Künstlervereinigung Dachau:Alle wollen blau machen

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Die zwei "Blaubären" von Jörg Herz sind halb Mensch, halb Tier. Und obenrum ziemlich blau. (Foto: Künstlervereinigung Dachau)

Mit dem Thema für ihre Schlossausstellung hat die KVD offenbar einen Nerv getroffen. Mehr als 180 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland haben sich beworben. Ausstellen können aber nur 30. Wichtig war den Kuratoren vor allem ein Künstler.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Inzwischen arbeitet auch die Künstlervereinigung Dachau (KVD) mit künstlicher Intelligenz. Für den Katalog zu ihrer Schlossausstellung hat sie ChatGPT zur Farbe Blau befragt. Was das Programm herausblubbert, ist allerdings eine ziemlich blasse Suppe. Um die Antwort auf die entscheidende Frage, ob man morgen blaumachen soll, drückt sich der Chatbot gleich ganz: "Als KI kann ich keine persönlichen Meinungen haben oder individuelle Ratschläge geben." Für ein Programm, das angeblich eines Tages die Weltherrschaft ergreifen und die Menschheit versklaven wird, sind das keine günstigen Voraussetzungen.

Vielleicht ist die Software aber auch schon so intelligent, dass sie sich dem Fragesteller einfach nur sehr gut angepasst hat. Das Thema der diesjährigen Schlossausstellung lautet nämlich "blau machen", und wie wörtlich man das bei der KVD nimmt, kann man schon am Plakat zur Ausstellung sehen. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein abstraktes Gemälde, blau mit weiß und sehr dynamisch, offenbart sich als Foto. Das Motiv: der Blick in einen Farbeimer, in dem Blau und Weiß zusammengerührt werden. Offensichtlich macht hier jemand Hellblau.

Zur Vernissage gibt es den passenden Drink

Blau werden auch einige Stellwände im Schloss, die Kunstwerke sowieso, und für die Vernissage hat KVD-Mundschenk Florian Marschall bereits die Rezeptur für den passenden Drink. Blauer Sekt. Ein Schuss Curaçao-Sirup macht es möglich.

Man trifft sich zur informellen Pressekonferenz auf der Terrasse des Café Eder. Der Vorschlag für das Thema sei aus dem Kreis der Mitglieder gekommen, erzählt der KVD-Vorsitzende Johannes Karl im Kreise seiner Vorstandskollegen. Inhaltlich wie formal biete "blau machen" viele spannende Anknüpfungspunkte für eine künstlerische Auseinandersetzung, sagt er. Die Informationen kommen häppchenweise, dazwischen muss Karl immer wieder von der ofenfrischen Dampfnudel abbeißen, die anscheinend so gut ist, dass sich seine Vorstandskollegin Margot Krottenthaler auch gleich eine bestellt hat. Zum "blau machen", ergänzt sie, sei der Sommer doch "genau der richtige Zeitpunkt."

"Fast alles, was wir angeboten bekamen, war recht hochkarätig"

Bei der KVD ahnte keiner, welche Resonanz die Ausschreibung einer solchen Ausstellung unter den Mitgliedern des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler haben würde. Mehr als 180 Bewerbungen gingen ein. Nicht nur aus dem Freistaat, sondern aus der ganzen Republik, bis aus Leipzig und Berlin. "Das hat uns schon fast erschlagen", sagt Johannes Karl. "Fast alles, was wir angeboten bekamen, war recht hochkarätig." Das erklärt auch, warum diesmal etwa Dreiviertel der 30 ausstellenden Künstlerinnen und Künstler Externe sind statt wie sonst nur die Hälfte.

Zu den wenigen Auserwählten aus den Reihen der KVD gehört Klaus Eberlein mit seiner verspielten Aquatinta-Grafik "Metamorphosen in Blau". Der KVD-Vorstand musste sich allerdings ganz schön ins Zeug legen, um das Bild zeigen zu können. Eberlein ist im Juni gestorben, erst einmal musste die Künstlervereinigung herausfinden, wer sich um den Nachlass kümmert. Danach liefen die Telefondrähte heiß. "Uns ist es wichtig, dass man das Bild in Dachau zeigt", sagt Margot Krottenthaler. "Der Künstler ist tot, aber das Werk lebt."

Eingereicht wurden nicht nur Gemälde, sondern auch viele Objekte, etwa die "Blaubären" aus dem Skulpturenzyklus des Münchner Künstlers Jörg Herz. Nicht immer ist sofort ersichtlich, was die Arbeit mit "blau machen" zu tun hat. Es ist auch keineswegs so, dass alle Exponate blau wären. Bei der "Komplementären Intervention" der Künstlerin Patricia Lincke sieht man Texturen aus Silikon, die mit der Heißklebepistole gewoben wurden - und zwar in Pink-Orange. Was das mit Blau zu tun hat? Es ist die Komplementärfarbe.

Praktisch, so ein Handy. Aber manchmal will man halt nur seine Ruhe haben. Johannes Karl bietet in seinem "Screendram_B" eine kreative Lösung mit Ölfarben an. (Foto: Künstlervereinigung Dachau)
Die Transformation des Wassers in seine verschiedenen Aggregatzustände ist das Sujet dieser Wasserlandschaft der Leipziger Künstlerin Mandy Kunze. (Foto: Gustav Franz)
"Es geht rund!" Der Plattenspieler von Thomas Neumaier aus Ingolstadt funktioniert nur unter Missachtung der verkehrsrechtlichen Beschilderung. (Foto: Hubert K. Plotzeck)

Die künstlerische Idee sei bei allen Werken gut nachzuvollziehen, sagt Johannes Karl, darauf habe man bei der Auswahl der Werke Wert gelegt. Die Ausstellung demonstriert: "Blau machen" kann man auf die unterschiedlichsten Arten. Woher der Ausdruck eigentlich kommt, ist übrigens nicht ganz klar. ChatGPT, das sonst gerne mal ins Blaue fabuliert, bleibt hier seltsam vage.

Dafür tischt die muntere KVD-Runde eine hübsche Geschichte auf: Die Färber mussten bei ihrer Arbeit mit Färberwaid warten, bis die Tuche durch Oxidation erst gelb wurden und sich schließlich blau färbten; die Wartezeit vertrieben sie sich mit Trinken, bis sie selber blau waren. Ob die etymologische Provenienz tatsächlich in Farb- und Bierdämpfen zu suchen ist, sei mal dahingestellt. Was Margot Krottenthaler aber sicher sagen kann, ist das: "Blau ist in unserer Sprache sehr wichtig. Es ist erstaunlich, in wie vielen Redewendungen es vorkommt."

Und so findet sich schnell ein blauer Faden, an dem man sich assoziativ durch alle Lebensbereiche hangeln kann und ihn weiterspinnen kann, von den UNO-Blauhelmen bis zu Heino ("Blau-blau-blau-blüht-der-Enzian") und im gestreckten Galopp hinein in sämtliche Verästelungen der Kunstgeschichte, mit freundlichen Grüßen vom "Blauen Reiter".

In der modernen Malerei wurde Blau so richtig hip

In der Kunstgeschichte war Blau immer etwas Besonderes. Margot Krottenthaler erinnert an die Darstellung der Heiligen Maria auf Gemälden der Renaissance. Der blaue Mantel, in dem sie sich verhüllte, symbolisierte "die himmlische Sphäre". Das Blau des Himmels war oft mit dem Göttlichen verknüpft, und wer solche Bilder in Auftrag gab, konnte damit auch seinen Reichtum zur Schau stellen. Das Lapislazuli aus den Minen Afghanistans war rar und extrem teuer, das Azur auch nicht billig.

Bis zur Entwicklung chemischer Pigmente mussten die Künstler bis ins 19. Jahrhundert warten. In der Moderne wurde dann umso mehr blau gemalt. Häuser, Bäume, Menschen, Pferde; Yves Klein meldete 1960 ein Patent auf ein eigenes Blau an, das berühmte Yves-Klein-Blau.

Dass die KVD auf ein so betont leichtes Thema setzt, dürfte auch der Seelenlage des Publikums geschuldet sein. "Seit Corona ist alles so schwer geworden", klagt Johannes Karl. Überall Krisen und Probleme, viele wollen nur noch die Tür hinter sich zumachen, das merkt man auch bei der KVD. "Die Vernissagen in den Galerien sind nicht mehr so gut besucht wie früher", sagt Krottenthaler. Woran das liegt, darüber kann man auf der Dampfnudelkonferenz nur mutmaßen. Viele seien in den Jahren der Pandemie abgewandert "in den digitalen Bereich", sagt Margot Krottenthaler. Da sei der eine oder andere wohl auch "in der Jogginghose steckengeblieben".

Große Events wie die Schlossausstellung haben ihre Zugkraft offenbar nicht verloren: "Alien Polka" vor zwei Jahren - da bremste Corona noch den Kunstbetrieb - war ein Riesenpublikumserfolg. Daran versucht die KVD nun anzuknüpfen. Johannes Karl schätzt die Chancen dafür auch gar nicht so schlecht ein: "Mit dem Thema ,blau machen' kann jeder was anfangen."

"blau machen". Große Sommerausstellung der KVD im Schloss Dachau. Vernissage am Sonntag, 6. August, um 11 Uhr. Geöffnet Mittwoch bis Samstag, jeweils 16 bis 19 Uhr, Sonntag 14 bis 18 Uhr. Bis 3. September.

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