los, die Musik schwillt an und füllt den Platz, bis sich auch wirklich der Letzte bewegt und mitklatscht. Und im Zentrum des Ganzen ist Bregovic im weißen Anzug mit einer kleinen Gitarre auf dem Schoß. Er singt oder spielt zu Beginn kaum, dirigiert stattdessen mit ausgestrecktem linken Arm, die Finger schnipsen im Takt mit. Wenn seine Hand zuckt, stoßen die Trompeten auf, wenn er in den Gesang einsteigt, brandet Jubel auf.

Dann wird kurz noch das Publikum begrüßt. "Hallo Deutschland " sagt Bregovic nach ein paar Worten auf Englisch, "das ist mein Orchester für Hochzeiten und Beerdigungen aus Serbien". Recht viel mehr sagt er an dem Abend nicht. Muss er auch gar nicht. Den Rest macht seine Musikertruppe für spezielle Anlässe.

Was erst einmal widersprüchlich klingt, ergibt Sinn, sobald man Bregovic und seine Truppe erlebt hat. Die Musik wandelt sich ständig, springt von melancholischen Gesangspassagen zu ekstatischen Trompetensolos und zurück. Sie ist im einen Moment traurig und im anderen unglaublich fröhlich. Schwankt ständig zwischen den Extremen. Bregovic hat in einem Interview einmal gesagt, die Menschen auf dem Balkan seien extremer als woanders, sie würden entweder vor Lebensfreude platzen oder in Melancholie versinken. So ist auch seine Musik, die viele Elemente traditioneller jugoslawischer Musik aufgreift und sie mit Neuem verbindet.

Zu Beginn bahnt sich die Band mit ihren Instrumenten einen Weg durch die dicht gedrängte Menge. (Foto: Toni Heigl)
Ab dem ersten Lied tanzt das Publikum, auf der Bühne im Zentrum sitzt Goran Bregovic in seinem weißen Anzug. (Foto: Toni Heigl)
Die Sängerinnen sorgen für den Schmelz im Balkan-Gefühl. (Foto: Toni Heigl)
Wer ein bisschen Platz für Ausdruckstanz brauchte, musste sich weiter hinten Freiraum suchen. (Foto: Toni Heigl)
Wer weiter vorne oder im Mittelfeld auf dem Rathausplatz stand, dem und der blieb nur, zu stampfen, zu wippen und zu klatschen. (Foto: Toni Heigl)

Am Sonntagabend überwiegt aber auf jeden Fall die fröhliche Seite. Je später es wird desto ausgelassener tanzen die Menschen. Wo Platz ist nach Balkanart mit beiden Armen ausgestreckt über dem Kopf, die Finger zum Takt mitschnipsend. Am hinteren Ende des Geländes ziehen einige junge Frauen sogar ihre Schuhe aus, um sich besser bewegen zu können. Auf einem Vordach neben der Bühne sitzen Männer oberkörperfrei und schwenken ihre T-Shirts in der Luft. Und Bregovic sitzt auf der Bühne und gibt den Takt an.

Er ist ein musikalischer Tausendsassa, jemand, der eigentlich alles schon einmal gemacht hat. In der 80er Jahren war er mit seiner Rockband "Bijelo dugme" einer der größten Stars Jugoslawiens, bis ihm die Lust auf Rockmusik verging. Daraufhin zog er sich an die Adriaküste zurück, bis ihn der Balkankrieg, der ihn um sein Vermögen brachte, aus dem Ruhestand holte. Zur Rockmusik kehrte er aber nicht zurück. Stattdessen schrieb er Filmmusik, kollaborierte mit Künstlern wie Iggy Pop und fing an mit einem Orchester durch Europa zu touren in einer Art "Never Ending Tour" ganz im Stil von Bob Dylan. Damit spielte er in 2002 in Rom noch vor einer halben Million Menschen.

Ganz so viele waren es am Sonntagabend zwar nicht, die Show war im Grunde doch das Gleiche. Bregovic und sein Orchester machen die Musik des Balkans, mit all ihren Einflüssen aus den Kulturen des ehemaligen Jugoslawiens. Sie machen die Musik, die ihnen Spaß macht. Oder, wie er es im vorletzten Lied des Abends ausdrückt, sie machen: "Party Party, eh eh! Party Party, eh eh!"

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusUkrainische Geflüchtete im Landkreis Dachau
:"Wir freuen uns auch über kurzfristige Hilfe"

Seit Anfang März haben Ehrenamtliche, die ukrainischen Geflüchteten helfen wollen, bei der Caritas eine neue Ansprechpartnerin: Brigitte Schnock. Die Integrationslotsin erklärt, warum Ehrenamt nicht nur Frust, sondern auch Freude bedeuten kann.

Interview von Jacqueline Lang

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: